Vor fünf Jahren veröffentlichten Thea Dorn und Richard Wagner ein opulentes Werk über „Die deutsche Seele“ kurz nachdem Thilo Sarrazin mit seinem Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ die Großdebatte um den demographischen Niedergang und die Risiken ungesteuerter Einwanderung ausgelöst hatte. Dorn und Wagner loteten die sinnlichen Bezugspunkte unserer Identität aus in einem Moment, als noch die Euphorie über den Anbruch eines postnationalen Zeitalters vorzuherrschen schien.
Die 2015 entfesselte Flüchtlingskrise hat jedoch abrupt ein neues Nachdenken über Sinn und Wert nationaler Identitäten, des Nationalstaates belebt. Plötzlich fällt es vielen Menschen wie Schuppen von den Augen, daß im Ernstfall offensichtlich (siehe Balkanroute) nur intakte Nationalstaaten über den entscheidenden Handlungs- und Ordnungs-, aber auch Integrationsrahmen für soziale Gemeinschaften verfügen.
Deutsche glauben an ihren „Nationalcharakter“
Eine soeben veröffentlichte Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach für die FAZ zeigt, daß eine deutliche Mehrheit über alle Parteigrenzen hinweg von der Existenz eines „Nationalcharakters“ ausgeht und glaubt, daß ein Bekenntnis zur Verfassung und die Staatsangehörigkeit allein nicht ausreicht, um Deutscher zu sein oder zu werden. Offensichtlich bleibt das einigende Band die Vorstellung, eine generationenübergreifende Schicksalsgemeinschaft zu sein.Wenn etablierte Parteien vergessen, daß die deutsche Verfassung auf einem konkreten Volksbegriff wurzelt und ihn in einer beliebigen multikulturellen „Bevölkerung“ aufgehen lassen wollen, rühren sie an dem Fundament der demokratischen Ordnung.
Der Staatsrechtler Dietrich Murswiek hat in einem Aufsatz über „Nationalstaatlichkeit, Staatsvolk und Einwanderung“ gerade noch einmal scharf herausgearbeitet, das Grundgesetz setze ein Staatsvolk voraus, das „in seiner großen Mehrheit aus ethnisch Deutschen besteht und daß diejenigen, die eingebürgert werden, sich sprachlich-kulturell assimilieren oder jedenfalls integrieren“. Und das geht eben nur in einem begrenzten qualitativen und quantitativen Rahmen – zum Beispiel durch klare Obergrenzen.
Diesen Nerv trifft eine Gruppe, die sich „identitär“ nennt und aus der französischen rechten Szene über Österreich nach Deutschland geschwappt ist. Jeder Bezug auf Volk und Identität rührt in Deutschland an heikle geschichtspolitische Gesichtspunkte. Gegner der Idee der Nation versuchen gerne pauschal, diese als durch den moralischen Bankrott der völkisch-nationalistischen NS-Ideologie als historisch erledigt zu verwerfen, eine Vorstellung, die den Demokraten von links bis rechts, die das Grundgesetz 1949 schufen, unvorstellbar gewesen wäre. Um so mehr müssen die Verteidiger der Nation ihre Tradition stets unmißverständlich klären und dürfen Volk und Nation nicht in falsche Bezüge und Begriffe rücken.
JF 40/16