Der Zugriff auf unsere Kinder ist ein Anliegen, das Wirtschaftsverbände umtreibt. Sie stellen fest, daß der nachwachsende Rohstoff Mensch in Deutschland immer knapper wird. Daher versuchen sie, ihren Einfluß auf die Bildungspolitik auszuweiten, um auch in Zukunft in ausreichender Menge brauchbares Menschenmaterial zu erhalten. Da es etwas zu plump und auch wenig aussichtsreich wäre, Forderungen unmittelbar an die Politik zu stellen, halten sie sich vermeintliche Expertenräte und besetzen sie mit hochrangigen Professoren.
Diese Professoren lassen dann die Öffentlichkeit regelmäßig an ihren Weisheiten teilhaben und versuchen, die Politik in Zugzwang zu setzen. Ziel ist die möglichst weitgehende Kontrolle über Bildung und Erziehung. Dabei ziehen die wirtschaftsnahen „Experten“ die staatlichen Bildungseinrichtungen der Familie vor. Denn die Familie stellt eine Bildungsinstitution dar, die nur schlecht von außen steuerbar ist.
Ein wirtschaftsnaher Professorenklub belehrt
Am vergangenen Dienstag (22. März) legte der Professorenklub „Aktionsrat Bildung“ im Haus der Bayerischen Wirtschaft in München sein Jahresgutachten für 2011 vor. Der Aktionsrat ist ein Erzeugnis des Interessenverbandes „vbw – Vereinigung der bayerischen Wirtschaft“. Die Professoren haben unter anderem festgestellt, daß „die Familie als primäre Sozialisationsinstanz einen größeren Einfluß auf Bildungs- und Sozialisationsergebnisse von Kindern hat als die besuchten Kindertageseinrichtungen“.
Das hört sich ja trotz des Fachgeschwurbels zunächst einigermaßen vernünftig an. „Evaluationen“ zeigten allerdings, so werden wir weiter belehrt, „daß von nur familienbasierten Programmen kaum eine kognitive oder sprachliche Förderung der Kinder erwartet werden kann.“ Hingegen seien „gerade jene Förderungsansätze besonders fruchtbar, die Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsprozesse in Kindertageseinrichtungen mit einem intensiven Einbezug der Eltern, Familienförderung und Familienbildung verbinden.“
Eltern auf Linie bringen
Ein paar Zeilen weiter lassen die Professoren die Katze aus dem Sack: „Vor diesem Hintergrund liegt für eine Verbesserung der frühkindlichen Förderung nahe, die getrennten ‚Säulen‘ Kindertageseinrichtungen und Familienunterstützung/Familienbildung stärker zusammenzuführen. Kindertageseinrichtungen sollen dabei eine Funktionserweiterung erhalten: Sie sollen über ihre klassischen Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsprogramme hinaus auch Angebote der Elternbildung und der Elternarbeit bereitstellen“. Mit anderen Worten: Mit Hilfe der Kindergärten sollen die Eltern auf Linie gebracht werden.
Daß diese „Familienzentren“ ein weltfremder Vorschlag sind, zeigt die eigene Erfahrung. Zum Beispiel haben die als „Sprachberater“ in die Kindergärten geschickten Fortbilder selbst Schwierigkeiten damit, einen fehlerfreien deutschen Satz niederzuschreiben. Sie sind auch kaum dazu bereit, gegenüber den Eltern Rechenschaft von ihrer Arbeit abzulegen. Es hat sich eben – angetrieben von der Wirtschaft, beschlossen von Politikern, bezahlt durch den Steuerzahler – ein Markt entwickelt, bei dem es weniger auf Qualität ankommt als darauf, etwas vom Kuchen abzubekommen.
Lehrer mit Schulinspektionen gängeln
Auch die weiteren Vorschläge der „Experten“ beweisen wenig Sachverstand. So wollen sie Kinder schon ab vier Jahren in die Schule schicken. Sie bemängeln außerdem, daß Teile der Lehrerschaft Widerstand gegen Reformen leisteten. Lehrer wollen sie daher mit regelmäßigen Schulinspektionen gängeln und auf Reformkurs bringen.
Randolf Rodenstock, Präsident der vbw, zieht aus dem von ihm in Auftrag gegebenen Gutachten bereits den Schluß: „Wir fordern gerade in Bayern den flächendeckenden Ausbau von Ganztagsschulen in allen Schularten und eine Kindergartenpflicht ab dem vollendeten vierten Lebensjahr.“
„Schule als Zuliefererbetrieb für die Wirtschaft“
Da tut es gut, wenn ein Lehrer das nicht einfach hinnimmt und mit der Faust auf den Tisch haut. Lehrerverbandspräsident Josef Kraus poltert: „Mit professoraler Geste glaubt dieses Gremium, Deutschlands Lehrern zu geringe Reformfreudigkeit und mangelnde Professionalität vorhalten zu können.“ Man sollte „froh darüber sein, daß die Lehrerschaft nicht hektisch auf jede noch so unausgegorene von der Politik inszenierte Reform aufspringt und damit im Interesse der Kinder ein stabilisierendes Element darstellt.“
Außerdem gibt Kraus den „Experten“ mit auf den Weg: „Dem Aktionsrat wäre außerdem etwas mehr kritische Selbstreflexion zu empfehlen. Er handelt schließlich im Auftrag der Wirtschaft und muß sich fragen lassen, ob er die Schule nicht zum bloßen Zuliefererbetrieb für die Wirtschaft abrichten möchte.“
Schulzeitverkürzung und Bachelor-Master-System als Reformfehlschläge
Heinz-Peter Meidinger, der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbands, pflichtet bei: „Tatsache ist, daß es zu Recht sowohl an der Hochschule als auch an den Schulen massive Kritik an der Art und Weise gibt, wie ohne ausreichende Beteiligung der Betroffenen auf maßgeblichen Druck aus der Wirtschaft hin bildungspolitische Reformen wie die Schulzeitverkürzung und das Bachelor-Master-System umgesetzt worden sind. Beides sind Musterbeispiele dafür, wie man qualitätsorientierte Reformen nicht durchführen sollte!“ Bleibt zu hoffen, daß sich die Politik dieser Haltung anschließt und den Einfluß der Wirtschaft wieder zurückdrängt.