Der jüngsten Ausgabe des Politikmagazins Frontal 21 war es ein Anliegen, sich darüber zu echauffieren, daß „der Staat die Neonazis gewähren läßt“. Gezeigt wurden NPD-Aktivisten bei ihren martialischen Auftritten: Sie feiern ein Sommerfest, das das Landratsamt Görlitz genehmigt hat, marschieren von Polizisten eskortiert durch das oberpfälzische Weiden und kleben provozierend vor den Augen der Polizei mit Pflastern ihre Nazitätowierungen im fränkischen Gräfenberg ab, um dort demonstrieren zu dürfen. Ein NPD-Konzert des indizierten Sängers Lunikoff wird abgefilmt. Der Bühne recken sich ein paar Arme entgegen. Hitlergruß also, der Staatsanwalt will davon nichts wissen, der Staat sieht also zu, so die Botschaft des Magazins.
Die Autoren der Sendung fragen betroffen bei Polizisten und Staatsanwalt nach und erhalten die beflissen kühle Beamtenauskunft, daß dem eben aus rechtsstaatlichen Gründen so wäre und man nichts unternehmen könne. Banal. Daraus soll offenbar zu erkennen sein, daß der Staat schläft, während die NPD eine bedrohliche Wühlarbeit leistet, die die Demokratie unterminiert. Es kommen Bürgerinitiativen zu Wort, Emotionen sind zu erleben, wieder mit indigniertem Ton, wieder enttäuscht von Justiz und Exekutive.
Frontal 21 bietet ohne Zweifel Qualitätsjournalismus. Weshalb aber werden rechtsstaatliche Selbstverständlichkeiten beklagt, anstatt das Problem im Kern aufzufassen? Die Polizei schützt nun mal angekündigte Demonstrationen. Wenn aber gezeigt wird, daß die NPD mit dem Slogan „Das System ist am Ende – wir sind die Wende!“ auftrumpft, dann wäre genau dies es wert, nachgefragt zu werden. Könnte man nicht einem der Aktivisten mal das Mikrophon hinhalten und ihn um die Erörterung der Losung bitten? Was hindert daran? Kein Podium bieten? Ansteckungsgefahr?
Die eigentliche Gefahr liegt darin, daß das „System“ tatsächlich krankt. Nach einer ARD-Studie von 2006 waren 51 Prozent der Deutschen mit der Demokratie unzufrieden, 66 Prozent beklagen fehlende Gerechtigkeit. Man darf vermuten, daß die Zahlen 2009 noch viel krasser ausfallen.
Im Inneren reinweg nationalsozialistisch
Daß Problem besteht nicht darin, daß es die NPD gibt. Die NPD ist eine antidemokratische Partei und Ausdruck politischer Umstände. Entgegen ihrer offiziellen Selbstdarstellung dürfte sie im Inneren reinweg nationalsozialistisch aufgestellt sein. Das ist skandalös. Und gefährlich. Skandalöser und weit gefährlicher ist es jedoch, daß die Demokratie und die demokratischen Politiker keine Bindekräfte mehr entfalten können, weil es an Redlichkeit und vor allem an Mut zum offenen Wort und zum Diskurs über existentielle Probleme gebricht, weil die Jugend der Politik weitgehend entfremdet wurde und weil eine Sprache regiert, die euphemistisch und verlogen anmutet.
Die in den vergangenen fünfzehn Jahren riskierten Brüche werden so immer noch als innovative Reformpolitik dargestellt; die NPD gilt als etwas Unheimliches und Pathologisches, das mit Ritualen und schulischen Aufklärungskampagnen quasi kuriert werden kann, wenn man nur dazu bereit ist, ein Guter, ein Demokrat zu sein. Gefährlicher Unfug.
Die Menschen mögen sich mit Media-Markt, H & M und iPhones identifizieren und sich von Discount-Flügen nach Las Palmas korrumpieren lassen, aber es fehlt ihnen mehr und mehr die Fähigkeit und die Lust zur Politik. Da liegt die Gefahr – weit brisanter als auf einer Wiese bei Görlitz, wo Neonazis Dosenbier trinken und einer steifen Rede von Udo Pastörs zuhören. Ralf Dahrendorf ging weiland auf den Staatsfeind Dutschke zu und setzte sich mit ihm auseinander. Vielleicht ist das in anderer Richtung mal nötig. Aber wer hätte die Courage von Dahrendorf?