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Frank-Walter Steinmeier: Präsident der Schmerzen

Frank-Walter Steinmeier: Präsident der Schmerzen

Frank-Walter Steinmeier: Präsident der Schmerzen

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: Eine historisch bedeutende Rede sucht man vergeblich Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Michael Sohn
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: Eine historisch bedeutende Rede sucht man vergeblich Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Michael Sohn
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: Eine historisch bedeutende Rede sucht man vergeblich Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Michael Sohn
Frank-Walter Steinmeier
 

Präsident der Schmerzen

Frank-Walter Steinmeiers erste Amtsperiode hat gezeigt: Er vertieft gesellschaftliche Gräben eher, als daß er zu deren Überwindung beiträgt. Er ließ zahlreiche Gelegenheit aus, sich als Brückenbauer zu profilieren. Was läßt das für die Zukunft erwarten? Ein Kommentar.
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Einen „Brückenbauer“ nannte ihn sein Parteifreund, der neue SPD-Chef Lars Klingbeil, einen leidenschaftlichen Verteidiger der Demokratie. Angesichts der sinkenden Umfragewerte der führenden Regierungspartei ist die erneute Wahl eines Sozialdemokraten in das höchste deutsche Staatsamt die ideale Gelegenheit, auf die Partei-Propagandapauke zu hauen.

Die Wiederwahl Frank-Walter Steinmeiers zeugt vom Rückfall in überwunden geglaubte Muster: der Präsident (wie einst Christian Wulff) als Schachfigur im machttaktischen Kalkül von Regierungsparteien, bei dem in diesem Fall die CDU als begossener Pudel dasteht, die mal wieder nicht wahrhaben will, daß der aus der Merkel-Ära ererbte sozialdemokratische Konsenskurs vor allem dafür sorgt, daß man – salopp formuliert – von den Sozis naßgemacht wird. Es ist nicht das erste Mal, daß Klingbeil und sein Präsident rhetorisch Hand in Hand marschieren und Steinmeier damit als Präsidenten entlarven, der im Gegensatz zu den meisten seiner Vorgänger das eigene Parteibuch nie aus dem Blick verloren hat.

„Mein Verständnis endet da, wo Demonstranten sich vor den Karren von Demokratiefeinden und politischen Hetzern spannen lassen.“ Mit diesen Worten kommentierte der alte und neue Präsident der Bundesrepublik Deutschland die zum Skandal aufgeblähten Vorfälle aus dem ersten Corona-Jahr: Am 29. August 2020 hatten Demonstranten mit der Flagge des Deutschen Reiches die Stufen des Reichstags gestürmt. Als sich selbiges ein paar Jahre zuvor, wie die JF nachwies, mit den Symbolen der Anti-Atomkraft-Bewegung ereignet hatte, regte das keinen auf. Vor dem falschen „Karren“ also warnte Steinmeier, vor „Rechtsextremen“, die auf derartigen Demonstrationen „Anschluß ans bürgerliche Lager“ suchten, der damalige SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. Zwischen SPD-Parteizentrale und Bundespräsidialamt waren lediglich die Metaphern ausgetauscht worden. Ein überparteilicher Präsident, der wirklich der Repräsentant aller Deutschen sein möchte, ein „Brückenbauer“, hätte hier integrative und nicht diffamierende Worte gewählt, die viele verletzt haben.

Eine historisch bedeutsame Rede gibt es nicht

Die einzige Brücke, die unserer Gesellschaft wirklich fehlt, hat Steinmeier nicht mal als Baustelle in Angriff genommen. Stattdessen hat er in einer Reihe populistischer Gardinenpredigten die Brücken zu denen abgebrochen, die eben auch Deutschland sind: Skeptiker und sogenannte Querdenker, die sich weigern, forsch neu etablierte Wahrheiten widerspruchslos zu schlucken. Die Aktion „Deutschland spricht“ und die Bürgerdialoge, die auch Impfgegner einschlossen, sind ein Feigenblatt, das beschämende elementare Defizite des Präsidenten kaum verdeckt: Viel zu oft reproduzierte er plumpe SPD-Parteirhetorik und unterstützte damit ein Polit-Establishment, das eifersüchtig das Ziel verfolgt, einen vom Souverän in alle Legislativorgane der Bundesrepublik gewählten Volksvertreter als Demokratiefeind zu ächten.

