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Marc Jongen, ESN Fraktion

Leeren Seelenraum bebildern

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Cato, Palmer, Exklusiv

In demokratischen Gesellschaften sind es Zeitungen, welche die zahllosen Vereinzelten, die, verloren in der Masse, sich nicht sehen und nicht wissen, wie sie sich finden sollen, miteinander vertraut machen, sie auf bestimmte Gesinnungen verpflichten und womöglich zu gemeinsamem Handeln veranlassen. Diese Beobachtung Alexis de Tocquevilles läßt sich mittlerweile auf alle weiteren Medien übertragen, die im Zuge der Demokratisierung entstanden. Sie versorgen die isolierten Zeit- und Raumgenossen mit allgemeinen Begriffen, die ihnen ermöglichen, ihr unscheinbares Leben in umfassendere Zusammenhänge zu rücken. Sie wären ganz und gar eingeschlossen in der Einsamkeit ihres Herzens, versicherten ihnen die Medien nicht, eingebunden zu sein in einen Gleichschaltungsprozeß, der Gemeinschaft schafft und Geborgenheit über das Gefühl, anderen ähnlich zu sein. Bei innerster Vollbeschäftigung, geplagt von den vielen Nöten, die zur Selbstverwirklichung gehören auf dem dornigen Pfad, sich endlich vom Menschen zum umsichtigen Verbraucher zu bilden, beruhigt es, zu erfahren, daß alle anderen nicht minder geplagt sind. Die Medien veranschaulichen, wie die anderen feiern, lieben, singen oder leiden, damit jeder Analogien zu seinem Hoffen, seinen Ängsten, seiner Sehnsucht oder seinem peinlichem Versagen finden kann. Das hat zur Folge, daß auch die allgemeinen Begriffe, die Orientierungshilfe gewähren sollen, „locker vom Hocker“ kommen sollen. Unterrichtung vereint sich mit Unterhaltung. Auch wünschenswerte Empörung läßt sich nur erzeugen, sofern der Anlaß dramatisch veranschaulicht werden kann. Strenge Medienkritiker klagen über solchen Sensualismus. Doch ohne diese grobe Methode sähen sich die meisten Bürger überhaupt nicht veranlaßt, ihre Gleichgültigkeit gegenüber dem öffentlichen Leben aufzugeben. Mit den grellen Methoden wird zumindest eine gewisse Anteilnahme hergestellt, die das herrschende System nicht gefährdet, sondern stabilisiert. Vorausgesetzt, die Regierenden wirken auf die Regierten wie einer der Ihren. Darum bemühen sich Politiker ununterbrochen in Talkshows oder Kochstudien, um als Mensch wie du und ich, als Saxophonspieler, Schwerenöter, Radfahrer, Wagnerianer oder Münchner „Bayer“ eine fast freundschaftliche Beziehung zu den „Leuten draußen im Lande“ aufzubauen. All das, mit genug Albernheiten und Geschmacklosigkeiten verknüpft, erweitert die Toleranz, die Voraussetzung dafür ist, daß sich jeder vergesellschaften und einfügen kann. Nichts Menschliches oder Allzumenschliches braucht deshalb den „Menschen vor Ort“ in deutschen Landen mehr fremd zu sein. Das erlaubt die Akzeptanz von allem und jedem, die Haltung des Gewährenlassens. Die Tugenden verlieren dabei ihr Prestige und die Laster ihre Schrecken und Heimlichkeit. Dem Hang, alles zu privatisieren und zu neutralisieren, genügen die Medien, aber sie haben ihn nicht erzeugt. Sie verstärken nur Erwartungen, die in einer Verbrauchergesellschaft, in der Lustgewinn ganz selbstverständlich ist, unvermeidlich sind. Informationen und Bilder sind Waren, die wie jedes Produkt ein Recht haben oder beanspruchen, vertrieben und gekauft zu werden, möglichst massenhaft. Denn erst als