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ARD-Chefredakteur zum Migrationspakt: Gniffke: Wir haben angemessen berichtet

ARD-Chefredakteur zum Migrationspakt: Gniffke: Wir haben angemessen berichtet

ARD-Chefredakteur zum Migrationspakt: Gniffke: Wir haben angemessen berichtet

Gniffke
Gniffke
Kai Gniffke, Asylsuchende 2015 an der ungarisch-österreichischen Grenze Foto: picture alliance/NurPhoto/dpa/JF-Montage
ARD-Chefredakteur zum Migrationspakt
 

Gniffke: Wir haben angemessen berichtet

In Deutschland ist eine Diskussion über den UN-Migrationspakt entbrannt. Kritiker beklagen jedoch, Politik und Medien hätten zu spät und unzureichend über das Abkommen und seine Inhalte informiert. „Tageschau“-Chefredakteur Kai Gniffke weist dies zurück. Im Interview mit der JF verteidigt er die Berichterstattung über den Migrationspakt. Diese sei unvoreingenommen und kritisch.
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In Deutschland ist eine Diskussion über den UN-Migrationspakt entbrannt. Kritiker beklagen jedoch, Politik und Medien hätten zu spät und unzureichend über das Abkommen und seine Inhalte informiert. „Tageschau“-Chefredakteur Kai Gniffke weist dies zurück. Im Interview mit der JUNGEN FREIHEIT verteidigt er die Berichterstattung über den Migrationspakt. Diese sei unvoreingenommen und kritisch.

Herr Dr. Gniffke, haben „Tagesthemen“ und „Tageschau“ das Thema UN-Migrationspakt und die Kritik daran unterschätzt?

Gniffke: Nein, der Migrationspakt, über den im Dezember entschieden wird, ist seit Wochen Gegenstand der Berichterstattung.

Auf den Entwurf des Abkommens haben sich die UN-Mitgliedstaaten aber schon im Juli verständigt.

Gniffke: Im Juli wurde der Text des Pakts verabschiedet, der im Dezember offiziell beschlossen werden soll. Darüber hatten wir übrigens auf tagesschau.de im Juli berichtet.

„Es geht darum, den Inhalt des Pakts sachlich darzustellen“

Als Sie Ende Oktober in Dresden bei der AfD-Veranstaltung gefragt wurden, wann die ARD über den Pakt berichten werde, sagten Sie: „Der Termin ist der 11. Dezember. Ich nehme an, daß wir dann darüber berichten werden.“ War das rückblickend ein Fehler?

Gniffke: Nein, denn sicher werden wir dann im Dezember darüber berichten. Es wäre ein Fehler, dann nicht darüber zu berichten. 

Die Kritik entzündete sich eher daran, daß der Zuschauer wohl das Gefühl hatte, die ARD habe bis dahin nicht ausreichend über den Pakt informiert.

Gniffke: Zum einen hat ARD-aktuell bereits im Juli über den Text des Paktes berichtet. Zum anderen ist es bei unterschiedlichen Lebensbereichen oft so, daß Teile des Publikums den Wunsch haben, noch mehr zu erfahren – sei es Sport, Wissenschaft, Globalisierung oder anderes.

Warum betonen die Nachrichtensendungen der ARD, aber auch Formate wie „Bericht aus Berlin“, zwar stets, daß der Pakt rechtlich nicht bindend sei, erwähnen aber nicht gleichermaßen ausführlich, daß er politisch verpflichtend sein soll?

Gniffke: In unseren Nachrichtenangeboten werden sowohl die Verpflichtungen genannt als auch die beschränkte Bindungskraft, die der Migrationspakt entfaltet.

Die Kritik am UN-Migrationspakt wird meist als Panikmache, Fake News oder Verschwörungstheorie abgetan, warum setzen sich die Nachrichtenformate der ARD nicht – ähnlich wie bei TTIP – auch inhaltlich mit der Kritik auseinander?

