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Hausaufgaben abschaffen

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Hausaufgaben abschaffen

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Mit der Forderung nach Abschaffung der Schul-Hausaufgaben versuchte der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel vor wenigen Tagen im Wahlkampf zu punkten. Er mochte vielleicht bei vielen genervten Schülern damit einen Treffer gelandet haben, doch die sind mehrheitlich nicht wahlberechtigt. Über die Stimmung in der Bevölkerung zu diesem peripheren Thema kann man nur spekulieren.

Für den konservativen Bereich aber kann man zumindest eine gewisse Tendenz feststellen. In einer von der „Jungen Freiheit“ durchgeführten Leserumfrage sprach sich die übergroße Mehrheit von fast 97 Prozent für die Beibehaltung der Hausaufgaben aus. Und auch JF-Chefredakteur Dieter Stein wandte sich in einem Kommentar gegen Gabriel, allerdings gegen dessen krude Theorie, daß Hausaufgaben jene Kinder aus Unterschichten benachteiligten, deren Eltern ihnen dabei nicht helfend unter die Arme greifen können oder wollen.

Stein hat in seiner Kritik selbstverständlich Recht, denn Gabriel liefert damit dem Bildungsverfall noch gute Argumente. Demnach wären nämlich jene Eltern, die ihrem Kind Wissen vermitteln wollen, gar schuldig, weil sie diesem Vorteile gegenüber anderen Kindern verschaffen könnten. Hier zeigt sich das alte linkssozialistische Ressentiment, nachdem alles Hochragende, Klügere, Fleißigere, Edlere oder Talentiertere beschnitten und herabgestuft werden muß. Zumindest wenn es sich nicht ideologisch vereinnahmen läßt. Die Masse der Gleichen ist eben das Ziel der linken Sozialisten.

Kindern bleibt keine Luft zum Atmen mehr

Dennoch habe auch ich mich bei der JF-Umfrage beteiligt und als einer der wenigen Teilnehmer für eine Abschaffung der Hausaufgaben plädiert. Und zwar mit der einfachen Begründung, den Kindern mehr Zeit zum Spielen zu geben. Nicht nur durch Vorschule, frühen Fremdsprachenunterricht, übervolle Lehrpläne, Ganztagsschulen und „G8“ werden Schüler heute einem Lern- und Leistungsdruck ausgesetzt, der schlicht psychisch und physisch ungesund ist. Und später warten noch die verschulten Bachelor- und Master-Studiengänge auf die angehenden Studenten, so daß ihnen kaum mehr Luft bleibt zum Atmen und zum Nachdenken bleibt, schon gar nicht zum mußevollen Herausbilden eigenen Geistes.

Die Feststellung des Leistungsdrucks auf der einen widerspricht übrigens nicht dem Schwinden von Bildung und Ausdrucksfähigkeiten auf der anderen Seite. So wie in unserem Wirtschaftssystem auf der einen Seite Menschen entlassen werden oder von vornherein nicht für den Arbeitsmarkt brauchbar sind, werden andere, durch Rationalisierungen bedingt, einem ungeheuren Druck am Arbeitsplatz ausgesetzt. Daß es heute große Probleme mit Schülern in den Bereichen Lesen, Schreiben, Allgemeinbildung und Disziplin gibt, hat kaum etwas mit den Hausaufgaben zu tun, sondern vielmehr mit der kulturellen Herkunft vieler Schüler, der großen Vermehrungsrate in bildungsfernen Schichten, einer mangelnden Werteerziehung und einer stumpfen, uninteressanten Unterrichtsgestaltung.

Unlängst berichtete mir ein Vater, daß sein im Grundschulalter befindlicher Sohn bereits mit Massen von Hausaufgaben zugedeckt werde. Man käme als Eltern kaum damit nach, ihn bei diesen vielen Aufgaben angemessen zu betreuen. Zudem hatte der Vater das Kind bewußt in keine Vorschule schicken wollen, aber diese Distanz zu anderen Schülern müsse der Junge nun schmerzlich aufholen, da heute eine Vorschulerziehung offenbar bereits vielerorts vorausgesetzt werde.

Züchtung von Arbeitsrobotern

Ein anderer Vater berichtete mir von Herzrhythmusstörungen seiner in der Oberstufe befindlichen Tochter. Offenbar beruhen diese auf dem Leistungsdruck, der sie überfordert und ängstigt, so zumindest eine ärztliche Diagnose.