Nur schwer mit der Würde des höchsten Staatsamtes vereinbar erscheint auch die Selbstvermarktungsstrategie, mit der Steinmeier schon früh aufs Schloß Bellevue schielte. Selbstbewußte Scharmützel, wie sie sich der stets wachsame Richard von Weizsäcker mit einem zuweilen selbstgefällig agierenden CDU-Kanzler lieferte, sucht man daher – mit Rücksicht auf die angestrebte Wiederwahl – in der ersten Amtsperiode des Bundespräsidenten vergeblich. Eine große, historisch bedeutsame Rede ebenfalls. „I’m the boring one“, wurde Steinmeier in Anspielung auf eine Äußerung des in England erfolgreichen Fußballtrainers Jürgen Klopp karikiert. Die Ansprachen des Präsidenten sind genauso einschläfernd und beamtisch-öde vorgetragen wie alles, was Angela Merkel in ihren 16 Jahren Kanzlerschaft direkt ans deutsche Volk gerichtet hat.

Es mag ja stimmen, daß Steinmeier, wie Befürworter seiner Wiederwahl gestern gebetsmühlenhaft wiederholten, ein Verteidiger der Demokratie ist. Ein Verteidiger der Menschen- und Bürgerrechte gegen einen anmaßenden staatlichen Zugriff jedenfalls ist er nicht. Es kommt eben immer darauf an, welchen Begriff von Demokratie man mit sich herumträgt: den bürgerlich-liberalen oder den sozialistischen, der grundsätzlich das Kollektiv mehr im Blick hat als das Individuum und daher allzeit bereit ist, dessen Rechte auf dem Altar eines angeblich alternativlosen Allgemeinwohls zu opfern.

Steinmeier macht eine Kampfansage

Steinmeier, der große Demokrat, hat es versäumt, die Bundeskanzlerin zur Ordnung zu rufen, als sie eine nach allen Regeln der Demokratie ordnungsgemäß verlaufene Ministerpräsidentenwahl in Thüringen 2020 „rückgängig“ zu machen verlangte. Er hat es versäumt, entschieden die Stimme zu erheben gegen die grundgesetzwidrigen Eingriffe ins Freiheitsrecht des Bürgers zugunsten des Gesundheitsschutzes einer vulnerablen Minderheit. Er hat es versäumt, es als demokratiegefährdend zu beanstanden, als der deutsche Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen ganz ähnlich wie in den USA unter Donald Trump der selbstbewußte FBI-Direktor Comey zugunsten eines Regierungsgünstlings abserviert wurde.

Er hat es versäumt, die mißbräuchliche Beflaggung von öffentlichen Gebäuden durch das Symbol der für das deutsche Volk nicht repräsentativen Regenbogenideologen zu kritisieren. Er hat es versäumt, den Block der älteren Parteien des Bundestags dafür zu rügen, daß sie nicht allen ins Parlament gewählten Fraktionen einen Vertreter im Bundestagspräsidium zubilligen.

Im vollen Bewußtsein der von ihm verkörperten doppelten Demokratie-Moral hat der alte und neue Bundespräsident in seiner Rede im Anschluß an seine Wiederwahl sein programmatisches Demokratie-Narrativ demonstrativ zu konsolidieren versucht: Wer für die Demokratie streite, habe ihn auf seiner Seite, den anderen sagte er den Kampf an. Es könnte eine vertrauensbildende  Maßnahme sein, wenn Steinmeier in seiner zweiten Amtszeit mehr von Freiheit und weniger von Demokratie spräche. Demokratisch nannte sich schließlich auch die „DDR“.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: Eine historisch bedeutende Rede sucht man vergeblich Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Michael Sohn
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