Teile der deutschen Rechten haben die verhängnisvolle Neigung, sich politisch selbst in die Ecke zu stellen und damit auf vielversprechende Wirkungsperspektiven zu verzichten. Die Bewertung des Angriffskrieges von Putins Rußland gegen die Ukraine ist ein anschauliches Beispiel für diese durch massive Ausgrenzungen und Diffamierungen, aber auch durch selbstgewählte Fundamentalopposition samt Wagenburgmentalität zu erklärende Randständigkeit.
Betrachten wir in groben Zügen die denkbaren Grundhaltungen zum Krieg im Osten Europas aus konservativ-rechter Sicht:
Erstens ist da die Möglichkeit, diesen dem Völkerrecht wie dem Selbstbestimmungsrecht eindeutig zuwiderlaufenden Krieg als verheerenden Rückfall Rußlands in einen (schon länger zu beobachtenden) machtpolitisch wie territorial verstandenen Hegemonialanspruch auf den postsowjetischen Raum zu kritisieren. Die Ukraine erscheint dann als ein besonders augenfälliges Opfer, wie es vergleichbare in der Vergangenheit bereits mehrfach gegeben hat – etwa mit der Installation des Vasallenregimes in Transnistrien, den Annexionen der georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien oder der Unterstützung des weißrussischen Diktators Lukaschenko bei dessen skrupellosem Kampf gegen die dortige Freiheits- und Unabhängigkeitsbewegung.
Die kleinen baltischen Nationen, Moldawien, Georgien und selbst Polen fürchten, durch historische Erfahrungen traumatisiert, bei nächster Gelegenheit selbst zum Objekt derartiger Expansionsgelüste des Kremls zu werden. Mitgliedschaften in EU und Nato erscheinen ihnen deshalb als einzig wirklich verläßliche Sicherheitsgarantien.
Kreml bedient sich sowjetkommunistischer Narrative
Scharfe wirtschaftliche, speziell energiepolitische und möglicherweise auch militärische Reaktionen sind vor diesem Hintergrund ebenso angebracht wie die längst überfällige massive Aufrüstung unserer Bundeswehr, die sich in Olaf Scholz’ 100-Milliarden-Ankündigung ebenso manifestiert wie zum Beispiel in dem am 14. März gemeldeten Vorhaben, die Luftwaffe mit F35-Tarnkappenjets anstelle der schon vor über vier Jahrzehnten eingeführten Tornados auszurüsten. Und natürlich gehört die Professionalisierung des Beschaffungswesens und vor allem die gesamtgesellschaftliche Wertschätzung der Bundeswehr zu diesem Themenkomplex.
All das ließe sich flankieren mit der Bewußtmachung, wie sehr die vorangegangenen Altparteien-Regierungen sicherheitspolitisch versagt haben und hinsichtlich der extrem hohen Energie-Abhängigkeit von Rußland gerade in der Merkel-Ära einer naiven Weltsicht frönten. Weiterhin wäre es gerade aus rechtsgerichteter Sicht angebracht, auf die immer unverhohlenere Bedienung sowjetkommunistischer Narrative durch die Kreml-Propaganda hinzuweisen. Im Moskauer Luschniki-Stadion ertönten in Anwesenheit des Präsidenten anläßlich des achten Jahrestags der Annexion der Krim Jubellieder auf Lenin und Stalin, und die russische Hymne ist bezeichnenderweise schon seit Ende 2000 wieder mit der Melodie der sowjetischen unterlegt.