Gniffke: Die Nachrichtenangebote von ARD-aktuell sind nicht dazu da, die Kritik an dem Migrationspakt oder den Pakt selbst abzuqualifizieren. Es geht darum, den Inhalt des Pakts sachlich und unvoreingenommen darzustellen. Die Bewertung der Vereinbarung überlassen wir getrost einem sehr mündigen Publikum.

„Wir erheben bei allen Themen Anspruch auf kritische Berichterstattung“

Gab es bislang in der ARD einen Bericht, der sich inhaltlich kritisch mit dem Pakt auseinandersetzte oder ist ein solcher geplant? Schließlich gab es auch mehrere Berichte, die die Vorteile des Abkommens erläuterten.

Gniffke: Die Nachrichtenangebote von ARD-aktuell erheben bei allen Themen den Anspruch auf kritische Berichterstattung. Das erwartet das Publikum zu Recht von uns. Dies gilt auch für den Migrationspakt. Die Bewertung, ob ein Passus aus dem Pakt ein Vorteil oder ein Nachteil ist, obliegt dem Publikum, nicht der Redaktion. So kann man beispielsweise die Verpflichtung, Fluchtursachen zu bekämpfen, als Vorteil ansehen – andere Betrachter werden das als rausgeschmissenes Geld bewerten. So unterschiedlich kann die Bewertung des Publikums ausfallen.

Stellt die ARD die Vorbehalte in Teilen der Bevölkerung gegenüber dem Abkommen Ihrer Ansicht nach ausreichend dar bzw. räumt sie diesen genügend Platz ein?

Gniffke: Die Nachrichtenangebote von ARD-aktuell haben die Aufgabe, die unterschiedlichen Positionen im gesellschaftlichen Diskurs angemessen abzubilden. Dies ist meiner Ansicht nach bei der Darstellung des Migrationspakts und der Kritik daran gelungen.

Warum ließ die ARD bislang keine renommierten Kritiker des Paktes zu Wort kommen, beispielsweise Rechtswissenschaftler und Regierungspolitiker anderer Länder?

Gniffke: ARD-aktuell hat umfangreich über die Kritik an dem Pakt berichtet, etwa aus Österreich, Tschechien, Slowakei und Polen.

Wäre ein kritischeres Infragestellen und Beleuchten des Migrationspaktes durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht geeignet, Vorurteile und Mißtrauen in der Bevölkerung vor dem Abkommen entgegenzuwirken?

Gniffke: Meiner Ansicht nach haben wir auch beim Migrationspakt unvoreingenommen und kritisch berichtet. Die Bewertung nimmt das Publikum selbst vor und entscheidet darüber, ob aus Vorurteilen Urteile werden oder ob das Mißtrauen größer oder kleiner wird. 

Aber wie soll das Publikum sich ein eigenes, objektives Bild machen, wenn es von bestimmten Kritikpunkten an dem Pakt, die von Rechtswissenschaftlern angeführt werden – Stichwort „Soft law“ –, nichts erfährt?

Gniffke: Deshalb hat ARD-aktuell gerade sehr umfangreich Inhalte sowie Einordnungen und Kritik zum Text des Abkommens geliefert. So haben wir am 31. Oktober über die kritische Haltung Österreichs in „Tagesschau“, „Tagesthemen“ und auf tagesschau.de berichtet, darüber hinaus am 2. November über die kritische Position Polens in „Tagesschau“ und auf tagesschau.de, am 8. November mit kritischen Einordnungen von Experten zu den Verpflichtungen auf tagesschau.de/faktenfinder sowie über die Positionen Tschechiens und Polens am 14. November und 20. November auf tagesschau.de, und am 21. November mit Experten-Interviews in den „Tagesthemen“.

