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Jean Raspail: „Es ist eine Art von Fluch“

Jean Raspail: „Es ist eine Art von Fluch“

Jean Raspail: „Es ist eine Art von Fluch“

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Jean Raspail
 

„Es ist eine Art von Fluch“

Bei seinem Erscheinen vor fast vierzig Jahren war Jean Raspails Roman„Heerlager der Heiligen“ eine düstere Vision. Heute hat sich die Realität der Fiktion von damals längst angenähert. Die JUNGE FREIHEIT widmet sich in ihreraktuellen Ausgabe der Debatte, die zur Zeit in Frankreich anläßlich einer Neuausgabe des Buches geführt wird. Lesen Sie an dieser Stelle dazu ein Gespräch, das die JF mit dem Autor im Jahr 2006 geführt hat.
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Weißmann, Reich, Republik, Nachkriegsrechte

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Jean Raspail…
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…sorgte mit dem „Heerlager der Heiligen“ für Aufsehen Fotos: JF; Wikimedia/Ayack (GNU-Lizenz)

Herr Raspail, Schiffe völlig überfüllt mit Einwanderern, Flüchtlinge, die wie im letzten Herbst im spanischen Ceuta und Melilla die Grenze Europas in einem Massenansturm einfach überrennen. Sie beschreiben all das in Ihrem jüngst wieder aufgelegten Roman Das Heerlager der Heiligen. Ein visionäres Buch, denn es stammt aus dem Jahr 1973!

Raspail: In Frankreich ist „Heerlager der Heiligen“ schon 1972 erschienen, in Deutschland wurde es 1973, 1978 und 1985 aufgelegt. Beim Erscheinen des Buches war ich noch kaum bekannt, das Buch hat sich in Frankreich dann aber seinen Weg gebahnt.

Es hat eine Auflage von zwei Millionen Exemplaren erreicht!

Raspail: Nicht zuletzt dank Menschen, die das Buch spontan verteidigt, die mehrere Exemplare gekauft und den Roman verschenkt haben, und so ist dieses Buch langsam aus den Wolken des Verschweigens entkommen. Eindruck hat das Buch übrigens auch in den Vereinigten Staaten gemacht, wo es sehr gut angenommen wurde. Dort hat es zu seiner Zeit wichtige Debatten in den großen amerikanischen Medien entfacht.

Sie haben den Roman als Warn- und Weckruf an die Europäer verfaßt, nicht zuzulassen, daß der Alte Kontinent in der Katastrophe einer neuen Völkerwanderung untergeht.

Raspail: Obwohl sich in meiner Heimat das Buch gut verkaufte, hat die Political Correctness die Debatte in Frankreich weitgehend erstickt. Wenn ich sage, daß dort wie in den USA dennoch „jedermann“ dieses Buch gelesen hat, so meine ich damit die Intellektuellen und die meisten Politiker. So ist das Buch zu einer Art Klassiker geworden, eine Art von Referenzbuch. Und das trotz der Tatsache, daß ich lange Jahre für das Buch sozusagen bestraft worden bin. Meine literarische Laubahn wurde in ihren Anfängen dadurch erheblich beeinträchtigt. Jetzt ist das vorbei. Jetzt ist das Buch in ein anderes Stadium seines Werdeganges getreten, heute gehört es in Frankreich auch an den Universitäten zur Alltagslektüre.

„Ich will nichts übertreiben“

Im Klartext heißt das, daß die Wirklichkeit das Buch eingeholt hat.

Raspail: Genau. Seit etwa drei Jahren ist die Einwanderung nach Europa auf dem Seewege erheblich angestiegen. Betroffen dabei ist in erster Linie die Route von Marokko nach Spanien.

Derzeit vor allem über die spanischen Kanaren, aber auch das italienische Lampedusa dient den Einwanderern als Sprungbrett nach Europa.

Raspail: Richtig. Vor etwa drei Jahren kam es zu jenem denkwürdigen Kentern eines großen Frachtschiffes mit zwei- oder dreitausend Flüchtlingen an Bord vor der südfranzösischen Küste. Darüber wurde in Frankreich hektisch diskutiert. Und da es nicht ein kleines Boot, sondern ein großer Frachter mit vielen Menschen an Bord war, der auf die Klippen gelaufen war, hat man sich plötzlich an „Heerlager der Heiligen“ erinnert, wo ich diesen Vorgang schildere. Und das Merkwürdigste daran war, daß dieses Schiff absichtlich auf die Klippen gesetzt worden ist, genau an dem Punkt, in dem im Buch Ähnliches geschieht.