Aktivisten der ukrainischen Sache werden kollektiv als „Nazis“ oder „Faschisten“ verunglimpft, so wie einst die „Waldbrüder“ in Estland oder Lettland oder die antikommunistischen Kämpfer der UPA (Ukrainische Aufstandsarmee) vor und nach 1945. Nicht zuletzt entlarvt Putins „Ansprache an die Russische Föderation“ vom 21. Februar ihn als großrussischen, die Eigenheiten der von ihm als künstlich bewerteten Ukraine verleugnenden Machtpolitiker. Über die Jahrzehnte nach Stalins Tod sagte er: „Das Virus der nationalistischen Ambitionen verschwand nicht, und die Zeitbombe (…) sie tickte und tickte. Diese Bombe, ich wiederhole es, war das Recht auf Austritt aus der Sowjetunion.“
Zerfall der Sowjetunion ist für Putin ein Grundübel
Die zweite, hier ebenfalls vereinfachend dargestellte Grundhaltung ist jene, wie sie von den bereits eingangs kritisch der Selbstmarginalisierung bezichtigten Kräften bevorzugt wird. Man bekundet dort ein ausgeprägtes Verständnis für Moskaus „geopolitische Interessen“, die es ebenso zu beachten gelte wie die tiefsitzenden Ängste vor „Angriffen aus dem Westen“ beziehungsweise die Folgen der „Demütigungen“ durch USA und Nato seit 1991. Gern wird auch von Versprechungen des Westens an die Adresse des Kremls erzählt, die Nato und damit die eigene Einflußsphäre jenseits der deutschen Grenzen nicht weiter nach Osten ausdehnen zu wollen. Vertragliche Festlegungen in dieser Richtung gibt es allerdings keine, und sie wären über die Köpfe der ostmitteleuropäischen Völker hinweg auch schwerlich möglich gewesen.
Denn Esten, Letten und Litauer, Polen, Tschechen, Slowaken, Rumänen, Kroaten, Slowenen und andere sehen in möglichst festen, institutionellen Bindungen an den Westen nicht nur einen existentiell notwendigen Schutz vor russischem Imperialismus, sondern verstehen diese vor allem als endgültige Befreiung vom verhaßten sowjetischen Erbe sowie als symbolischen Wiederanschluß an die europäische Geschichte. All dies gilt spätestens seit der „Maidan“-Protestbewegung 2013 und der russischen Annexion der Krim im Folgejahr auch für die Ukraine.
Ukrainische EU- und Nato-Beitrittswünsche einer großangelegten internationalen Friedensregelung mit Rußland opfern zu wollen, ist zwar eine realpolitische Variante und historisch als solche keineswegs ungewöhnlich, aber grundsätzlich gesehen dennoch hochproblematisch – gerade aus rechtskonservativer Sicht. Der renommierte Osteuropa-Historiker Karl Schlögel hat am 27. Februar gegenüber dem Deutschlandfunk nicht von ungefähr darauf hingewiesen, daß es für den im KGB sozialisierten Putin nach dem Zerfall des Sowjetreiches ein Grundübel gewesen sei, „daß es einen Prozeß der Entfaltung der nationalen Kulturen und der Herausbildung von nationaler Staatlichkeit und Souveränität gegeben habe“.
Rußland war für das Deutsche Reich kein verläßlicher Partner
Überhaupt fällt auf, daß sich in der gegenwärtigen Debatte Positionen der radikalen vorgeblichen Rechten in auffallender Weise mit solchen der extremen Linken decken. Dies gilt für das an Denkmustern à la Tauroggen oder Rapallo beziehungsweise den Vorstellungen der KPD und der „roten Preußen“ in der SED-Führung orientierte nostalgische Rußlandbild ebenso wie für die Tendenz zur Verharmlosung autoritärer Praktiken. Da werden dann deutsche und allgemein westliche Aufrüstungsanstrengungen mit einem utopischen Pazifismus und Neutralismus beantwortet, die ukrainische Regierung und Armee als faschistoid diffamiert und völlig einseitige historisch-ethnische Rechtfertigungsversuche Moskaus für die Besitzansprüche auf Krim und Donbass, mitunter sogar auf die ganze Ukraine kritiklos übernommen.
Hierzu in aller Kürze nur soviel: Das Russische Kaiserreich war aus Sicht der deutschen Staatenwelt in den zurückliegenden Jahrhunderten keineswegs ein durchwegs verläßlicher Bündnispartner, nicht einmal für Preußen, das bis ins späte 19. Jahrhundert hinein mindestens ebenso enge Verbindungen zu England unterhielt (von den norddeutschen Ländern hier ganz zu schweigen). Die süddeutsch-österreichische Perspektive ist ohnehin eine andere. Sie legt aktuell mit Blick auf die historische österreichische Provinz Galizien Sympathien mit der ukrainischen Nationalbewegung nahe, zumal die Maidan-Revolte in Kiew entscheidend von jungen Männern aus dem westukrainischen Raum durchgesetzt wurde.
