Man wolle „ein für alle Mal“ ein Mißverständnis ausräumen: „Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) sagt ‘Ja zum Gendern’ – wenn es verständlich, lesbar und regelkonform ist“, beeilte sich die Vereinigung am Mittwoch zu erklären. „Denn nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein“, möchte man mit Kurt Tucholsky die nicht ausgesprochene Begründung ergänzen.
Was ist geschehen? Am Morgen desselben Tages hatte der Berliner Tagesspiegel ein Gespräch mit dem GfdS-Vorsitzenden Peter Schlobinski veröffentlicht. Dieser verdeutlicht darin die Position seiner Gesellschaft zum Gendern: Genderschreibungen mit Sternchen, Doppelpunkt oder Unterstrich entsprechen nicht den Rechtschreibregeln. „Für die offizielle Schreibung, also in Institutionen, Verwaltungen, Schule, Universitäten, haben wir ja den Rechtschreibrat.“ Dieser setze die Norm, „an die wir uns zu halten haben“, erklärt das Mitglied des Rechtschreibrats.
Umfragen zeigen: Bevölkerung lehnt Gendersprache ab
Schlobinski vertritt lediglich die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung. Das belegen mehrere repräsentative Umfragen, die im Laufe dieses Monats bekannt wurden. So fragte Infratest Dimap Mitte Mai im Auftrag der Welt am Sonntag die Deutschen, was sie von einer stärkeren Berücksichtigung unterschiedlicher Geschlechter in der Sprache halten.
Nichts, antworteten 65 Prozent, also fast zwei Drittel der Befragten. Das Erstaunliche ist dabei, daß der Anteil der Ablehner noch einmal gestiegen ist, obwohl parallel dazu auch die Bemühungen stark gewachsen sind, die Gendersprache durchzusetzen. Im vergangenen Jahr waren es nämlich erst 56 Prozent. Selbst bei den Anhängern der Grünen überwiegen die Vorbehalte gegen die Gendersprache.
62 Prozent der Stellenbewerber sind gegen gegenderte Stellenanzeigen, ergab eine Befragung des Marktforschungsunternehmens Respondi. 53 Prozent der Deutschen befürworten sogar ein Verbot „geschlechtergerechter Sprache“ für staatliche Stellen, fand das Meinungsforschungsinstitut Civey für das Nachrichtenmagazin Spiegel heraus. Kurioserweise sind lediglich die Anhänger der Verbotspartei „Die Grünen“ gegen ein solches Verbot. Doch selbst der Mehrheitsmeinung eine fachkundige Stimme zur Seite zu stellen, ist heutzutage bereits heikel, wie Schlobinski erfahren mußte.
Die steuerfinanzierte GfdS muß sich zur Gendersprache bekennen
Schlobinski lehnte sich sogar so weit aus dem Fenster, einen Vergleich mit George Orwells Roman „1984“ zu ziehen: „Mit einer neuen Sprache ändere ich die Begrifflichkeiten und das Denken und kann so die Gesellschaftsmitglieder lenken und formen. Nur, das funktioniert schon bei Orwell nur bedingt.“ Der Hinweis auf den Orwellschen Überwachungsstaat läßt sich freilich bereits als Regierungskritik auslegen. Die Wochenzeitung Die Zeit schrieb darüber hinaus jedoch noch die folgende Schlagzeile: „Die GfdS hat sich gegen das Gendern in staatlichen Stellen ausgesprochen.“
Für den Verein, der sich hauptsächlich aus Zuwendungen der Regierungen in Bund und Ländern finanziert, wurde diese verkürzte Darstellung dann offenbar doch zu heiß. In seiner „Klarstellung“ heißt es: „Zwar stehen wir dem Gendersternchen kritisch gegenüber, nicht aber dem Gendern an sich.“ Dies werde in den Medien „vielfach falsch oder verkürzt wiedergegeben“. Entgegen der sprachlichen Vernunft muß sich also die steuerfinanzierte GfdS zur Gendersprache bekennen.
Ein bißchen Unterwerfung ist immer noch Unterwerfung
Da nützte es auch nichts, daß sich Schlobinski gegenüber dem Tagesspiegel abgesichert und versucht hatte, die GfdS als neutral darzustellen: Es gebe „zwei Extrempole“. Auf der einen Seite spreche man von Sprachverhunzung. Auf der anderen Seite versuche man, bestimmte Formen durchzusetzen – „ideologisch und emotional aufgeladen“. Die GfdS hingegen gehe „einen Mittelweg“.
Bei der Frage „Ideologie – ja oder nein?“ gibt es jedoch kein Dazwischen. Ein bißchen Unterwerfen unter eine Ideologie ist eben immer noch eine Unterwerfung. So sind die Schreibweisen, welche die GfdS akzeptiert, zum Beispiel „Paarformeln, Klammer- oder Schrägstrichschreibungen“, auch keine echten Genderschreibweisen. Statt dessen sind sie bereits vor der deutschlandweiten Einführung der Gender-Mainstreaming-Ideologie benutzt worden – nicht um die Gesellschaft umzubauen, sondern aus Gründen der Höflichkeit.
Die von der GfdS bevorzugten Schreibweisen entbehren daher der Gendersymbolik, die für die Ideologie so wichtig ist. Es mangelt ihnen an zu grüßenden Genderhüten in Form von Sternchen, Binnen-Is oder Doppelpunkten. Höflichkeitsschreibung und Genderschreibung sind klar voneinander zu trennen.
Die GfdS sagt also zwar „Ja zum Gendern“, in ihren Empfehlungen aber faktisch auch gleichzeitig Nein zum Gendern. Damit drückt sie sich um einen klaren Standpunkt gegen Sprachmißbrauch. Letztlich kann es nämlich nur ein Nein zum Gendern geben, weil Sprache nicht von Ideologien instrumentalisiert und mißbraucht werden darf. Doch, und das Tucholsky-Zitat ist es wert, wiederholt zu werden, „nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein.“ Sagt „nein“ zum Gendern!
——————————————-
Thomas Paulwitz ist Schriftleiter der vierteljährlich in Erlangen erscheinenden Zeitung „Deutsche Sprachwelt“.