Seit die Piratenpartei vor einem halben Jahr, im September 2011, mit 8,9 Prozent in Berlin den ersten Einzug in ein Landesparlament geschafft hat, befindet sie sich auf einem ungebremsten Siegeszug: Es folgte im März das Saarland mit 7,4 und nun Schleswig-Holstein mit 8,2 Prozent. Am kommenden Wochenende ist der Einzug in den Landtag des bevölkerungsreichsten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen so gut wie programmiert.
Die etablierten Parteien reagieren verunsichert, denn durch eine weitere Partei gerät die Arithmetik durcheinander, sind Koalitionen schwieriger zu arrangieren. Abgeordnete unterschiedlicher Fraktionen, die teils seit mehreren Legislaturperioden gemeinsam die Parlamentsbänke drücken, handeln delikate Fragen wie die Erhöhung von Diäten oder eine üppigere Parteienfinanzierung geräuschlos ab. Vorwitzige Neulinge stören dann, die auf die Idee kommen, das Ganze zu hinterfragen.
Dennoch erleben wir nach dem ersten Hallo bereits die schleichende Entzauberung der neuen Partei. Daran wird von den anderen Parteien natürlich kräftig gearbeitet, denn es geht schließlich um Pfründe, Posten und Penunzen. Nach anfänglicher Scheu und vermeintlichem „Welpenschutz“ knöpfen sich Politiker und Journalisten die digitalen Weltverbesserer vor: Und tatsächlich eiern die Piraten bei vielen zentralen politischen Fragen – Afghanistaneinsatz, Nahostkonflikt, Finanzkrise – hilflos herum.
Das Parteiensystem und der Zeitgeist haben die Piraten selbst geboren
Andererseits kristallisieren sich immer stärker gesellschaftspolitische Positionen heraus, die die Piratenpartei zu einer „Linkspartei mit Internetanschluß“ (Christian Lindner) machen: Drogenlegalisierung, Einführung einer Einheitsschule, diverse steuerfinanzierte Flatrates, lässige Asyl-Politik, Abschaffung des Eheprivilegs und das Einstimmen in den geistlosen „Kampf gegen Rechts“.
Es ist nicht überraschend, daß die Piratenpartei überwiegend „irgendwie links“ ist. Sie ist das moderne politische Medium einer neuen Generation. Und weil der Zeitgeist „irgendwie links“ ist, fast alle Journalisten „irgendwie links“ sind, ist auch das Generationenprojekt Piratenpartei „links“. Alles andere wäre merkwürdig. Warum nur wollen die mit Twitter und Facebook groß gewordenen Piratenjünger sich nicht dankbar bei den analogen Oldies SPD und Grüne einreihen und Sigmar „Siggi Pop“ Gabriel oder der rebellischen Claudia Roth zujubeln? Weil es saturierte Bonzen sind, die als uncool gelten.
Das Parteiensystem und der Zeitgeist haben die Piraten selbst geboren. Daß sie unfähig sind, sich in entscheidenden Fragen (Euro-Rettung, Zuwanderung, Sozialstaat) zur Stimme einer erpreßten Mittelschicht zu machen, zeigt, wie unpolitisch sie wiederum sind – und demnächst wie eine Welle am Damm der Altparteien brechen oder als linker Mehrheitsbeschaffer vereinnahmt werden.
JF 20/12