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Marc Jongen, ESN Fraktion

Zukunftsperspektiven der AfD: Falschen Legenden vorbeugen

Zukunftsperspektiven der AfD: Falschen Legenden vorbeugen

Zukunftsperspektiven der AfD: Falschen Legenden vorbeugen

AfD: Gründe für die jüngsten Mißerfolge gibt es viele
AfD: Gründe für die jüngsten Mißerfolge gibt es viele
AfD: Gründe für die jüngsten Mißerfolge gibt es viele Foto: picture alliance/Daniel Karmann/dpa
Zukunftsperspektiven der AfD
 

Falschen Legenden vorbeugen

Obwohl sich Deutschland zunehmend in ein Tollhaus verwandelt, gelingt es der AfD immer weniger, sich als Alternative Geltung zu verschaffen. Die Partei steht vor einem unauflösbaren Widerspruch. Ein Kommentar von Thorsten Hinz.
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Wenn das Land sich in ein Tollhaus verwandelt, seine Balkanisierung voranschreitet und die Sozialsysteme ausbluten, weil die Politik den Kreis der Zugangsberechtigten ins Uferlose ausweitet, dann, so sollte man meinen, wird die Sehnsucht nach einer politischen Alternative übermächtig und schlägt sich auch in Wahlergebnissen nieder. Insbesondere wenn sogar das Offenkundige – die Existenz von Mann und Frau – von Politkommissaren zur „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ erklärt und die Wirklichkeit von Staats wegen der Abschaffung überantwortet wird.

Trotzdem kann die AfD sich als Alternative immer weniger Geltung verschaffen. Es gibt dafür externe und interne Gründe, wobei die äußeren auf die inneren Gründe verschärfend wirken oder sie erst verursachen. Der wichtigste ist der brachiale soziale Druck, der sich bis zu physischen Attacken auf Funktionäre und Mandatsträger steigert, was anschließend in den Medien höhnisch kommentiert wird. Nicht jeder hält diesem Alltagsterror stand. Wer sich nicht zu den catalinarischen Existenzen rechnet, fragt sich, warum er sich das zumuten soll.

Manche versuchen sich vor der Öffentlichkeit zu salvieren, indem sie sich geräuschvoll aus der Fraktion und der Partei verabschieden, weil sie etwas festgestellt haben, was sie bis dato nicht bemerkt hätten: daß die Partei angeblich von Radikalen und Extremisten dominiert wird. Natürlich geschieht das unter Mitnahme des Mandats und mit Hinweis auf die Verpflichtung gegenüber dem Wähler, den man doch gerade enttäuscht hat. Denn es ist klar, daß ein fraktionsloser Abgeordneter politisch nichts bewegen kann. Doch Abgeordnetensaläre stinken nicht. Das Ehepaar Frauke Petry und Marcus Pretzell brachte es sogar zu vier fraktionslosen Parallel-Mandaten. Die Medien können dann als sich selbst erfüllende Prophezeiung präsentieren, daß die neue Partei auch in Sachen Beutegier sich nicht besser, eher noch schlimmer verhält als die alten.

AfD startete als „Bürger auf die Barrikaden“-Partei

Gründe für die jüngsten Mißerfolge gibt es viele, doch gilt es einer Legende vorzubeugen: der Legende, nach der die AfD von den Altparteien zwar argushaft beäugt und bekämpft wurde, aber alle Chancen hatte, sich mit der Zeit zum honorigen Teil eines bürgerlichen Parteienlagers zu mausern und das Land, die Union und die Liberalen auf das richtige Gleis zu setzen. Erst „Extremisten und Radikale“ – vornehmlich aus dem Osten –, so die Legende weiter, hätten sie auf die schiefe Bahn und in Verruf gebracht, was die Wachsamkeit der wehrhaften Demokraten und schließlich den Verfassungsschutz auf den Plan gerufen habe.

Tatsächlich startete die AfD als professorale „Bürger auf die Barrikaden“-Partei. Anlaß war die Euro-Krise, die im Fehlkonstrukt der Gemeinschaftswährung angelegt und 2010 mit der griechischen Staatspleite akut geworden war. Statt das Übel bei der Wurzel zu packen, wurden seitdem ein Rettungspaket nach dem anderen, und das heißt: anhaltende Transferszahlungen von Nord- nach Südeuropa beschlossen, was einen klaren Bruch des Maastricht-Vertrags bedeutet. Die Hauptlast trägt Deutschland.

