Spätestens seit dem Scheitern der Einführung einer „allgemeinen“ Impfpflicht – zuletzt dann nur noch für über 60jährige – im Deutschen Bundestag, wesentlich auch wegen verfassungsrechtlicher Bedenken, beginnt sich unter Verfassungsrechtlern herumzusprechen, daß auch bereits die „einrichtungsbezogene“ Impfpflicht, die seit dem 15. März 2022 Ärzte und Pfleger trifft, verfassungsrechtlich unhaltbar ist. Denn die Einführung einer Impfpflicht wäre nur zulässig, wenn es um die endgültige Ausrottung einer für jedermann lebensgefährlichen Krankheit (Pocken: Sterblichkeit 30 Prozent!) durch Verabreichung eines wirksam zugelassenen, bewährten Totimpfstoffs geht.
Das Coronavirus kann als schnell mutierende Zoonose niemals ausgerottet werden; es ist für jüngere und gesunde Menschen nicht übermäßig gefährlich; und die Impfung, deren Wirkung nach drei Monaten ohnehin erlischt, kann von vornherein keinen wirksamen Fremdschutz vermitteln. Und bei den nur provisorisch zugelassenen mRNA-Impfstoffen handelt es sich nicht um bewährte Totimpfstoffe, sondern eher um eine prophylaktische Gentherapie, die gesunde Muskelzellen durch Einschleusung von RNA zur Produktion von „Spike-Proteinen“ umprogrammiert. Deren Nebenwirkungen in der Blutbahn sind unklar, möglicherweise lösen sie Thrombosen aus.
Daher haben in den letzten Monaten Ärzte und Pfleger – die alle keine traditionellen „Impfgegner“ sind, nur eben, und zwar aus schulmedizinischen Gründen, die Pflicht zur „Impfung“ mit einem kaum wirksamen und zugleich potentiell gefährlichen Impfstoff ablehnen – hundertfach Verfassungsbeschwerde gegen § 20a Infektionsschutzgesetz erhoben. Ganze 215 Anträge hierzu zählt Karlsruhe mittlerweile. Man sollte nun erwarten, daß das Bundesverfassungsgericht sich sorgfältig mit ihren wissenschaftlich fundierten Argumenten auseinandersetzt.
Beschwerden zur Impfpflicht abgelehnt
Dies passiert aber nicht: In diesen Tagen und Wochen lehnt das Bundesverfassungsgericht massenhaft die Annahme solcher Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung ab und begründet dies stereotyp meist nur mit einem einzigen Satz, der darauf hinausläuft, die Beschwerde sei durch den Prozeßbevollmächtigten – angeblich – mangelhaft begründet worden. Gegen diese systematische Rechtsverweigerung – es geht in jedem Einzelfall immerhin um die Vernichtung der beruflichen Existenz eines Berufsträgers, den die alternde Gesellschaft dringend braucht – beginnen Rechtsanwälte zunehmend Sturm zu laufen.
Eine Verfassungsbeschwerde bedarf (seit 1993) der „Annahme zur Entscheidung“. Diese ist theoretisch jedoch kein freier Gnadenerweis des Gerichts, da § 93a Abs. 2 Bundesverfas-sungsgerichtsgesetz dem Gericht die Annahme zwingend vorschreibt, wenn die Sache grundlegende verfassungsrechtliche Bedeutung hat und die Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung der Grundrechte der Betroffenen angezeigt ist. So liegt es hier. Die Nichtannahme zur Entscheidung durch das Gericht kann jedoch nicht weiter überprüft werden, es gibt ja keine Berufungsinstanz. Und gemäß § 93d Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz, einer rechtspolitisch mehr als problematischen Norm, muß die Nichtannahme zur Entscheidung noch nicht einmal begründet werden.
Den Betroffenen steht aber die Individualbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte offen; dieser kann Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nicht aufheben, er könnte aber die Bundesrepublik Deutschland wegen Verletzung des Fair-Trial-Grundsatzes aus Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention verurteilen. Denn die Betroffenen haben wenigstens ein Recht auf eine Begründung dafür, warum das Grundgesetz – angeblich – der sinnlosen Vernichtung ihrer Existenz keineswegs entgegensteht.
Eine nennenswerte Begründung fehlt
Der für Verfassungsbeschwerden durchweg zuständige Erste Senat des Gerichts hatte sich in einem Beschluß im einstweiligen Rechtsschutzverfahren bereits vom 10. Februar 2022 zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht positioniert. Schon damals meinte das Gericht, ohne nennenswerte Begründung, keine „durchgreifenden“ verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die einrichtungsbezogene Impfpflicht erkennen zu können. Denn nicht nur sei die Impfung frei von Nebenwirkungen und schütze zuverlässig, es bestehe auch eigentlich gar keine Impfpflicht, denn jeder Arzt, der damit Probleme habe, könne ja für ein paar Jahre seinen Beruf aufgeben. Dieser blanke Zynismus des Harbarth-Senats löste bei Verfassungsrechtlern allerdings ein gewisses Entsetzen aus.
Eine von mir selbst vertretene Verfassungsbeschwerde zweier Ärzte wurde ebenfalls nicht zur Entscheidung angenommen; sie sei unter Hinweis auf § 23 Abs. 1 und § 92 Bundesverfassungsgerichtsgesetz „bereits unzulässig“. Dies bedeutet im Klartext: Die Verfassungsbe-schwerde sei gar nicht in der Sache begründet worden und habe auch noch nicht einmal ein Grundrecht benannt, das angeblich verletzt sein solle! Nun sind diese Behauptungen der zuständigen Kammer nachweislich unzutreffend, selbstverständlich war die Verfassungsbe-schwerde – besonders aufwendig – begründet. (Ein Kollege vermutet, das Gericht habe, da es gerade in Rekordzeit massenhaft abweise, meine Verfassungsbeschwerde wohl mit einer anderen einfach nur verwechselt). Wie dem auch sei: wegen der nachweislichen Unrichtigkeit dieser Begründung steht nun durchaus auch der Vorwurf der vorsätzlichen Rechtsbeugung (§ 339 Strafgesetzbuch) im Raum.
Ob die Fehlleistung des Gerichts vorsätzlich oder fahrlässig war, könnte dabei nur dem Votum des berichterstattenden Richters entnommen werden. Interessant nun: als Rechtsanwalt kann man beim Gericht Akteneinsicht nehmen, zur Akte gehört aber, nach der ständigen Praxis des Gerichts, interessanterweise nicht dieses Votum. An das kommt man nur heran, wenn die Staatsanwaltschaft die gesamten Prozeßakten beim Bundesverfassungsgericht beschlagnahmen würde.
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Dr. habil. Ulrich Vosgerau lehrte Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht sowie Rechtsphilosophie an mehreren Universitäten.
JF 19/22