Heulen und Zähneknirschen bei den österreichischen Freiheitlichen: Sie haben bei der Nationalratswahl am Sonntag fast zehn Prozentpunkte von 26 verloren. Viele FPÖ-Spitzen hängen seither angeschlagen wie nach einem K.o.-Schlag in den Seilen. Sie sind in den vergangenen Monaten von vielen Schlägen getroffen worden, von fremd- wie selbstverschuldeten. Aber – wie immer beim Boxen – der letzte war der schwerste.
Denn der bestand in intensiven Berichten während der allerletzten Tage über Spesenmanipulationen bei den Freiheitlichen. Da war von gefälschten Abrechnungen des Langzeitchefs Heinz-Christian Strache die Rede, von einer Gucci-Tasche, die seine Frau auf Parteikosten abgerechnet habe und davon, daß Strache seine Wohnungsmiete der Partei verrechnet habe.
Solche Vorwürfe treffen bei keiner anderen Partei so ins Gemüt der Wähler wie bei den Freiheitlichen. Denn diese sind seit jeher eine typische Protestpartei gegen „die da oben“, gegen eine auf viele Menschen sehr abgehoben wirkende städtische Kunst- und Schickeria-Szene. Die einstige Partei nationalliberaler Honoratioren ist seit Jörg Haider eine Partei des kleinen Mannes. Vor zwei Jahren hat sogar jeder zweite Arbeiter die FPÖ gewählt; diesmal war es nach der Gucci-Affäre nur noch jeder Dritte. Das ist freilich immer noch mehr als bei den anderen Parteien (die konservativ-christdemokratische ÖVP hat 27 Prozent der Arbeiter für sich gewonnen; und die einstige Arbeiterpartei SPÖ gar nur 25 Prozent).
Niemand weiß, ob die Anschuldigungen stimmen
Bei einer so strukturierten Wählerschaft wirken daher Vorwürfe viel stärker als bei anderen Parteien, daß der (Ex-)Parteichef sich wie ein typischer Bobo-„Nehmer“ aus der verachteten Schicht derer da oben verhalten hat.
Nur: In ganz Österreich weiß bis auf die Akteure selbst niemand, ob diese Anschuldigungen auch stimmen. Denn sie kamen erst so knapp vor der Wahl an die Öffentlichkeit, daß niemand sie objektiv überprüfen konnte. Daher haben sich viele FPÖ-Wähler im allerletzten Moment zum Nichtwählen entschlossen. Dieser Wechsel macht fast die Hälfte der FPÖ-Verluste aus.
Die andere Hälfte war schon Ende Mai nach Bekanntwerden des Ibiza-Videos aus dem Jahr 2017 zur ÖVP gewechselt. Darin war der damalige Oppositionspolitiker Strache gefilmt worden war, wie er einer vermeintlichen russischen Oligarchin korrupte Gegenleistungen versprochen hat.
Demokratiepolitisches Problem
Diese Versprechungen sind zwar rechtlich nicht strafbar, weil Strache damals noch kein Amt ausgeübt hat, und weil er sie dann im Amt nicht in die Wirklichkeit umgesetzt hat. Der damalige FPÖ-Stimmverlust war dadurch abgemildert worden, daß die Ibiza-Videos durch eine kriminelle mafiöse Lauschattacke erfolgt war, was die Menschen ebenso empört hatte.
Dann kam die Spesenaffäre. Sie hat vor allem die Gruppe der Nichtwähler signifikant verstärkt. Das ist demokratiepolitisch ein ziemliches Problem, wenn rund fünf Prozent der Wähler im letzten Moment angewidert zu dem Schluß kommen, daß eigentlich keine Partei mehr zu wählen ist.
Diese Wirkung wurde allerdings durch die Reaktion der FPÖ noch signifikant verstärkt. Sie erschien total verunsichert. Sie erweckte den Eindruck, als könnten die Vorwürfe stimmen, auch wenn Hofer und Co. beteuerten: Wir wissen nichts davon.
Seriöserweise können Außenstehende auch jetzt noch nicht wirklich abschätzen, was stimmt. Ist neben der sehr großzügigen finanziellen Wattierung für den Parteiobmann über Spesen hinaus auch etwas Strafrechtswidriges passiert? Etwa durch die Fälschung von Belegen?
Eine sehr dubiose Rolle spielt dabei ein Personenschützer Straches aus dem Kreis der Polizei, der ihn jahrelang ausspioniert und Belege kopiert haben soll. War er von Anfang an ein von linken Strache-Jägern auf den FPÖ-Chef angesetzter Spion? Oder nahm er „nur“ aus persönlichen Gründen Rache?
Korruptionsgeschichte eines Grünen unter den Teppich gekehrt
In den vergangenen Tagen hat man jedenfalls so viele verschiedene Erklärungsvarianten zu all dem finden können, wie man verschiedene Medien konsumiert hat. Jedenfalls aber kann es keine Zweifel geben, daß auch hinter der Aufdeckung der Spesenabrechnungenein ebenso aggressives wie professionelles linkes Mafia-Netzwerk steckt, so wie schon in Ibiza.