Ein überraschender Zufall.

Raspail: Das hat mir zu denken gegeben, zumal ich das Buch im Haus einer Tante geschrieben habe, im Süden, genau oberhalb des Meeres und am selben besagten Punkt. Ohne besondere Worte zu verlieren, scheint es Ergebnis einer besonderen Inspiration gewesen zu sein. Und da ist noch etwas: Ich war eines Tages am Ufer, an den Klippen bei St. Rafael, just an dem Punkt von dem ich gesprochen habe, und fragte mich, was würde geschehen, wenn sie jetzt ankämen … Das war das Anfang des Buches. Und von da an habe ich quasi nicht mehr aufgehört zu schreiben, bis ich das Buch beendet hatte. So etwas ist mir später nie wieder geschehen. Ich will nicht sagen, daß mir jemand die Feder geführt hätte, ich will nichts übertreiben, aber das spontane Entstehen des Buches, das soviel enthält, das nachträglich tatsächlich eingetreten ist, läßt mich wundern.

Ein absurder Prozeß

Die Warnungen und Mahnungen, die Ihr Buch enthält, sind nicht beachtet worden. Was sind die größten Fehler, die von den Europäern seitdem begangen wurden?

Raspail: In Frankreich – die Lage in Deutschland kenne ich nicht – ist die Debatte um die Gefahr der Masseneinwanderung inzwischen möglich geworden und auf die Tagesordnung gekommen. Sie wird toleriert. Aber vor einigen Jahren war dies noch unmöglich. Man kann jetzt in Frankreich darüber sprechen, trotz der Tatsache, daß inzwischen jenes bekannte Gesetz gegen die Redefreiheit, das eben solche Äußerungen beschränken soll, verabschiedet wurde. Man kann in Frankreich heute die Dinge beim Namen nennen. Trotzdem, und das ist die große Überraschung: Ich kann nicht verstehen, wieso die europäischen Politiker meine Parabel immer noch nicht verstehen; wieso sie, obwohl sie sehr wohl darüber informiert und im Bilde sind, nicht verstehen, daß ungefähr um das Jahr 2050 das demographische Umkippen Europas endgültig eintreten wird.

Dann wird aller Voraussicht nach mehr als die Hälfte der jungen Europäer – also der Menschen unter fünfzig Jahre – ursprünglich aus der Dritten Welt stammen. Sie werden fremden Ursprungs sein, afrikanischen und moslemischen Ursprungs. Das ist eine voraussehbare absolute Tatsache, die jedermann kennt. Die eigentliche europäische Mehrheit – man könnte sagen: die weiße Mehrheit – im Alter von unter fünfzig Jahren wird dagegen immer stärker schwinden. Man erzielt Fortschritte, man versucht das und jenes, man will die Geburtenraten erhöhen, aber es ist völlig absurd: Wir werden in etwa vierzig Jahren in einer Situation sein, in der unser Europa, die Mutter Europa, Menschen anheimfallen wird, die ganz anders sind. Das erscheint mir als ein absurder Prozeß. Ich begreife nicht, wie wir ihn zulassen konnten und können. Es ist eine Art von Fluch.

Man drängt in der europäischen Öffentlichkeit stark in Richtung einer „Multikulturalität“, einer „multikulturellen“ Integration, und man will nicht zur Kenntnis nehmen, daß es in Wirklichkeit um eine Parallelität von Kulturen geht, die in so mancher Hinsicht gegenseitig feindlich ausgerichtet sind. Wenn von Multikulti die Rede ist, fragt man sich zum Beispiel, was etwa die Türkei in den vierhundert Jahren, in denen sie eine der großen Mächte in Europa war, zur europäischen Kultur beigetragen hat? Antwort: Es gibt keinen einzigen nennenswerten Beitrag.