Zur Geschichte der Krim ist anzumerken, daß diese vor den Massendeportationen nichtrussischer Völkerschaften unter Stalin ab 1944 – allen voran der namensgebenden „Krim“-Tataren – keineswegs so eindeutig russisch geprägt war, wie es die illegitime Volksabstimmung vom 16. März 2014 suggerieren mag. Ähnliches gilt für den Donbass, der vor der ganz auf die Schwerindustrie setzenden sowjetischen Industriepolitik der 1920er Jahre ff. und dem stalinistischen „Holodomor“-Völkermord an den Ukrainern eindeutig multiethnisch war.
Die Nato zeigt sich schlagkräftig
Doch ganz gleich, welcher der beiden oben dargestellten Grundorientierungen man folgt: Das Rad der Geschichte dreht sich weiter, und momentan sieht es ganz danach aus, als ob Putins Rußland nachhaltig geschwächt aus diesem Krieg herauskommt und die bislang fragile Ukraine eine neue, tiefgreifende Phase ihrer Nationsbildung erlebt. Aufbauend auf den Traditionslinien des Kosaken-Hetmanats von Bohdan Chmelnyzkyj, auf den Staatsgründungsversuchen von Simon Petljura und Stepan Bandera, auf dem Holodomor-Trauma sowie auf den Träumen des Maidan wird dieser künftig viel selbstbewußtere Staat die Nähe EU-Europas und der Nato suchen und sie finden. Ob mit Unterstützung der europäischen Mittelmacht Deutschland oder ohne.
Eines muß sicherlich schon jetzt festgehalten werden: Die Nato und „der Westen“ haben sich in diesem Krieg als in einem Maße schlagkräftig gezeigt, das selbst China beeindrucken dürfte. Für die Nato ist diese unverhoffte Stärke eine Art „Jungbrunnen“ mit noch unabsehbaren weltpolitischen Folgen. Auch für die jahrzehntelang nicht wenigen als bloßes Bürokratiekonstrukt erscheinende Europäische Union ergeben sich Chancen. Die EU könnte sich durch den absehbar steigenden Einfluß Polens und der Visegrád-Staaten deutlich verändern, nicht nur in puncto Sicherheits- und Militäragenda, sondern vermutlich auch gesellschaftspolitisch.
Die in der breiten Öffentlichkeit zu Recht mit vollumfänglicher Solidarität beantwortete Fluchtbewegung aus der Ukraine – in der Regel handelt es sich um notleidende Frauen und Kinder (die bezeichnenderweise fast alle am liebsten grenznah in Polen Zuflucht suchen) und nicht um sich offensichtlich materielle Vorteile erhoffende junge Männer – könnte dabei ein wesentlicher emotionaler Kitt sein.
Neue Europa-Konzepte sollten beachtet werden
Auch aus der Sicht einer an spezifisch deutschen Interessen orientierten Außenpolitik muß betont werden, daß im Sinne des sprichwörtlichen Bismarckschen Spiels mit den fünf Kugeln die russische Kugel mittlerweile deutlich unbedeutender ist als die US-amerikanische und die EU-Kugel, sicherlich auch unwichtiger als die chinesische und vermutlich sogar als die des perspektivisch um Japan, Südostasien und Indien erweiterten Aukus-Paktes.
Vor diesem Hintergrund sollte sich die deutsche Rechte jenseits überkommener Denkkategorien mit dem Intermarium-Konzept befassen, der vor allem in Polen in wechselnder Gestalt lebendigen Idee, die Staaten zwischen Ostsee und Schwarzem Meer durch ein Bündnis eng zusammenzuschließen und einen wirksamen Schutz vor der territorialen Expansion Rußlands zu erreichen; jüngste Ausprägung davon ist die Drei-Meere-Initiative von 2015. Dieses Konzept gilt es, mit dem kulturgeschichtlich naheliegenden mitteleuropäischen Auftrag Deutschlands zu verknüpfen. Zum Wohle des eigenen Landes wie des ganzen Kontinents.
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Martin L. Schmidt, Jahrgang 1966, beschäftigte sich im Rahmen seines Geschichtsstudiums und anschließend als außenpolitischer Journalist, unter anderem als Ressortleiter der JUNGEN FREIHEIT, über drei Jahrzehnte hinweg intensiv mit Ostmittel- und Osteuropa. Seit 2016 ist er Abgeordneter der AfD im Landtag von Rheinland-Pfalz.
JF 14/22