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Interview der Woche: Lebensschützer Aufiero: „Unsere Arbeit ist eine Gefahr für die Linke“

Interview der Woche: Lebensschützer Aufiero: „Unsere Arbeit ist eine Gefahr für die Linke“

Interview der Woche: Lebensschützer Aufiero: „Unsere Arbeit ist eine Gefahr für die Linke“

Kristijan Aufiero, Gründer von „Pro Femina“ und „1000plus“: Der Lebensschützer stieß die Debatte um die Juristin Brosius-Gersdorf mit an. Foto: Privat
Kristijan Aufiero, Gründer von „Pro Femina“ und „1000plus“: Der Lebensschützer stieß die Debatte um die Juristin Brosius-Gersdorf mit an. Foto: Privat
Kristijan Aufiero: Der Lebensschützer stieß die Debatte um die Juristin Brosius-Gersdorf mit an. Foto: Privat
Interview der Woche
 

Lebensschützer Aufiero: „Unsere Arbeit ist eine Gefahr für die Linke“

Hat Kristijan Aufiero die Wahl Frauke Brosius-Gersdorfs zur Verfassungsrichterin verhindert? Das werfen namhafte Kritiker dem einflußreichen Lebensschützer und Gründer der Initiativen „Pro Femina“ und „1000plus“ vor. Wächst der politische Einfluß der deutschen Lebensschutzbewegung?
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Herr Aufiero, haben Sie Frauke Brosius-Gersdorf verhindert?

Kristijan Aufiero: Jedenfalls gehe ich davon aus, daß die E-Mail-Kampagne von 1000plus eine wichtige Rolle bei diesem Vorgang gespielt hat. Letztlich aber haben ein paar Dutzend Unionsabgeordnete die Wahl verhindert, die sich dem opportunistischen Machtkalkül ihrer Fraktionsführung verweigert haben und ihrem Gewissen gefolgt sind.

Die Bereitschaft zum Aufstand gegen Brosius-Gersdorf „sei erst durch die Kampagne entstanden, deren ‘politischer Nukleus’ die E-Mails der Initiative 1000plus gewesen seien“, gibt der „Spiegel“ den Berliner Politikberater Johannes Hillje wieder.

Aufiero: Ja, es gibt auch Unionsabgeordnete, die uns direkt bestätigten, daß die vielen Mails unserer Unterstützer – von denen sehr viele CDU-Anhänger sind – Wirkung gehabt haben. Dennoch: Was am Ende entscheidend war – ob die frühe Berichterstattung der FAZ, von Apollo News, Nius, der JF, später Bild und Welt, oder doch die Zuschriften der Bürger –, kann niemand mit Gewißheit sagen (JF berichtete).

Erneut der „Spiegel“, der einen ungenannten Unionsabgeordneten wiedergibt: „Einen ernsthaften Einfluß auf seine Meinungsbildung hätten solche Kampagnen nicht. Aber er habe auch viele kritische Mails ihm bekannter Parteimitglieder bekommen, von Wählern, engagierten Christen. Diese Stimmen müsse man ernst nehmen.“

Aufiero: Der Mann widerspricht sich selbst. Die Leute, die er „Parteimitglieder, Wähler, engagierte Christen“ nennt, sind genau diejenigen, die in der Causa Brosius-Gersdorf auf unseren Impuls hin 38.000 Mails an ihre Unionsabgeordneten geschrieben haben. Wir haben belastbare Informationen, daß die Schnittmenge zwischen 1000plus-Unterstützern und Unionsbasis sehr groß ist.

Das heißt, wir dürften wohl viele derer, von denen er sagt, daß sie für ihn wichtig waren, mobilisiert oder zumindest mitmobilisiert haben. Aber erneut: ich will mich nicht wichtig machen und behaupten, daß wir Frau Brosius-Gersdorf im Alleingang verhindert haben. Daran waren viele beteiligt, und ich kann nicht in den Kopf der Abgeordneten sehen, die sich geweigert haben, für diese Kandidatin zu stimmen, und daher auch nicht wissen, was sie letztlich dazu bewogen hat.

Aufiero: „Ich war ehrlich gesagt auch überrascht“

Nochmal Politikberater Hillje: Der entscheidende strategische Hebel sei die Verknüpfung der Personalie Brosius-Gersdorf mit dem Abtreibungsthema gewesen. Seit wann, Herr Aufiero, ist die Lebensschutzbewegung – die in Deutschland eigentlich politisch ausgegrenzt ist, selbst die CDU-Bundespartei will mit ihr nichts zu tun haben – so einflußreich?