Die kritische Position der Slowakei erschien vorgestern auf tagesschau.de. Soweit ein Überblick allein über die kritischen Stimmen zum Migrationspakt. Selbstverständlich haben wir in den zurückliegenden vier Wochen unser Publikum darüber hinaus mit erklärenden Formaten (z.B. „Kurz erklärt“) ausführlich über die Inhalte des Pakts informiert.

„Publikum überwiegend zufrieden mit Berichterstattung“

In der Presse mehren sich auch kritische Berichte zum Migrationspakt, zum Beispiel in BILD, Welt, Welt am Sonntag, FAZ, NZZ. In den Nachrichtensendungen und politischen Magazinen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gibt es diese jedoch nicht. Warum nicht?

Gniffke: Nochmal: Die Nachrichtenangebote von ARD-aktuell erheben bei allen Themen den Anspruch auf kritische Berichterstattung. Das erwartet das Publikum zu Recht von uns. Dies gilt auch für den Migrationspakt.

Welche Zuschauerresonanz erreicht Sie bezüglich des Migrationspaktes?

Gniffke: Offenkundig scheint der überwiegende Teil des Publikums mit unserer Berichterstattung über den Migrationspakt zufrieden zu sein. Die kritischen Stimmen bewegen sich in einem Umfang, den es auch bei anderen Themen gibt.

Wie bewerten Sie als Journalist die Informationspolitik der Bundesregierung und insbesondere des Auswärtigen Amtes in Bezug auf den UN-Migrationspakt?

Gniffke: Darüber maße ich mir kein Urteil an. Wir haben die Aufgabe, über Politik zu berichten, aber nicht Zensuren zu verteilen.

Christian Feld vom ARD-Hauptstadtstudio fragte auf tagesschau.de am Sonntag ganz offen: „Haben Politik – aber auch Medien – den Migrationspakt falsch eingeschätzt?“ Seine Antwort ist kein so eindeutiges Nein wie Ihres.

Gniffke: Ich bewerte unsere eigene Arbeit oder auch die Arbeit anderer Medien nicht. Das dürfen wir getrost dem Publikum überlassen.

„Niemand hat uns in unsere Berichterstattung reinzureden“

Wie bewerten Sie Ziel 17, Punkt 33c des Paktes? („Um diese Verpflichtung zu verwirklichen, werden wir aus den folgenden Maßnahmen schöpfen. Wir werden unter voller Achtung der Medienfreiheit eine unabhängige, objektive und hochwertige Berichterstattung durch die Medien, einschließlich Informationen im Internet, fördern, unter anderem durch Sensibilisierung und Aufklärung von Medienschaffenden hinsichtlich Migrationsfragen und -begriffen, durch Investitionen in ethische Standards der Berichterstattung und Werbung und durch Einstellung der öffentlichen Finanzierung oder materiellen Unterstützung von Medien, die systematisch Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und andere Formen der Diskriminierung gegenüber Migranten fördern;“)

Gniffke: Auch hier maße ich mir kein Urteil über den Inhalt des Migrationspakts an, aber gegen „volle Achtung der Medienfreiheit“ sowie „unabhängige, objektive und hochwertige Berichterstattung durch die Medien“ ist auf den ersten Blick nichts einzuwenden.

Sie sehen darin keine Gefahr, daß Medien durch finanzielle Anreize dazu motiviert werden könnten, unkritisch positiv über das Thema Migration zu berichten? 

Gniffke: Die Unabhängigkeit von politischen und wirtschaftlichen Interessen ist das, was gerade öffentlich-rechtliche Medien ausmacht. Niemand hat uns in unsere Berichterstattung reinzureden. Aber so hatte ich den Passus in dem Text auch nicht verstanden.

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Dr. Kai Gniffke ist Erster Chefredakteur von ARD-aktuell und EinsExtra

Kai Gniffke, Asylsuchende 2015 an der ungarisch-österreichischen Grenze Foto: picture alliance/NurPhoto/dpa/JF-Montage
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