Raspail: Das ist richtig. Und die türkische Zivilisation ist völlig verschieden von der unseren. Wie entwickelt sie auch sein mag, sie ist nicht die unsere. Wir leben zwar in einer Zeit der Information und des gegenseitigen Austausches auf verschiedenen Ebenen, und man kann sich nicht abschotten, aber der Sockel jeder Kultur, auch unserer Kultur, muß absolut solide bleiben, ansonsten wird sie zerstört. Deshalb glaube ich, daß es ein großer Fehler war, den christlichen Ursprung Europas zu verdecken. Es war ein großer Fehler, das Bekenntnis zum Christentum nicht in die Vorlage einer europäischen Verfassung hineinzuschreiben.

Die Unterschiede gehen allerdings sogar noch über das Religiöse hinaus – wir Europäer sind Cartesianer, das heißt Rationalisten. Was zur Zeit in der Dritten Welt stattfindet, steht dagegen unter dem Zeichen des Anti-Cartesianismus.

Raspail: Eben, und da redet man etwa immer davon, wie schön es in Spanien war unter der arabischen Herrschaft, wie außerordentlich harmonisch mulitkulturell es da zugegangen sei. Wenn es so schön gewesen ist unter den Kalifen, warum haben sich dann die Spanier soviel Mühe gegeben, sie rauszuwerfen?

„Es ist möglich, daß es zu einer Art von Reconquista kommt“

Sehen Sie eine Chance, daß der europäische Widerstand im Zeichen eines europäischen Patriotismus angesichts der heutigen Bedrohung zum gleichen Ergebnis gelangt wie vor Jahrhunderten die Spanier?

Raspail: Genau das war das Thema eines Beitrages, den ich in Le Figaro veröffentlich habe. Ich glaube, daß die erste Runde dieser Partie bereits verloren ist: Ab etwa 2050 werden wir eine Minderheit sein. Vielleicht noch ein dominante, aber schon eine Minderheit. Danach werden sich die Dinge erst richtig verschlechtern. Nicht zuletzt wegen unserer Geburtenrate. Danach aber ist es möglich, daß es zu einer Art von Reconquista kommt. Nicht unbedingt in der Art der spanischen Reconquista – ich weiß nicht, in welcher Form. Einstweilen sehe ich den einzigen Weg für uns in dem, was man Kommunitarismus nennt, also der Neuschaffung unseres Gemeinwesens als Gemeinschaft. Man redet viel über Kommunitarismus als Gegensatz zur Integrierung aller. Die Afrikaner, die Türken, die Araber leben bei uns ja schon in einer Art von Kommunitarismus. In der Zukunft muß als Antwort ein französischer Kommunitarismus, ein französisches Gemeinschaftswesen gestaltet werden. Wenn man den Multikulturalismus ablehnt und die Multiethnizität, wird man tatsächlich zu einer Art Reconquista kommen. Ich habe aber keine konkrete Vorstellung, wie diese Reaktion sich gestalten könnte.

Also verstehen Sie sich nicht als ein Prediger in der Wüste?

Raspail: Nein. Es gab eine Zeit, in der ich das dachte, aber jetzt denke ich das Gegenteil, zumal so viele Menschen gelesen haben, was ich geschrieben habe.

Verstehen Sie die Ereignisse, die kürzlich in den Pariser Vororten stattgefunden haben, eigentlich als eine Bestätigung Ihrer Thesen? Ist das der Anfang des Einsturzes unseres europäischen Gebäudes?

Raspail: Die Ereignisse waren eine Veranschaulichung unserer Schwäche. Was ausschlaggebend war, war die Zahl, die Masse. Und: Es ging da nicht um einen bewaffneten Aufstand. Das ist das Bedrohliche. Denn einem christlichen Regime ist es verboten, auf Unbewaffnete zu schießen, und das ist nicht schlecht so. Wenn so ein unbewaffneter Aufstand nun aber in die Millionen geht, wie werden wir dem dann noch Herr? Der Aufstand der Vorstädte war eine Art Signal. Aber ich glaube aber trotzdem nicht, daß die Vororte ihr Gesetz einer französischen Regierung aufzwingen könnten.

