Es ist eine Unverschämtheit, was gerade versucht wird. Unsere Demokratie ist in Gefahr. Es wird Zeit, Widerstand zu leisten gegen die politischen Parteien, die die Rechte anderer beschneiden wollen. Die Fraktionen versuchen derzeit, den deutschen Bundestag zu einem Ort der gleichgeschalteten Meinungen zu machen.
Der Ältestenrat des Deutschen Bundestages möchte durch die Geschäftsordnung festlegen lassen, daß nur noch die von den Fraktionen vorab bestimmten Redner im Bundestag sprechen dürfen. Hintergrund dieses zutiefst undemokratischen Vorgangs ist, daß der derzeitige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) bei der Debatte um den Euro-Rettungsschirm und das Rettungspaket für Griechenland auch Bundestagsabgeordnete (Frank Schäffler, FDP und Klaus-Peter Willsch, CDU) hat sprechen lassen, die konträre Meinungen zu ihren Parteien vertreten.
Die Fraktionen und deren Vorsitzende waren wegen der abweichenden Meinungen erzürnt, noch mehr aber, daß diese abweichenden Meinungen im Bundestag öffentlich kundgetan werden durften, obwohl die „Abweichler“ durch die Fraktionen gar nicht als Redner vorgeschlagen wurden.
Ein unwürdiges Schauspiel
Bundestagspräsident Lammert war jedoch der Meinung, daß eine Diskussion ausführlich und kontrovers öffentlich geführt werden müsse. Daher räumte er den Bundestagsabgeordneten, die gegen den Rettungsschirm waren, ein fünfminütiges Rederecht ein. Meines Erachtens zu Recht: Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, daß in einem demokratischen Land auch Minderheiten innerhalb ihrer Fraktion zu Wort kommen dürfen.
In diesem Zusammenhang sei nicht nur auf die grundgesetzlich normierte Meinungsfreiheit verwiesen, sondern auch darauf, daß Bundestagsabgeordnete Vertreter des Volkes sind, die an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind. So sieht es eigentlich das Grundgesetz vor.
Uns Bürgern ist zwar bewußt, daß der Bundestag nicht alle Themen anspricht, weil viele Themen für unsere Volksvertreter und vor allem für die Kanzlerin „wenig hilfreich“ oder auch einfach „alternativlos“ sind. Das nun jedoch auch unliebsame Meinungen im Bundestag unterdrückt werden sollen, ist ein unwürdiges Schauspiel, welches noch mehr Politikverdrossenheit bei den Bürgern erwecken wird.
Wo bleibt der Aufstand der Anständigen?
Anscheinend haben die 620 Bundestagsabgeordneten jedoch kein Interesse, die ihnen zustehende Meinungsfreiheit zu verteidigen. Ich habe noch nicht gehört, daß sich Abgeordnete gegen die Veränderungen der Geschäftsordnung ausgesprochen haben und gegen die Fraktionen und den Ältestenrat aufbegehren. Wo bleibt der Aufstand der Anständigen im Reichstag, die ihre Meinungsfreiheit verteidigen wollen? Wo sind die Bundestagsabgeordneten, die sich nur ihrem Gewissen unterwerfen? Gibt es sie überhaupt noch?
Der Grundgedanke der Demokratie war für mich bisher, daß man Themen offen anspricht, Gegenreden zuläßt und ausführlich diskutiert. Aufgrund besserer Argumente erhält dann eine Meinung bei einer Abstimmung die Mehrheit. Die Mehrheit bestimmt, was zukünftig geschieht. Das Argument, „Abweichler“ sollen nicht mehr reden dürfen, da ansonsten der politisch-organisatorische Betrieb in Berlin gefährdet werde, ist nicht nur als Grund vorgeschoben, es erweckt vielmehr den Eindruck, daß Volk sei völlig verblödet und man könne es mit diesem Argument für dumm verkaufen. Wenn die politischen Parteien im deutschen Bundestag aus machtpolitischen Gründen die Demokratie abschaffen wollen, dann wird Widerstand zur Pflicht.