Der „Tagesschau“-Redakteur Patrick Gensing hat sich wahnsinnig über den „Presseclub“-Auftritt seines Journalisten-Kollegen Alexander Kissler vom Cicero-Magazin geärgert. Der hatte in der sonntäglichen ARD-Gesprächsrunde nämlich „behauptet“, daß es in Berlin Gegenden gäbe „wo sich die Polizei gar nicht mehr hineintraut, weil dort die sogenannten Autonomen das Straßenrecht ausführen“. Das wollte Gensing, der laut eigenen Angaben früher selbst „Antifa-mäßig unterwegs“ war, nicht auf Berlin und der linksradikalen Szene sitzen lassen.
Wie praktisch, daß er einen Job als „Faktenfinder“ beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat, wo er auf dem von ihm geleiteten Online-Portal der „Tagesschau“ auch nach Herzenslust ausleben kann, was er darunter versteht. So konnte Gensing sich und seinem Ärger Erleichterung verschaffen, indem er den für ihn offenbar so schwer verdaulichen Auftritt Kisslers im einstigen „Internationalen Frühschoppen“ seiner sehr speziellen Prüfung unterzog.
Gleich zu Beginn seines „Analysetextes“ bemängelt der selbsternannte Kämpfer gegen Fake-News und Desinformationen, daß der Cicero-Autor in der Sendung keine konkreten Beispiele genannt habe, in welchen Vierteln die Linksextremisten die Straße beherrschen würden. Deshalb wühlte sich der große Suchende der ARD, dessen Gespür für die Wahrheit so feinsahnig ist, daß er die AfD für das politische Klima in Deutschland „derzeit gefährlicher als die NPD“ hält, einmal mehr durch Statistiken, von denen er offenbar selbst weiß (und an verschiedenen Stellen immer wieder betont), daß ihre Aussagekraft oft nur eine sehr relative ist. Aber das macht sie ja eben so wunderbar und vielseitig interpretierbar. Je nachdem, welches Narrativ gerade geformt und geframt werden soll.
Gewalt gegen Polizisten nehme ab
Immerhin weiß der staatlich finanzierte Journalist im Ersten, der immer zur Stelle ist, wenn es darum geht, vermeintlich fehlerhafte Aussagen über die linksextreme Szene richtig zu stellen, wo er theoretisch suchen muß, wenn es um die Gewalt geht, die von diesem Milieu ausgeht. So berichtet er von Angriffen auf Polizisten sowie größeren Polizeieinsätzen in der Rigaer Straße in Friedrichshain. Auch gesteht Gensing ein, daß es laut dem Berliner Senat Steinwürfe „auf Polizei-Kraftfahrzeuge in dieser Straße gegeben habe“. Ob die Polizisten während dieser Steinwürfe in den Einsatzwagen saßen oder alle gerade beim Essen, beim Kniebeugen-Training oder auf Nazi-Jagd waren, erläutert der journalistische Punkrocker und Fakten-Interpret nicht.
Dafür stellt er fest: Die „Statistiken zeigen insgesamt aber keine steigenden Zahlen über Angriffe gegen Polizisten“. In der Polizeilichen Kriminalstatistik hieße es für 2019 sogar „wörtlich, die Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamte sei zurückgegangen“. Bei den insgesamt 6.656 erfaßten Fällen seien 1.447 Polizisten verletzt worden, sieben davon schwer.
„Den größten Teil der erfaßten Fälle machen sogenannte Widerstandsdelikte aus. Wie viele von diesen Fällen tatsächlich zu einer rechtskräftigen Verurteilung führten, geht aus der Statistik nicht hervor.“ Die Zahl der rechtskräftigen Verurteilten dürfte tatsächlich deutlich geringer sein. Schließlich ist die Berliner Justiz längst ähnlich rotgefärbt, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk und das von ihm verbreitete Weltbild. Außerdem hat bei solchen „Widerstandsdelikten“ grundsätzlich immer nur eine Seite das Opfer-Abo.
