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Archäologisch

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Eine Operette, in der ein Europäer amerikanischer Unkultur widerstehen und den Neger mitsamt seiner Jazzband aus ihrem Lokal „Grill américaine“ hinauswerfen, wäre heute allein schon der Political correctness halber schwerlich auf den Bühnen durchzusetzen. Daß Emmerich Kálmáns Tanzoperette „Die Herzogin von Chicago“ nicht auf den Spielplänen erscheint, sei nach Ansicht der Initiatoren einer Reihe „Entartete Musik“ bei Universal Music eben dieser Einstufung und der daraus folgenden Nichtaufführung seiner Musik durch die Nationalsozialisten geschuldet, die bis heute nachwirke. Doch belegt der widersprüchliche Umgang mit Person und Werk des Komponisten im Dritten Reich vielmehr, daß bei den sich überschneidenden Kompetenzen und divergierenden Interessen von Institutionen und Politikern von einer in sich konsistenten nationalsozialistischen Kulturpolitik überhaupt keine Rede sein kann. Das schnelle Verschwinden einer Operette, die nach ihrer Uraufführung 1928 im Theater an der Wien immerhin 242 Vorstellungen erlebt hatte und in wenigen Monaten vielerorts nachgespielt worden war, muß Gründe haben, die im Werk selbst aufzusuchen sind. Amerikanische Millionenerbin und verarmter Balkanprinz geraten aneinander und damit auch amerikanischer Jazz und Wiener Walzer bzw. Csárdás. Sie kauft sein Schloß und verliebt sich in den Verkäufer. Nach den üblichen genretypischen Intrigen bekommt sie endlich das, was in Europa am schwersten und für kein Geld der Welt zu bekommen ist: die Liebe des Prinzen. Und da der die Liebe der Millionenerbin längst hat, steht beider Verlobung nichts mehr im Wege, zumal sie inzwischen Walzer tanzen gelernt hat und er Charleston und ihr darüber hinaus der Titel einer Herzogin von Chicago verliehen worden ist. Der hohe personelle Aufwand, wie ihn die „Herzogin“ erfordert, war mit einsetzender wirtschaftlicher Depression von vielen Bühnen einfach nicht mehr zu leisten. Und Kálmáns prophetische Vorausschau auf den alles überschwemmenden American way of life bei gleichzeitiger Rückschau auf die längst verflossene k.u.k. Monarchie, die Kálmáns Phantasieland Sylvarien Pate gestanden hat, wie seine kompositorische Anstrengung zu symbiotischer Kulturvermischung mögen das Publikum denn doch überfordert haben. Da nicht nur die Tradition der Tanzoperette längst erloschen ist, sondern auch die Kultur, die sie immer neu heraufzubeschwören sucht, nähert sich Dirigent Richard Bonynge der Partitur als ein Archäologe, der mit nüchternem Blick und ruhiger Hand unter dem Flugsand von Vorurteilen die musikalische Substanz einer Unterhaltungsmusik freipinselt, die mit der Zeit längst in die Hochkunst aufgerückt ist. Das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Bonynge führt Pusztajazz und Negercsárdás nicht gegeneinander, sondern überführt beide in längst vergangene Traumlandschaften, ohne sich und den Hörer ihnen doch ganz auszuliefern. Selbstverständlich schluchzen die Zigeunergeigen, und selbstverständlich singt der junge deutsche Tenor Endrik Wottrich mit jener Träne in der Stimme, die so selten mit Anstand zu produzieren ist, und die australische Sopranistin Deborah Riedel mit der entwaffnenden Lässigkeit einer Lady, die sich dessen bewußt ist, daß Kálmán auch musikalisch ganz zu ihren Konditionen verhandelt. Doch zumindest in den Duetten mit Prinz Sándor wandelt sich die Golden Mary aus Amerika ein Stück weit zur Alt-Europäerin, und der Erbprinz von Sylvarien findet sich im Slowfox mit Mary in seine Rolle als europäischer Indianer. In der Operette geht das schon. Emmerich Kálmán: Die Herzogin von Chicago. Decca 466057-2

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