Aufiero: Ich war ehrlich gesagt auch überrascht. Seit über 25 Jahren bin ich nun im Kampf für den Lebensschutz engagiert, und von einer derartigen Dimension und Reichweite der Diskussion unserer Themen hätte ich in Deutschland nicht mehr zu träumen gewagt. Daß es doch dazu gekommen ist, hat möglicherweise auch damit zu tun, daß die Union inzwischen so unter Druck ist.

Nehmen Sie das Beispiel eines mir bekannten Bundestagsabgeordneten, der 2021 nur sehr knapp seinen Wahlkreis verteidigt hat – wenn ich mich recht erinnere, ging es um 150 Stimmen. Erhält jemand wie er 300 E-Mails aus seinem Wahlkreis, zum Teil von Bürgern, die er kennt und von denen er weiß, daß sie ihn letztes Mal gewählt haben, dann haben diese E-Mails ohne Frage mehr Einfluß auf seine Entscheidung als in Zeiten, in denen viele Direktkandidaten der Union wie von alleine satte Mehrheiten einfuhren.

Aber ist der Lebensschutz noch wirklich in der CDU verankert? Seit dem Abtreibungskompromiß von 1993 hat sie die Lebensschützer doch fast nur enttäuscht.

Aufiero: Wie dem auch sei. Seit dem 11. Juli wissen wir, daß es offensichtlich einen Teil der CDU/CSU gibt, der dem Lebensschutz fest verbunden ist. Und der, wie man nun sehen konnte, Einfluß auf bis zu sechzig Bundestagsabgeordnete hat – so viele waren offenbar nicht bereit, für Brosius-Gersdorf zu stimmen: also über ein Viertel der 208 Köpfe zählenden Unionsfraktion.

„Mit Merz geht diese Profillosigkeit an der Parteispitze weiter“

Wie ist zu erklären, daß Parteichef Merz das offenbar völlig unbekannt war?

Aufiero: Gute Frage. Sein unverblümtes „Ja“ im Bundestag auf Beatrix von Storchs Nachfrage – ob er es mit seinem Gewissen vereinbaren könne, mit Brosius-Gersdorf eine Kandidatin zu wählen, „für die die Würde eines Menschen nicht gilt, wenn er nicht geboren ist“ –, war eine absolute Kommunikationskatastrophe.

Es hätte ja zig Alternativen gegeben, zu antworten, notfalls weder mit Ja oder Nein, falls er sich nicht festlegen wollte. Schließlich kann man von jemandem wie ihm erwarten, daß er dazu intellektuell und rhetorisch in der Lage ist. War Merz aber nicht oder wollte er nicht. Was allerdings zu seinen früheren Äußerungen paßt, die darauf hindeuten, daß für ihn der aktuelle Status in Sachen Lebensschutz durchaus verhandelbar ist.

Heißt? Daß Merz diesbezüglich den desinteressierten Kurs Frau Merkels fortsetzt?

Aufiero: Beide haben sich in dieser Frage nie eindeutig geäußert. Wobei es bei Angela Merkel eine aufschlußreiche Szene gab, als sie einmal in einer Talkshow auf eine junge Frau mit Down-Syndrom traf, die erzählte, wie froh sie sei, am Leben und nicht abgetrieben worden zu sein. Da war eine gewisse Erschütterung bei der Kanzlerin wahrzunehmen. Dennoch hat sich Frau Merkel nie entschieden positioniert, vermutlich aus machtpolitischen Erwägungen.

Und mit Merz geht diese Profillosigkeit an der Parteispitze weiter. Doch gibt es auch gute Nachrichten: Überraschend war, daß die Unionsabgeordneten, die sich klar gegen Brosius-Gersdorf stellten, in der Mehrheit junge, teils sogar sehr junge Leute sind. Es ist ermutigend, daß also offenbar ein Teil des Nachwuchses sehr viel konservativer ist, als es sich die Herren Merz und Spahn wohl wünschen.

„Fall Brosius-Gersdorf markiert Einschnitt für den Lebensschutz“

Nimmt der Einfluß der Lebensrechtsbewegung, mit ihrem diesjährigen „Marsch für das Leben“ in Berlin, Köln und München zu?

Aufiero: Zu wünschen ist es, aber wir müssen uns auch davor hüten, den Erfolg in Sachen Brosius-Gersdorf zu überschätzen. Denn, um ehrlich zu sein: Dieser ist Folge einer sehr speziellen Situation. Wäre die Bundestagswahl anders ausgegangen und die Ampel weiter an der Macht, wäre Brosius-Gersdorf nun wohl Verfassungsrichterin – ebenso wäre die Union nicht wie geschildert in einer so geschwächten Lage.

Erst dadurch war es möglich, daß die trotz allem relativ kleine Zahl von einigen zehntausend Bürgern einen solchen Einfluß gewonnen hat und zum Zünglein an der Waage werden konnte. Andererseits sollten wir aber unser Licht auch nicht unter den Scheffel stellen, denn der Fall Brosius-Gersdorf markiert einen Einschnitt für den Lebensschutz.