„Es gibt ein ganzes Arsenal von Worten, die verboten sind“

Das zweite Buch aus Ihrer Feder, das auf deutsch erschienen ist, ist der geheimnisvolle Roman „Sire“. Erneut eine Vision, diesmal aber nicht im Sinne einer Vorausschau, sondern eher einer Offenbarung: Sie sehen das französische Königtum im Geheimen bis heute weiterbestehen. Was ist der Unterschied zwischen einer durchaus verständlichen Nostalgie und einem Traditionalismus, der Berührungspunkte mit der Realität hat? Sie werden wohl zustimmen, daß es kaum eine Chance für eine monarchistische Restauration in Europa gibt.

Raspail: In Frankreich sicherlich. Das hindert mich aber nicht, zutiefst royalistisch zu sein, zumal ich es als ein nahezu religiöses Gefühl empfinde: Der König verkörpert in seiner Person die Nation, und obendrein hatte er einen sakralen Zug.

„Von Gottes Gnaden“.

Raspail: Das ist eigentlich ein Mißverständnis. Er war König nicht von Gottes Gnaden, sondern die Gnade Gottes hat den König unterstützt. In Frankreich ist es mehr als zweihundert Jahre her, daß man den König geköpft hat. Im übrigen Europa versuchen die Königsfamilien sich so zu benehmen wie jede normale Familie – mit denselben Problemen, Schwierigkeiten, Konflikten. Sie sind damit keine Symbole mehr, sie sind wie jedermann. Dabei stellt sich doch die Frage: Warum wird die Königin von England von allen so verehrt? Eben weil sie eigentlich nicht wie jedermann ist!

Nun eine andere Frage, die Schriftsteller und Journalisten betrifft: In Deutschland haben wir eine Art informelle Gesetze zur Sprachregelung, eine Art von Zensur. Man kann die Dinge nicht mehr beim Namen nennen, sondern muß sie auf politisch korrekte Art und Weise umschreiben. Stoßen Sie in Frankreich auf ähnliche Schwierigkeiten?

Raspail: Es gibt ein ganzes Arsenal von entsprechenden Gesetzen, von ganz spezifischen Gesetzen, etwa die Gesetze gegen Rassismus. Dieser „Rassismus“ – dieser sogenannte „Rassismus“ – kann etwa im Vokabular zum Ausdruck kommen, es gibt eine Anzahl von Begriffen, die nicht ausgesprochen werden dürfen. So dürfte ich zum Beispiel nicht aussprechen, daß es zu viele Schwarze in der Französischen Nationalmannschaft gibt – das wäre ein Vergehen. Und ich könnte rechtlich verfolgt werden. Ich bin tatsächlich schon einmal verklagt worden – es gibt in Frankreich zwei sehr mächtige Organisationen, die Ligue internationale contre le racisme et l’antisemitisme (LICRA) und die Mouvement contre le Racisme et pour l’Amitié entre les Peuples (MRAP), die sich mit solchen Vorgängen beschäftigen –, aber ich habe meinen Prozeß gewonnen.

Es gibt ein ganzes Arsenal von Worten, die verboten sind. So durfte man bis vor kurzem, wenn man von der Immigration sprach, nicht den Begriff „Invasion“ verwenden. Mein Buch wurde zum Glück veröffentlicht, bevor diese Gesetze in Kraft getreten sind. Sollte es heute erstmals erscheinen, würde es nie und nimmer veröffentlicht werden. Ich habe diesbezüglich, nur um mich zu amüsieren, einem Anwalt den Auftrag gegeben, dies zu überprüfen, und er hat mir 160 bis 200 Beispiele zitiert, die eine Veröffentlichung heutzutage unmöglich machen würden.

In Ihrem Fall haben die Jünger der „Political Correctness“ den Zug verpaßt.

Raspail: Gott sei Dank. 

———

Jean Raspail wurde 1925 in der Nähe von Tours geboren. Er studierte als Forschungsreisender die Naturvölker Amerikas und setzte sich für die Rechte der Indianer ein. Raspail verfaßte rund dreißig Romane und Essays, von denen außer „Heerlager der Heiligen“ nur noch „Sire“ (Nova & Vetera, 2005) auf deutsch erschienen ist. Er erhielt verschiedene Auszeichnungen, zuletzt 2003 den Großen Literaturpreis der Académie française. 

Das Interview führte Ivan Denes (†). Es erschien in der JUNGEN FREIHEIT Nr. 34/06 (18. August 2006)

> Stärker als eine Haltung. Zum 85. Geburtstag von Jean Raspail

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