Der Goldpreis steigt und steigt. Am Dienstag übersprang er die Marke von 2.000 US-dollar pro Feinunze. Gold wird weltweit in Dollar gehandelt, doch auch in Euro gerechnet erreichte das Edelmetall einen neuen Rekordpreis von mehr als 1.714 Euro pro Unze. Und auch die Preise für Silber, Platin und Palladium stiegen seit Beginn der Corona-Krise kräftig an.
Was sind die Gründe dafür? Kann die erhöhte Nachfrage vor allem für Gold als Mißtrauenszeichen gegenüber den Zentralbanken und der Finanzpolitik gewertet werden? Zunächst einmal läßt sich analysieren, daß die Nachfrage an physischem Gold bei Anlageprofis weiterhin höher ist als sogenanntes Papiergold, also Anlageformen, bei denen Anleger Ansprüche auf bestimmte Goldmengen etwa in Form von Derivaten oder Zertifikaten haben.
Zudem wird Gold von vielen Anlegern als „sicherer Hafen“ nachgefragt: Denn die Unsicherheit über die Folgen der politisch diktierten Lockdown-Krise baut sich langsamer ab als erwartet. Die Sorge vor Instabilitäten im internationalen Finanzsystem nimmt zu und die Konfrontation zwischen den USA und China erzeugt neue geopolitische und ökonomische Risiken für die Weltwirtschaft.
Weltweite Geldpolitik als treibender Faktor
Von ganz entscheidender Bedeutung ist jedoch die weltweite Geldpolitik: Die Zentralbanken setzen ihre inflationäre Finanzpolitik fort, und die anschwellenden Geldmengen treiben die Güterpreise – sowohl Konsumgüter- als auch die Vermögenspreise – in die Höhe. Eine Abkehr von dieser Geldpolitik, die die Kaufkraft der Währungen herabsetzt, ist nicht in Sicht – und das erhöht die Goldnachfrage.
Da Gold in Dollar gehandelt wird und dieser trotz jüngster kritischer Kommentare immer noch als die Reservewährung Nummer eins gilt, haben die Entscheidungen der US-amerikanischen Zentralbank FED große Auswirkungen auf den Goldpreis. Auf den bauen sich Spekulationen auf, wonach die US-Zinsen – ähnlich wie im Euroraum – ebenfalls auf beziehungsweise unter die Nulllinie fallen könnten. Erst vor kurzem sanken die Renditen auf zehnjährige Staatsanleihen auf 0,51 Prozentpunkte.
Der Zinsfaktor ist von großer Bedeutung: Die US-Zinsen sind de facto die Weltleitzinsen. Ohne positive US-Zinsen verliert das Weltfinanzsystem seinen letzten Kompaß, gerät in einen völligen Blindflug. In einem solchen Fall droht ein „Bewertungschaos“ auf den Finanzmärkten, denn der Zins ist ein unverzichtbarer Faktor zur Preisfeststellung von Aktien, Anleihen und Rohstoffen.
Die Aussicht auf Null- oder gar Negativzinsen in den USA hat zudem Auswirkungen auf das Preisverhältnis zwischen dem US-Dollar, allen anderen ungedeckten Währungen und Gold. In einer Nullzinswelt wird das Halten von Gold attraktiver gegenüber dem Halten von ungedeckten Währungen.
Preisboom geht sehr wahrscheinlich weiter
Die Gründe dafür sind klar: Das Halten von Gold (und Silber) verursacht keine Opportunitätskosten mehr. Gold versichert gegen den Kaufkraftverlust der ungedeckten Währungen, der sich in einem Umfeld von Null- und Negativzinsen unweigerlich einstellt. Und das Gold trägt – anders als Bankguthaben – kein Kredit- beziehungsweise Zahlungsausfallrisiko.
Deswegen ist es sehr wahrscheinlich, daß der Preisboom bei den Edelmetallen weitergeht, insbesondere bei Gold und Silber. Es gibt aber keine Garantie, daß sich der Preisauftrieb im bisherigen Tempo fortsetzt, und daß es keine vorübergehenden Preisrücksetzer geben wird.
Anleger sollten in so einer Phase vor allem einen möglichst langen Anlagehorizont wählen. Wer mit drei, fünf oder zehn Jahren operiert, der hat nach wie vor gute Gründe, Gold und Silber auch bei den aktuellen Preisen zu erwerben: Denn die Wahrscheinlichkeit, daß die Preise für Gold und Silber künftig viel höher stehen als heute, steigt mit der Länge des Anlagehorizonts.
Setzt sich die starke Geldmengenausweitung fort und fallen dabei die Zinsen weiter, wäre ein Goldpreis von 2.700 Dollar pro Unze bis Mitte 2021 keine Überraschung mehr.
————————————————–
Prof. Dr. Thorsten Polleit ist Volkswirtschaftler, Chefökonom bei Degussa Goldhandel und Präsident des Mises-Instituts. Zuletzt erschien sein Buch „Mit Geld zur Weltherrschaft“.