Inwiefern?

Aufiero: Insofern als es von nun an die Zeit vor und nach Brosius-Gersdorf gibt.

„Frau Kaufhold ist für uns kein Thema“

Heißt?

Aufiero: Daß wir hinter dieses Ereignis nicht mehr zurückkommen: Davor war die Lebensschutzbewegung, wie Sie schon angedeutet haben, in der Tat leider mehr oder weniger politisch bedeutungslos. Doch das hat sich fundamental geändert, etwa da die Unionsspitze nun sehr viel aufmerksamer auf uns blickt, um nicht erneut so überrascht zu werden und eine weitere peinliche Schlappe zu erleiden.

Was heißt das konkret, zum Beispiel für die zweite SPD-Richteramtskandidatin Ann-Katrin Kaufhold?

Aufiero: Auch auf die Gefahr hin, einige zu enttäuschen – denn manche fordern uns auf, daß wir uns nun auch gegen diese Kandidatin wenden. Aber: Frau Kaufhold ist für uns kein Thema, denn ja, es mag sein, daß sie ebenfalls Ansichten vertritt, die mir persönlich nicht gefallen mögen. Aber zum Thema Lebensschutz hat sie bislang nichts Wesentliches gesagt. Und Lebensschutz ist und bleibt das einzige Thema, bei dem sich 1000plus politisch einmischt.

„SPD hat aus Fiasko gelernt“

Was ist mit Sigrid Emmenegger, der Ersatzkandidatin der SPD für Frau Brosius-Gersdorf?

Aufiero: Offensichtlich hat die SPD aus dem zurückliegenden Fiasko gelernt und den Versuch erst mal verschoben, politisch extreme Positionen in Fragen von Menschenwürde und Abtreibung in das Bundesverfassungsgericht zu hieven. Damit ist dieser neue Vorschlag ein weiterer Beleg für das, was ich meine, wenn ich von einer „Zeit vor und nach Brosius-Gersdorf“ spreche.

Er zeigt, daß der Lebensschutz nun eine im Vergleich zu vorher neue, enorme politische Relevanz gewonnen hat. Wir sollten diese zwar nicht überschätzen, aber sie bedeutet doch eine ungeahnte Stärkung unserer Postion. Und genau das brauchen wir dringend, denn ich kann nur warnen: der Kampf um die Abtreibung geht nun erst richtig los!

Inwiefern?

Aufiero: SPD, Grüne und Linke haben ja bereits am Ende der Ampel gezeigt, daß Sie die Legalisierung der Abtreibung in den ersten drei Monaten durchsetzen wollen. Nachdem das im ersten Anlauf gescheitert ist, setzen sie nun erneut an. Diesmal über den Umweg der sozialpolitischen Forderung nach voller Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung sowie nach einer Verpflichtung aller öffentlichen Krankenhäuser, Abtreibungen durchzuführen.

Was „Pro Femina“ und „1000plus“ eigentlich tun

Wie ist das bisher geregelt?

Aufiero: Die Kosten werden nur übernommen, wenn bestimmte Einkommensgrenzen nicht überschritten sind. Katholische Krankenhäuser können sich noch weigern, Abtreibungen durchzuführen. Aber diese Positionen wären wohl nicht mehr zu halten, wenn Abtreibung prinzipiell legalisiert würde.

Mit Hilfe dieser als sozial erscheinenden Forderungen soll daher Rückenwind erzeugt werden, sie zu legalisieren. Zu dieser Strategie gehört auch, Kritiker mundtot zu machen, zum Beispiel indem die SPD Hilfsangebote wie uns de facto verbieten will.

Warum das?

Aufiero: Weil es ihr, wie auch Grünen und Linken, in Wahrheit gar nicht um das Wohl der Frauen geht.

Inwiefern?

Aufiero: Um das zu verdeutlichen, müssen wir in den Blick nehmen, was unsere Initiativen „Pro Femina“ und „1000plus“ eigentlich tun: nämlich Schwangerenkonfliktberatung. Das heißt, wir beraten Frauen, die sich hilfesuchend an uns wenden, weil sie schwanger sind, aber nicht wissen, ob sie das Kind austragen sollen – etwa weil sie soziale, berufliche, partnerschaftliche oder persönliche Probleme haben.

Zum Beispiel?

Aufiero: Sie haben etwa Zweifel, ob sie der Herausforderung durch ein Kind gerecht werden, oder ob sie sich auf ihren Partner verlassen können, oder sie werden von diesem gar zur Abtreibung gedrängt. Andere wissen nicht, wie sie das Kind finanzieren oder mit ihrem Beruf vereinbaren sollen. Oder sie haben schon ein oder zwei Kinder und sehen keine familiären Ressourcen für ein zweites oder drittes. Oder, oder, oder … Sie glauben gar nicht, wie viele Konfliktsituationen es für schwangere Frauen gibt!

