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Peter Tschentscher und die Corona-Zahlen: Hauptsache die Erzählung stimmt

Peter Tschentscher und die Corona-Zahlen: Hauptsache die Erzählung stimmt

Peter Tschentscher und die Corona-Zahlen: Hauptsache die Erzählung stimmt

Tschentscher
Tschentscher
Peter Tschentscher (SPD): picture alliance/dpa | Marcus Brandt
Peter Tschentscher und die Corona-Zahlen
 

Hauptsache die Erzählung stimmt

Das mit den falschen Corona-Zahlen sei ein Versehen gewesen, versichert Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD). Keinesfalls habe er gelogen. Und überhaupt: Die Empfehlungen seiner Regierung seien sehr gut begründet. Ein Mann, ein Wort. Das soll den Hamburgern offenbar genügen. Ein Kommentar.
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Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) zieht seinen harten Maßnahmen-Stiefel auch nach dem Auffliegen seiner falschen Zahlen zum Impfstatus der Corona-Infizierten in seiner Stadt weiter durch. Zur Erinnerung: Corona-Infektionen mit ungeklärtem Impfstatus wurden in Hamburg über Wochen den Ungeimpften zugerechnet.

Obgleich die angebliche Faktenlage, auf der der SPD-Mann seine strenge Regulierungspolitik bislang aufbaute, mit der Enthüllung der von ihm zu verantwortenden kreativen Statistikführung de facto weggefallen ist, verkündet der Bürgermeister unbeirrt neue Verschärfungen der Corona-Regeln für die Hanse-Stadt. „Wenn es Verunsicherungen gegeben“ habe, bedauere er dies zwar „sehr“, sagte Tschentscher der Bild-Zeitung, er „versichere den Hamburgerinnen und Hamburgern“ aber, „daß unsere Empfehlungen sehr gut begründet sind“.

Ein Mann, ein Wort, das muß den Hamburgern offenbar genügen. Aber welchen Grund hätten sie auch, dem in Bremen geborenen Mediziner zu mißtrauen? Die verfälschten Zahlen waren sowieso nicht seine Schuld, wie er beteuert. An den verschiedenen IT-Systemen, die bei der Erfassung genutzt wurden, soll es gelegen haben. „Hinzu kam, daß die stark steigende Zahl an Infektionen nicht mehr schnell genug eingestuft werden konnte“, versichert der ehemalige Finanzsenator von Olaf Scholz.

Nachsichtige Journalisten

So richtig böse scheint dem wackeren Pandemie-Bekämpfer sowieso kaum jemand zu sein. Die Zeiten, in denen ein Betrug dieses Ausmaßes für einen regierenden Politiker ganz selbstverständlich ein Rücktrittsgrund gewesen wäre, auch unabhängig von seiner vermeintlichen oder tatsächlichen unmittelbaren Mitschuld, scheinen ohnehin unwiederbringlich vorbei zu sein. Zudem hat es Tschentscher ja gut gemeint. Da kann man ihm schon mal verzeihen, daß er falsche Zahlen vorgelegt und mutmaßlich gelogen hat.

So scheinen das zumindest viele Medienvertreter zu sehen. Daß Journalisten die ideelle „Wahrhaftigkeit“ des Hamburger Bürgermeisters im Kampf gegen Corona und die Ungeimpften schwerer gewichten als seine wahrheitswidrigen Angaben, ist kein Zufall. Tschentscher ist der perfekte Kommunikationspartner für den modernen Haltungsjournalisten, dem eine stimmige Erzählung im Zweifel wichtiger ist, als daß die Geschichte wirklich stimmt.

Einige Medienvertreter schmeißen sich sogar regelrecht in die Bresche für den Hamburger Geschichtenerzähler, der ihnen mit seinen Darlegungen über die Pandemie der Ungeimpften genau das geliefert hat, was sie sowieso berichten wollten.

Gewünschte Fakten

„Mal ein paar Gedanken zu den Meldungen über ´Land XY hat Corona-Fälle mit unbekannten Impfstatus als ungeimpft gezählt´. Das ist statistisch unsauber, keine Frage. An den Debatten darüber stört mich aber was“, twitterte die stellvertretende Leiterin des Correctiv.Faktencheck, Alice Echtermann, um dann anzuführen, warum sie es für falsch hält, wenn von Kritiker jetzt „die Perspektive eingenommen“ werde.

Die würde nämlich „den Argumenten für Corona-Maßnahmen den Boden wegziehen“. Denn was bedeute es, wenn bei, „sagen wir mal, 30 Prozent der Fälle der Impfstatus unbekannt ist? Richtig, diese Leute könnten sowohl alle *geimpft* als auch alle *ungeimpft* sein. Oder teils-teils. Wie die Verteilung ist, weiß niemand“, blubbert die Faktencheckerin über die gefakten Fakten vor sich hin.

Und weiter: „Es kann sein, daß die Verteilung genauso ist wie bei dem Teil der Fälle, wo der Impfstatus bekannt ist. Dann hätten diese unbekannten Fälle genau null Auswirkungen auf die Grundaussage der Statistik.“ Mit anderen Worten: Nur weil die in den Statistiken genannten Zahlen falsch sind, heißt das noch lange nicht, daß sie nicht richtig sind – oder zumindest nicht doch richtig sein könnten.

Wenn die Medien- und Kommunikationswissenschaftlerin, die 2020 Teil des Teams für die Recherche „Kein Filter für Rechts“ zur rechten Szene auf Instagram war und dafür mit dem internationalen Sigma Award for Data Journalism ausgezeichnet wurde, bei ihrer Verteidigung der objektiv falschen, aber möglicherweise vielleicht doch irgendwie richtigen Zahlen zur großen Schuld der Ungeimpften ganz schön ins Schwimmen gerät, steht sie damit geradezu exemplarisch für das derzeit völlig verschobene Faktenverständnis.

Die Fakten müssen nicht stimmen, sie müssen nur richtig, bzw. die richtigen sein. Dann kann man sich nicht nur zum staatlich subventionierten Correctiv aufschwingen, sondern es mit etwas Glück sogar bis zum Bundesgesundheitsminister bringen kann.

Peter Tschentscher (SPD): picture alliance/dpa | Marcus Brandt
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