Attacken auf Polizeigebäude als Kinkerlitzchen
Gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen, scheint Gensing allen besorgten Bürgern und Journalisten-Kollegen zuzurufen, wenn er schreibt: „Die Statistik der politisch motivierten Kriminalität zeigt ebenfalls keinen Anstieg der Gewaltdelikte.“ Was er uns mit der Feststellung sagen will, daß „mehr als die Hälfte der Fälle“ im Jahr 2019 und im Jahr davor „sogar bei fast 75 Prozent“ der Taten, „im Zusammenhang mit Demonstrationen“ standen, bleibt ein Rätsel. Vermutlich aber sowas wie: In der Hitze des Gefechts kann es mit einem Demonstranten eben schon mal durchgehen. Was auch halb so schlimm ist, solange seine politische Motivation eine gute und keine rechte ist.
„Zudem erfaßt die Statistik ‘Polizeibedienstete sowie deren Einsatzmittel und Polizeigebäude’ als Angriffsziel der linken Szene“, heißt es in dem „Tagesschau“-Text. In diesem Kontext seien 308 Fälle erfaßt worden, im Vorjahr waren es 324. „Wie sich die Fälle lokal verteilen, welche Ziele wie oft betroffen waren und welche Schäden es gab, wird nicht ausgewiesen“, schreibt Genosse Harmlos weiter und man hat den Eindruck, daß er sich mit solchen Kinkerlitzchen wie linksextremistischen Angriffen auf „Einsatzmittel und Polizeigebäude“ eigentlich auch gar nicht wirklich befassen will.
Gegen Ende seiner unfaßbaren Verharmlosung der politischen Straftaten von links, die jeder Leser selbst ja einmal in Relation zu seinen strengen Urteilen über alles, was aus der rechten Ecke kommt, setzen kann, zitiert der „Faktenfinder“ noch die Berliner Polizei selbst. Die erklärt auf dessen Nachfrage – Oh Wunder! – nicht, daß ihre Beamte alles Angsthasen seien oder man politisch gewollt in bestimmten Bezirken die öffentliche Ordnung gar nicht mehr gewährleisten könne, sondern: „Im Ergebnis ermitteln wir so Orte mit höherem Fallzahlenaufkommen und steuern Einsatzkräfte gezielt in diese Bereiche, um effizient die Kriminalität an diesen Orten bekämpfen zu können. An Art und Schwere der Delikte bemißt sich im Einzelfall die Einsatzkräftezahl. Diese Herangehensweise hat für das komplette Stadtgebiet Bestand.“
Statistiken seien verzerrt
Diese Antwort war dem ARD-Journalisten und Anti-Rechts-Blogger aber wohl noch nicht schwammig genug, um den Panikmacher vom Cicero endgültig zu widerlegen. Deshalb faßt er die Erklärung noch einmal in seinen eigenen Worten zusammen: „Identifiziert die Polizei lokale Kriminalitätsschwerpunkte, zeigt sie mehr Präsenz – im Einzelfall mit mehr Einsatzkräften – und dies in der gesamten Stadt, also in allen Bezirken und Vierteln der Stadt.“
Jetzt hätte man natürlich nachhaken können, wo im „Einzelfall“ mehr Einsatzkräfte anrücken müssen, was im Allgemeinen der Grund dafür ist und wie viele es von diesen „Einzelfällen“ genau gibt. Aber das hätte die Gefahr beinhaltet, daß der Faktenfinder tatsächlich Fakten findet und seinen ganzen – zumindest geistig – bereits verfaßten Schwurbel-Text in die Tonne hätte hauen können. Deswegen erklärt er seinen Lesern zum Schluß lieber noch, daß das mit der gestiegenen Migrantenkriminalität der letzten Jahre und dem ganzen Mord und Totschlag in Berlin auch alles nicht so schlimm ist, wie viele denken. Statistiken, die anderes nahelegten, seien „verzerrt“ worden, weil „beispielsweise beim islamistischen Anschlag auf den Breitscheidplatz zahlreiche Überlebende als vollendete Tötungsdelikte aufgeführt wurden“.