„Legalisierung und Fristverlängerung sind keine Lösungen“

Wie helfen Sie diesen?

Aufiero: Durch rund siebzig Mitarbeiter – darunter Ärztinnen, Pädagoginnen, Sozialarbeiterinnen, Suchmaschinen-Spezialisten, Programmierer und so weiter –, die nichts anderes tun, als Schwangeren zu helfen und und mit ihnen nach Lösungen zu suchen, wie es ohne Abtreibung gehen kann. Von Infos und Beratung, bis zu Zuschüssen, wenn es an Einkommen fehlt, oder wenn es nötig ist, für das kommende Kind umzuziehen, weil vielleicht die Wohnung zu klein ist oder weil man sich vom Partner trennen muß, der zur Abtreibung drängt.

Was ist an dieser Arbeit politisch so brisant, daß die Berliner SPD – die die Schließung von Pro Femina gefordert hat – sie verbieten möchte?

Aufiero: Wir widerlegen die Lüge, mit der linke Parteien die weitere Liberalisierung der Abtreibung propagieren: nämlich, daß es dabei um Freiheit ginge. Unsere Arbeit beweist jeden Tag das genaue Gegenteil: Abtreibung ist in der großen Mehrheit keine freie, sondern eine durch Druck und Not erzwungene Entscheidung. Nur eine Frau, die echte Beratung und Hilfe erhält, kann eine wirklich freie Entscheidung treffen.

Was linke Ideologen nicht wahrhaben wollen: Erhalten Schwangere in Not konkrete, persönliche Hilfe, entscheidet sich die überwältigende Mehrheit für das ungeborene Kind. Legalisierung und Fristverlängerung sind keine „Lösungen“, im Gegenteil: sie verschlimmern die Not. Wird eine Frau vom Partner zur Abtreibung gedrängt, verstärkt Legalisierung diesen Druck noch. Und je länger die gesetzliche Frist, desto länger dauert das Martyrium einer Frau, die zur Abtreibung gedrängt wird!

Im Klartext: Unsere Arbeit entlarvt, daß die Linke die realen Probleme Schwangerer nicht sehen und nicht lösen will. Sie will in Wahrheit nicht Wahlfreiheit, sondern forciert Abtreibungen aus ideologisch-machtpolitischem Kalkül. Und alle, die so konkret helfen wie wir bei 1000plus, sind eine machtpolitische Gefahr für sie. Nach allem, was ich erlebt habe, glaube ich diesen Leuten kein Wort mehr. Ihnen geht es bei der Abtreibungsdiskussion nicht um Schwangere in Not, sondern um politische Macht.

„Die von den Linken geführte Debatte fußt auf einer Lüge“

Sie beanspruchen, mit Pro Femina und 1000plus bisher etwa 100.000 Frauen bei Ihrer Entscheidung zum Kind unterstützt zu haben. Wenn das stimmt, würde das dann nicht bedeuten, daß, wer Ihr Verbot fordert, im Grunde wünscht, daß diesen 100.000 Menschen nicht geholfen worden wäre, geboren zu werden?

Aufiero: Genau so ist es. Die von den Linken geführte Debatte fußt auf einer Lüge. Die Wahrheit ist, daß Frauen instrumentalisiert werden, um eine politische Ideologie durchzusetzen und Macht zu erlangen: eine Ideologie, die eine bestimmte Vorstellung von Emanzipation – die keine echte Emanzipation ist – mit Abtreibung gekoppelt hat.

Mit der Wirklichkeit der meisten Frauen in Schwangerschaftsnöten hat das nichts zu tun. Daher sind diese Leute auch nicht die Anwälte von Frauen, sondern Verräter weiblicher Freiheit: Die feministische Bewegung übt Verrat an Frauen in Schwangerschaftskonflikten! Schwangere in Not werden zu Figuren im zynischen Spiel um politische Macht degradiert – und diese Leute gehen auf alles und jeden los, der dieses Spiel entlarvt.


Kristijan Aufiero ist Leiter der Schwangerenhilfsorganisationen „Pro Femina“ und „1000plus“. Geboren 1969 im ostkroatischen Varaždin, wuchs er in Kroatien, Italien und Deutschland auf und studierte Politikwissenschaft in München und Siena. 1999 gründete der gläubige Katholik und Vater dreier Kinder den Verein Pro Femina und 2009 die Initiative 1000plus.

Aus der JF-Ausgabe 39/25.

Kristijan Aufiero: Der Lebensschützer stieß die Debatte um die Juristin Brosius-Gersdorf mit an. Foto: Privat
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