Während in Deutschland sich die Arbeitslosenquote die Zehn-Prozent-Marke streift und das Wirtschaftswachstum gegen den Nullpunkt strebt, ohne daß sich die Regierung zu erfolgversprechenden Reformen durchringen kann, entwickelt die Regierung Bush milliardenschwere Pläne für ein „Konjunkturprogramm“, das diese Bezeichnung schon wegen der Laufzeit von zehn Jahren nicht verdient. Tatsächlich sind Strukturreformen geplant, deren Nachhaltigkeit über den betrachteten Zehn-Jahres-Zeitraum hinausreichen könnte. Veranlaßt wurde sie allerdings durch die nachlassende Konjunktur in den USA. Im vergangenen Jahr sank dort das Wirtschaftswachstum auf drei Prozent, während die Arbeitslosigkeit auf sechs Prozent stieg – Zahlen, von denen Deutschland nur träumen kann. Für die US-Amerikaner sind dies jedoch besorgniserregende Werte. Auch dies ist ein Beleg, welche Welten die USA und Europa immer noch trennen. Natürlich hat auch das Thema Irak-Krieg zu der Forcierung der Wirtschaftsreformüberlegungen beigetragen. Bush, der im nächsten Jahr wiedergewählt werden will, möchte dazu nicht nur seinen Ruf als Bekämpfer des internationalen Terrorismus in die Waagschale werfen, sondern auch beweisen, daß er die notwendigen Wirtschafts- und Sozialreformen erkannt und durchgesetzt hat. Erwartungsgemäß regt sich bereits im Vorfeld der Reformvorhaben der Widerspruch der Opposition. Insbesondere die Überlegung, die Besteuerung der Dividenden aus Aktienerträgen aufzuheben, erhitzt die Gemüter. Da würden die Reichen noch reicher, wettern nicht nur pflichtgemäß die Mitglieder der oppositionellen demokratischen Partei, sondern auch zahlreiche Beobachter aus der europäischen Sozialistenszene, die vorsorglich jede Überlegung im Keim ersticken wollen, die amerikanischen Reformideen zu übernehmen. Allerdings ist die Parallele etwa zu Deutschland nicht so ohne weiteres zu ziehen. Denn die in den USA zu versteuernden Dividenden sind bereits um die Gewinnsteuer vermindert worden, die US-Unternehmen an den Staat abzuführen haben. In Wirklichkeit handelt es sich also bei diesem Teil des Reformvorhabens um die Beseitigung einer Doppelbesteuerung. Der Reflex, mit dem Sozialisten auf jeden Verdacht einer Begünstigung der Reichen reagieren, ist allerdings ebenso vorhersagbar, wie er in der Regel ökonomisch falsch ist. Die Besteuerung von Kapitalerträgen ist generell wirtschaftlich bedenklich. Das gilt vor allem, wenn diese Kapitalbeträge zur Sicherung des Alters dienen – und das wird zunehmend die Standardform. Je höher die Erträge aus dem angesparten Kapitalvermögen besteuert werden, um so höher müssen die Kapitalbestände sein, die für ein bestimmtes späteres Alterseinkommen anzusparen sind. Der gegenwärtige Einkommensanteil, der dann noch für Konsumausgaben zur Verfügung steht, wird entsprechend sinken. Dieses Gift für die Konjunktur will Bush durch die gegenläufige Wirkung beseitigen. Die langfristig zugesicherte geringere Besteuerung des Vermögens bewirkt eine Verringerung des gesamten Kapitalbestands, der zur Sicherung des Alterseinkommens angespart werden muß. Damit werden nicht nur Gelder für gegenwärtige Konsumausgaben freigesetzt. Diese Strategie ermöglicht es auch den Beziehern geringerer Einkommen, mit geringen Sparleistungen Vermögensbestände aufzubauen, die die Altersversorgung finanziell abdecken. Damit wird die Bevölkerung nicht nur auf die Notwendigkeit der Eigenverantwortung für die Sicherung des Alters verwiesen, sondern auch dazu befähigt. Die Bush-Regierung nimmt mit diesem Reformplan das Risiko eines Steuerausfalls in Höhe von nahezu 300 Milliarden Dollar in Kauf. Ob diese Höhe tatsächlich erreicht wird, hängt davon ab, inwieweit mit dieser Reform die wirtschaftlichen Aktivitäten stimuliert werden. Je stärker dies der Fall ist, um so höher liegt das zusätzlichen Staatseinkommen aus den anderen Steuerarten. Damit wird mindestens ein potentieller finanzieller Vorteil zur staatlichen Alternative erzielt, die in Europa und speziell in Deutschland bislang immer noch vorgezogen wird – nach der Devise: Vermögen besteuern, damit den wachsenden Bestand an Staatsrenten finanzieren und für den restliche Finanzbedarf die sichere zusätzliche Staatsverschuldung in Kauf nehmen. Dagegen besitzt die eigenverantwortliche kapitalbezogene Lösung auch noch den nicht unbedeutenden Vorteil, daß damit eine freiheitliche Form der Altersversicherung gegeben ist, die vor allem frei von staatlicher Willkür und Zahlungsunfähigkeit ist. Schließlich folgt der US-Reformansatz einem Gebot der Stunde, dem sich gerade die europäischen Regierungen und speziell die deutsche nicht entziehen können. Das System der staatlich organisierten Versorgungssysteme, das mit einem Verfall der Privatvermögen einhergeht – teilweise mit enteignungsähnlichen Maßnahmen des Staates -, erreicht stets zwangsläufig ein Entwicklungsstadium, in dem es zusammenbricht. Danach bleibt nicht als die Rückkehr zur Urform der privaten Regelung. Manche verketzern dieses Naturgesetz als „neoliberal“, aber daran ändern kann das nichts. So wundert es auch nicht, daß selbst eine deutsche rot-grüne Regierung zu dieser Einsicht gelangt.