Heute stehen die Ex-Kanzler Schröder und Merkel nachträglich in der Kritik, doch erfolgt diese aus den falschen Gründen. Der schlimmste Fehler Schröders war nicht Nord Stream 2, sondern die Zustimmung zum Beitritt der Südstaaten, insbesondere Griechenlands, zum Euro-Club. Merkels größter Fehler war nicht das Nein zum Nato-Beitritt der Ukraine, sondern – neben der Grenzöffnung 2015 – daß sie in der Währungspolitik den Südstaaten die faktische Hoheit überlassen hat.

Als am 9. Mai 2010 in Brüssel über die Zukunft des Euro entschieden und eine 750 Milliarden Euro teure Rettungsaktion für die malade Währung beschlossen wurde, hielt Merkel es für angezeigt, nach Moskau zu reisen und gemeinsam mit Präsident Wladimir Putin den russischen „Tag des Sieges“ über Deutschland zu begehen, während der damalige Finanzminister Schäuble wegen eines Schwächeanfalls in der Klinik lag.

Auf Argumente folgte administrativer Druck

Weil diese Politik zum Schaden Deutschlands von allen etablierten Parteien mitgetragen wurde, war die Gründung einer Alternative zum Nutzen und Schutz des Landes zwangsläufig. Nur hatten die ehrenwerten Professoren und besorgten Bürger nicht vorausgesehen, daß es sich bei der Euro-Politik um keine fiskalische Sachfrage, sondern um eine politische Grundsatzensscheidung handelte, die vom gesamten politisch-medialen Komplex mitgetragen wurde. Mit nüchternem Sachverstand war gegen sie nicht anzukommen, im Gegenteil. Denn jedes Sachargument lief auf eine Delegitimierung des Machtkomplexes hinaus, der entsprechend reagierte. Natürlich nicht auf der argumentativen Ebene, denn auf der konnte er nichts vorbringen, um so mehr stattdessen durch Propaganda und administrativen Druck.

Die AfD konnte beteuern, absolut verfassungstreu zu sein, Demokratie und Rechtsstaat hochzuhalten – es nutzte ihr nichts, sie war als objektiver Feind identifiziert. Europa- und ausländerfeindlich, nationalistisch, rechtsextrem, lauteten die Schlagworte. Und natürlich: Nazi! Die zivilgesellschaftliche Lynchstimmung traf unmittelbar den freundlichen Bernd Lucke, Wirtschaftsprofessor, Ex-CDUler und AfD-Mitbegründer: Aufgehetzte Rüpel wollten ihn im Frühjahr 2015 aus dem ICE werfen.

Die Kritik an der Euro-Politik zielte auf eine zumindest partielle Wiederherstellung der deutschen Währungs- und Haushaltssouveränität. Damit aber rührte sie an die auf Selbstauflösung gerichtete bundesrepublikanische Staatsräson, in der sich Europa-Romantik, paranoider Selbstabschaffungstrieb und Politikfurcht mischen. Die politische Klasse und die Bevölkerung waren es gewohnt, in den großen politischen Fragen, die die Rahmenbedingungen ihrer staatlichen Existenz betrafen, unter Vormundschaft ihrer Vormächte zu stehen, so daß sich ihr Begriff von Politik auf Gesellschafts-, Wirtschafts- und Sozialpolitik beschränkte. Mit der staatlichen Souveränität, die ihnen 1990 zufiel, intellektuell und mental überfordert, hatten sie nichts Eiligeres zu tun, als sie einem imaginierten „Europa“ zu überantworten.

Über die Naivität der Deutschen wurde herzlich gelacht

Wer das Glück hatte, den 2018 verstorbenen ehemaligen FDP-, dann BFB-Politiker und hohen EU-Mitarbeiter Manfred Brunner kennenzulernen, erinnert sich an einen warmherzigen und hochgebildeten Mann von katholisch-bairisch eingefärbter Liberalität. Brunner war Anfang der 90er Jahre Kabinettchef bei der EU-Kommission in Brüssel gewesen und hatte im Vorfeld des Maastricht-Vertrags erlebt, daß die Abgesandten der anderen Staaten mit der geplanten Gemeinschaftswährung keinen europäischen Idealismus, vielmehr ihren je eigenen nationalen Egoismus verbanden. Über die Naivität der Deutschen machten sie sich lustig, da jene tatsächlich glaubten, die anderen Länder würden sich nach der Euro-Einführung den strengen Regeln der Bundesbank fügen.