Ich will den Fall der Tochter meiner Cousine in den USA schildern. Sie ist dort auf eine Privatschule gegangen. Als die damals 16-Jährige uns vor wenigen Jahren besuchte, schilderte sie unbekümmert ihren normalen Tagesablauf, den ich aus meinem Gedächtnis wiedergeben will. Sie stand etwa um 6.00 Uhr auf, hatte dann um 7.30 Uhr Schwimmkurs. Um 8.30 Uhr war dann regulärer Schulbeginn. Es war eine Ganztagsschule, aus der sie etwa um 17.30 Uhr entlassen wurde. Durch die Busfahrt bedingt war sie um 19 Uhr zu Hause. Dort aß sie dann etwas und fing dann ab 21 Uhr an, Hausaufgaben zu machen. Zwischen 1 und 2 Uhr nachts war sie stets damit fertig und legte sich schlafen.

Hier, so mein Gedanke, werden die Arbeitsroboter der Zukunft herangezüchtet, die den Superreichen durch stete Zinstilgungen ihren Mehrwert erwirtschaften müssen. Auf der anderen Seite bleibt ihnen kaum eine andere Wahl, denn den Anschluß an diese besser bezahlte Jobwelt zu verpassen, könnte schnell mit der Gosse oder zumindest der Altersarmut bezahlt werden.

Unnütze Formeln für die Klausur gepaukt

Mir stand damals jedenfalls der Mund offen, als ich das hörte. Denn es war ein Kontrast zu meiner Schulzeit – die allerdings auch nicht 35.000 Dollar im Jahr kostete. Bei uns dauerte der Schultag noch von 7.45 bis ca. 13 Uhr, von gelegentlichem Nachmittagsunterricht in Sport oder einem Wahlpflichtfach abgesehen. Ich war ein fauler Schüler, der Hausaufgaben meist nur schlampig erledigte, manchmal erst schnell am nächsten Morgen während der Busfahrt zur Schule. Viele der gelernten Chemieformeln oder Berechnungen wurden nur in das Kurzzeitgedächtnis gepaukt, im Bewußtsein (das übrigens viele andere Schüler teilten), daß ich diese Dinge nie mehr im späteren Leben würde brauchen können.

Ich habe Recht behalten. Ich habe komplexe Kurvenberechnungen, Formeln zu Fliehkräften oder chemischen Elementen nie mehr gebraucht. Einzig mein nicht besonders gutes Englisch ist vielleicht eine späte negative Folge der damaligen Haltung, die ich heute aber – so ich wollte – leicht durch vertiefende Fortbildungskurse verändern könnte. Die meisten sinnlosen Schulstunden waren Zeitverschwendung.

Alles, was ich weiß und bin, habe ich mir selbständig angeeignet. Ich habe mir zum Beispiel wenig aus dem damaligen Literaturangebot des Deutschunterrichts gemacht, aber statt dessen eifrig Autoren gelesen, die mich interessierten und zu denen übrigens meine Deutschlehrerin einmal äußerte, sie dachte, die hätten gar keine Leser mehr. Eine gewisse Grundintelligenz ermöglichte es mir und einigen meiner Freunde, sich durch die Schullaufbahn zu schlängeln, ohne sehr viel pauken zu müssen, bis endlich mit dem Abiturzeugnis die Freiheit lachte. Die Freiheit, das lernen und lesen zu können, was ich lernen und lesen wollte. In seltenen Nächten habe ich heute noch Alpträume, die in der Schulzeit spielen, irgendeine Lernsituation betreffend, in die ich wie in einem Zeitkanal zurückgeworfen wurde. Freunde erzählen mir gelegentlich, daß sie ganz ähnliche Träume hätten.

Hausaufgaben sind Mogelpackung

Hausaufgaben, um auf das Thema zurückzukommen, entstehen nur deshalb, weil die Lehrpläne so überfüllt sind, die Lehrer so überfordert, so daß der vorgegebene Stoff gar nicht in der zur Verfügung stehenden Unterrichtszeit ausreichend behandelt und geübt werden kann. Aus diesem Grund sind Hausaufgaben eine Mogelpackung, die die Überfrachtung der Schüler mit unnützen Informationsmengen verdecken soll.

Zur übenden Nacharbeitung des Stoffs wäre eine angehängte Schulstunde unter Betreuung eines Lehrers die bessere Alternative. Warum? Weil sie einen klaren Schnitt mit sich bringt. Verläßt das Kind die Schule, dann ist es endlich frei. Es kann seine Kindheit leben, es kann spielen, lachen, Dinge tun, die seinen wahren Interessen entsprechen, eigene Interessen finden und Kreativität entwickeln, mit der Familie leben. Daß das Kind nicht vor Bildschirmen verfettet, ist dann Aufgabe der Eltern. Der Nachmittag gehört jedenfalls dem Kind allein, und es entzieht sich dann dieser großen Arbeitsmaschine der Erwachsenenwelt, die von der Vorschulerziehung oft nur direkt in den Burn-out des späteren Berufsunfähigen führt.

Deshalb sage ich Nein zu Ganztagsschulen und Nein zu Hausaufgaben. Weil ich Ja zur Kindheit und zur Freiheit sagen will.

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