Besonders gespannt sein darf man auch auf die Klärung, wieweit darüber hinaus die der FPÖ ja keineswegs freundlich gesonnene Staatsanwaltschaft da eine üble Rolle gespielt hat, indem sie gezielt ausgerechnet in der letzten Woche vor der Wahl diesbezügliche Informationen an die Öffentlichkeit lanciert und den schon länger im Visier befindlichen Leibwächter einen Tag lang festgenommen hat.
Keinen Zweifel kann es hingegen über die üble Rolle des Gebührensenders ORF und etlicher Printmedien geben, die trotz aller Unklarheiten über die Spesen-Story großflächig berichtet haben. Das fällt insbesondere deshalb sehr negativ auf, weil dieselben Medien gleichzeitig eine Korruptionsstory aus dem grünen Eck weitgehend unter den Teppich gekehrt haben.
Der grüne Planungssprecher im Wiener Rathaus – wo Rot und Grün eine Koalition bilden – hatte für seinen privaten Verein (der Schulprojekte in Südafrika durchführt) bei großen Immobilienfirmen Hunderttausende Euro an Spenden akquiriert. Die Grünen sind aber in Wien gleichzeitig zuständig für Flächenwidmungen, von denen manche Immobilienfirmen gewaltig profitiert haben.
Wohin gehen die Freiheitlichen?
Dabei geht es insbesondere um ein projektiertes Hochhaus mitten in einem der schönsten Jugendstil-Gründerzeit-Biedermeier-Viertel Wiens. Bei den Wählern durchgedrungen sind aber „dank“ der Medien nur die Gucci-Taschen des Ehepaars Strache.
Was heißt das nun für die Freiheitlichen selbst? Das bedeutet jedenfalls mit Gewißheit das endgültige politische Ende für Strache. Jedes Comeback ist ausgeschlossen. Intern sehr zur Diskussion steht aber auch Parteichef Norbert Hofer. Ihm ist keine gute Reaktion auf die Spesenberichte eingefallen. Er hat auch im ganzen Wahlkampf ein wenig unsicher gewirkt und zu wenig kämpferisch – er war aber auch wochenlang durch eine hartnäckige fiebrige Erkältung stimmmäßig behindert.
Und er hat – im nachhinein betrachtet – auch nie den richtigen Umgang mit Strache gefunden: So hat die FPÖ peinlicherweise Straches bisher recht politikfremde Frau auf ein sicheres Abgeordnetenmandat gesetzt.
Was vorerst wichtiger ist
Mit Gewißheit wird es aber zu keiner Parteispaltung kommen. Wahrscheinlicher ist, daß relativ einvernehmlich irgendwann in den nächsten Jahren der konfrontationsfreudige Ex-Innenminister Herbert Kickl die Parteiführung übernehmen wird.
Vorerst ist aber anderes vordringlicher:
- Eine Klärung der Spenden- und Fälschungs-Vorwürfe;
- Ein Versuch der Absicherung der Partei gegen Spionageattacken von außen (die es angesichts des organisierten Hasses der Linken auf die FPÖ wohl weiterhin geben wird);
- Und die Klärung, ob man vielleicht doch in eine Koalition geht – dafür aber braucht man noch Hofer als ÖVP-kompatiblen Chef.
Zwar haben vorerst einmal alle FPÖ-Oberen angekündigt: „Wir gehen jetzt in Opposition.“ Zwar wird Wahlsieger Sebastian Kurz (ÖVP) jetzt wohl etliche Wochen primär mit den Grünen – die ja noch gewaltiger dazugewonnen haben als die ÖVP – verhandeln. Aber es ist mehr als fraglich, ob es dabei zu einem Ergebnis kommen wird. Sind doch die Grünen inhaltlich von der Migrations- bis zur Steuerpolitik jene Partei, die weitaus am fernsten zur ÖVP steht.
Kurz könnte bei der FPÖ anklopfen
Daher könnte durchaus gegen Ende des Jahres der Zeitpunkt kommen, wo Kurz bei der FPÖ anklopft und anfragt: „Wollen wir es nicht doch noch einmal versuchen?“ Immerhin haben ja trotz der Wählerbewegungen noch immer über zwei Prozent Österreicher mehr für die FPÖ gestimmt als für die Grünen.
Vor allem der zurückliegende Wahlkampf der FPÖ spricht gegen eine Verweigerungshaltung. Trugen doch die letzten beiden Plakate der Partei die Slogans: „Schwarz-Grün gefährdet DEINE Zukunft“ und „Ohne uns kippt Kurz nach links“.
Wie will man da den immerhin 16 Prozent, von denen viele genau aus diesem Grund die FPÖ gewählt haben, erklären, daß die Verweigerungshaltung ihrer Partei Kurz jetzt geradezu zum Links-Kippen und zu Schwarz-Grün zwingt? Oder will man die auch noch vor den Kopf stoßen?
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Dr. Andreas Unterberger war 14 Jahre Chefredakteur der Presse und der Wiener Zeitung und betreibt den Blog www.andreas-unterberger.at