Weil er in keiner Partei Gehör fand, gründete er den „Bund Freier Bürger“ (BfB), um parlamentarischen Widerstand gegen den Vertrag zu organisieren. Mit dem Ergebnis, daß dieser durch und durch liberale Mann im besten Sinne als Extremist und Nazi stigmatisiert wurde. Das war absurd, erwies sich im absurden bundesrepublikanischen Kontext jedoch als äußerst effektiv. Wahlkundgebungen des BfB wurden durch einen Mob gestört. Brunner war davon überzeugt, daß es sich um keine spontanen, sondern um geplante und konzertierte Aktionen handelte. Zermürbt und ohne bürgerliche Unterstützung gab er schließlich auf.

Der Euro ist von Deutschland aus gesehen ein Produkt nationaler Selbstvergessenheit, die im „Kampf gegen Rechts“ ihren (auto-)aggressiven Ausdruck findet und sich mittlerweile auf alle Bereiche des öffentlichen Lebens erstreckt. Den Gründer-Professoren der AfD war nicht hinreichend klar, daß die Euro-Frage das Herzstück eines größeren politischen Zusammenhangs bildet und sie sich auf vermintes Gelände begaben. Die Währungssouveränität ist ein zentrales Element der politischen Selbstbestimmung, zu der die Hoheit über die Grenzen, über die Staatsbürgerschaft, den Staatsaufbau, über den Zugang zum Sozialsystem und das Asylrecht gehören.

Weiterhin zählen dazu der Heimatschutz, die Hoheit über die Wertvorstellungen und Begriffe, die kulturelle Identität, die moralische Selbstbehauptung. Die Thematisierung dieser Zusammenhänge wurde umgehend als „extremistisch“ eingestuft. Die AfD-Extremisten wurden vor allem im Osten gesichtet, wo man 1990 tatsächlich geglaubt hatte, die Diktatur überwunden zu haben und im „richtigen“ Deutschland angekommen zu sein.

AfD steht vor unauflösbarem Widerspruch

Die AfD steht vor dem Problem, daß die nationale und politische Selbst- und Seinsvergessenheit sämtliche Institutionen und Begriffe transzendiert: Demokratie, Grundgesetz, Diskurs, Meinungsfreiheit, Verfassungsschutz et cetera. Wenn Faeser, Haldenwang und Co. die „Gefahr von rechts“ zur größten aller Bedrohungen erklären, bewegen sie sich in einem wahnhaften Universum, das mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat, doch ist dieses Universum identisch mit dem politischen, geistigen und medialen Überbau der Bundesrepublik. Das gibt ihnen die Macht und die Möglichkeit, den persönlichen zum kollektiven Massenwahn zu erweitern.

Eine Partei, die gegen die Selbstaufgabe des Landes antritt, muß logischerweise eine Alternative zu diesem Überbau verkörpern, weshalb sie – logischerweise – keinen Platz in ihm findet. Die Partei steht also vor einer Aporie, vor einem unauflösbaren Widerspruch. Der offenbarte sich unter anderem im Kotau des aus der Partei ausgeschiedene Bernd Lucke vor einem studentischen Mob: Lucke dokumentierte, ebenfalls stets im „Kampf gegen Rechts“ gestanden zu haben – in einem „Kampf“, der sich nicht nur gegen sein politisches Ursprungsziel, sondern auch gegen seine soziale Existenz und die Unversehrtheit seiner Person richtet.

Von AfD-Anhängern wie von linken und liberalen Kritikern der Zustände werden Vokabeln wie Schein- und Post-Demokratie oder Neototalitarismus verwandt. Wer sie ernst meint, muß sich der Frage stellen, was eine echte Oppositionspartei, die eine Alternative sein will, unter diesen Umständen maximal erreichen kann, über welche Wirkungsmöglichkeiten sie bestenfalls verfügt, welche pragmatischen Minimalziele sie sich setzen soll.

Was können Wahlen überhaupt noch ausrichten? Wieviel Bedeutung hat ein Parlament im heutigen Machtgefüge? Was will die AfD idealerweise besser machen, was die österreichische FPÖ unter ungleich günstigeren Voraussetzungen nicht vermocht hat? Ist es überhaupt denkbar, einer stramm „antirechts“ konditionierten, teilweise bereits pathologisierten Öffentlichkeit und Wählerschaft sich verständlich zu machen? Wieviel Kompromisse kann und soll man eingehen? Oder bleibt am Ende doch nur die bespöttelte „Meinungsblase“ als Refugium? In der Regel sind es immer nur Einzelne, die widerstehen.

AfD: Gründe für die jüngsten Mißerfolge gibt es viele Foto: picture alliance/Daniel Karmann/dpa
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