Bernd Althusmann hat den Rücktritt von seinem Amt als Vorsitzender der niedersächsischen CDU angekündigt. Grund ist das Scheitern der Union bei der gestrigen Landtagswahl. Sie hat gegenüber dem schon ausgesprochen schlechten Abschneiden von 2017 noch einmal 5,5 Prozentpunkte der Stimmen verloren und wird die Koalition mit den Sozialdemokraten nicht fortsetzen, sondern in die Opposition gehen.
Das wird Althusmann bitter ankommen. Allerdings nicht aus inhaltlichen Gründen. Daß er an Inhalten kein Interesse hatte, ist sattsam bekannt. Bereits als er 2010 das Amt des Kultusministers übernahm, zeigte er keinen Ehrgeiz, eigene Akzente zu setzen oder gar die sich krisenhaft zuspitzende Entwicklung des Bildungswesens zu korrigieren. Den Fortgang seiner Karriere hat das nicht gehindert. 2016 trat Althusmann an die Spitze der Landespartei, scheiterte prompt bei dem Versuch, der SPD die Position als stärkste Partei zu nehmen, bildete stattdessen mit dem Sozialdemokraten Weil eine Große Koalition.
Vorherrschend war der Eindruck, daß er sich ganz zufrieden in der Rolle des Juniorpartners eingerichtet hatte. Weshalb auch niemand mit einer Änderung der Lage nach der jüngsten Landtagswahl rechnete. Unter Althusmanns Führung hat die CDU das schlechteste Ergebnis seit sechzig Jahren eingefahren und sich mit 28,1 Prozent der Stimmen unendlich weit entfernt von der magischen Quote der 48,3 Prozent, die für die Partei zu Beginn des Jahrtausends in Niedersachsen zu erreichen waren.
Althusmann gibt Merkel Schuld am CDU-Debakel
Man hüte sich allerdings, diesen Verfall allein auf die Schwäche der Person Althusmann oder regionale Bedingungen zurückzuführen. Althusmann steht keineswegs allein da in den Unionskadern, sondern repräsentiert einen bestimmten Typus, der sich in deren Reihen durchgesetzt hat: Leute ohne Ecken und Kanten, beweglich, anpassungsfähig, immer den nächsten Trend witternd, natürlich bereit, sich auf der „Ochsentour“ nach oben auch gröberer Mittel zu bedienen, doch ohne jede Konfliktbereitschaft, wenn es darum gehen müßte, eigene Prinzipien durchzusetzen. Im Endergebnis hat man diejenigen ausgesiebt, deren Haupteigenschaft ein hochgezüchteter Opportunismus ist, der stets Gelegenheiten sucht, die er ausnutzen kann.
Eine letzte Gelegenheit sah Althusmann offenbar darin, die Schuld für sein schlechtes Abschneiden der gewesenen Kanzlerin zuzuschieben. Aber das wirkte eher verzweifelt, da Althusmann nie zu den innerparteilichen Gegnern Merkels gehörte. Heute ist Kritik an „Angie“ risikolos und billig zu haben und vielleicht sogar schon opportun. Der neue CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz hat ein paar entsprechende Signale gesetzt. Damit dann aber doch nur diejenigen bei Laune gehalten, denen er eine Projektionsfläche liberaler oder konservativer Sehnsüchte bot.
„Ich möchte Bernd @althusmann und der @CDUNds für einen engagierten Wahlkampf in einem schwierigen Umfeld danken. Die @CDU schließt das Jahr 2022 mit zwei gewonnenen und zwei verlorenen Landtagswahlen ab. Wir werden uns intensiv mit dem Wahlergebnis beschäftigen.“ ™ #ltwnds pic.twitter.com/vi0GaI0Wdc
— Friedrich Merz (@_FriedrichMerz) October 10, 2022
CDU-Wähler wandern zu Tausenden zur AfD
Es genügten der Bundesparteitag, die Durchsetzung der Quote und die willige Unterwerfung unter die Glaubenssätze der Regenbogenideologie, um zu begreifen, daß auch Merz nur einer jener „Modernisierer“ ist, die die Union zu dem gemacht haben, was sie heute ist: ein überzeugungsfreier, von der Hoffnung auf Machterwerb und Machtbesitz zusammengehaltener Verband all derjenigen, die nicht links sind, weil links die Spaßbremser stehen, und die nicht rechts sind, weil rechts böse ist.
So lange noch von der Substanz der alten Bundesrepublik zu zehren war, mochte das genügen, um vielleicht nicht dauernd, aber doch in regelmäßigen Abständen an die Pfründen zu kommen und politisch mitzuwirken. Aber es spricht wenig dafür, daß das so bleibt. Vielmehr bahnen sich Strukturveränderungen in der Gesellschaft an, die nicht ohne Folgen für das Parteiensystem bleiben werden. Das kann man im niedersächsischen Fall schon an Aspekten der Wählerwanderung ablesen.
Denn die Union hat zwischen 40.000 und 45.000 Stimmen an die AfD verloren, fast genau so hoch lag die Zahl bei der FDP. Was bedeutet, daß der Erfolg der Alternative eben nicht allein mit der Konjunktur von Protesthaltungen zu erklären ist, sondern auch mit einer tiefgreifenden Enttäuschung derjenigen, die man gemeinhin dem „bürgerlichen Lager“ zurechnet und die nach einer neuen politischen Heimat suchen.