erfolgreiches Massenprodukt, das aufgenommen, nicht unbedingt wahrgenommen werden muß, können sie Vereinheitlichung produzieren, übereinstimmende Gefühle und Gesinnungen – eben die Gleichschaltung, die der Markt mit seinen Mechanismen verursacht. Pluralismus bedeutet nicht unbedingt eine Vielfalt von konkurrierenden Ideen, sondern von Produkten – zu denen auch Ideen werden -, die ihre Marktchancen erproben müssen. Produzenten streben danach, Führer zu werden, Marktführer. In der Meinungsindustrie geht es deshalb gar nicht um Freiheit und andere Restbestände aus dem diskutierenden liberalen 19. Jahrhundert. Dort geht es wie bei allen kapitalistischen Verwertungsanstrengungen um Eroberungen, um möglichst die bedingungslose Kapitulation ehrgeiziger Mitspieler zu erreichen. Journalisten haben unter solchen Bedingungen bei der Image-Fabrikation, der Meinungs- oder Wirklichkeitsproduktion – auch die Wirklichkeit ist längst eine beliebige Ware – zu „funktionieren“. Sie machen sich und ihren Beruf weitgehend überflüssig und werden zu beliebig verwendbaren Öffentlichkeitsarbeitern, getreu dem kategorischen Imperativ, den Günther Anders formulierte: „Handele niemals so, daß die Maxime deines Handelns den Maximen des Apparates, dessen Teil du bist oder sein wirst, widerspricht.“ Journalisten als Öffentlichkeitsarbeiter sind längst Teil eines Systems. Sie nutzen dessen Möglichkeiten für sich, passen sich an und verhelfen – was ihre Aufgabe im Produktionsprozeß ist – den Meinungskonsumenten zu dem Glücksgefühl, nicht allein zu sein. Mittlerweile ist es kaum noch möglich, sich den verlockenden Zwängen der Information oder Desinformation zu entziehen. Die Angestellten in der Öffentlichkeitsindustrie sorgen für beides, nicht nur wenn sie in Feldzüge und andere zu präparierende Sensationen „eingebettet“ sind, mit denen die Außenwelt in das Innere dringt, in die Eigenheime, und leeren Seelenraum bebildert. Sie dienen der Bildproduktion, nicht nur in den Bildmedien: Die populärste Tageszeitung in Deutschland nennt sich Bild. Sie sind eingespannt in die industrielle Verfertigung von „Bildern“ der Politiker, Prominenten, Stars oder anderer Phänomene in der kurzlebigen Unterhaltungsbranche, die Abwechslung braucht. Ohne ihre Verwertungsarbeit ließe sich die Öffentlichkeit nicht bewertend einstimmen für die Themen oder Personen, auf die ihre Aufmerksamkeit gelenkt wird. Öffentlichkeitsarbeiter kontrollieren nicht. Sie beschreiben. Sie stellen Konsens her. Sie gehören zu den Herrschenden, die ohne sie gar nicht herrschen würden. Tocqueville, der die Tyrannei der organisierten Mehrheit fürchtete, beobachtete betrübt in den USA, wie der behandelt wurde, der die fabrizierte Mehrheitsmeinung verschmähte und sich auf sich selbst verließ. Die Mehrheit sagte dem Sonderling: „Du bist frei, nicht so zu denken wie ich; du behältst dein Leben, deinen Besitz, alles; aber von dem Tage an bist du unter uns ein Fremdling … Du bleibst unter Menschen, aber du büßt deine Ansprüche auf Menschlichkeit ein. Näherst du dich deinen Mitmenschen, werden sie dich wie ein unreines Wesen fliehen“. Damit müssen die Freunde der Freiheit rechnen, was Tocqueville als einen leidenschaftlichen Freund der Freiheit immerhin bekümmerte. Dr. Eberhard Straub ist habilitierter Historiker und Publizist. Er lebt in Berlin.

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