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Marc Jongen, ESN Fraktion

Deutsche Stammtische

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Unwort, Umfrage, Alternativ

Wenn ich in einer Kneipe ein Bier trinken gehe, achte ich hin und wieder gerne darauf, ob es dort denn wirklich so zugeht, wie allgemein gesagt wird. Glaubt man Politikern, Journalisten und sonstigen selbsternannten Intellektuellen, dann sollen Stammtisch-Teilnehmer ja gar schreckliche Menschen sein:

Sie äußern sich angeblich in Sachen Kriminalitäts-Bekämpfung skeptisch gegenüber dem Gedanken der Resozialisierung. Sie bekunden Sympathie mit Thilo Sarrazin. Und das Schlimmste: viele Stammtischler haben im Gegensatz zu den Intellektuellen 1989/90 noch nicht einmal ordentlich gegen die Wiedervereinigung gehetzt!

Dreimal entschuldigt, bevor eine Meinung geäußert wird

Ich habe allerdings die Erfahrung gemacht: An deutschen Stammtischen wird sich erstmal dreimal für eine Meinung gerechtfertigt, bevor die Meinung geäußert wird. Nicht selten höre ich daher an Stammtischen Sätze, die mit „Ja, aber“ anfangen. „Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber“ – „Frauen müssen ja auch Rechte haben, aber…“

An solchen Sätzen erkennt man, wie eingeschüchtert und verängstigt das deutsche Volk ist. Neulich hat mir eine Frau mittleren Alters am Stammtisch gesagt, sie habe kein Mitleid, wenn „S-Bahn-Surfern“ etwas passiere. Und dann, um sich gleich wieder für diese Meinung zu entschuldigen und zu rechtfertigen: „Ist meine Meinung jedenfalls…“ – „Jeder kann ja eine andere Meinung haben…“ Der Stammtisch in Zeiten der politischen Korrektheit scheint viel regierungsfreundlicher und braver zu sein als gedacht.

Selbst Alice Schwarzer ist der Stimmungswandel nicht entgangen

Das ist auch den Machthabern nicht entgangen. Die Stammtisch-Keule taugt wegen der Selbst-Modernisierung des Stammtischs nur noch bedingt. Vor einigen Monaten wurde dies deutlich, als die Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) es gewagt hatte, den Feminismus zu kritisieren. Chef-Feministin Alice Schwarzer antwortete in einem teilweise giftigen Brief, Schröder habe „als Jahrgang 1977 zwar die Gnade der späten Geburt, aber nicht das Recht, Stammtisch-Parolen zu reproduzieren.“

Und nun kommt’s: „Stammtisch-Parolen aus den 1970er Jahren wohlgemerkt. Denn die Stammtische 2010 sind längst weiter, viel weiter als Sie.“ In der Tat. Möglicherweise liegt es allerdings daran, daß der Alkoholkonsum sich erhöht hat.

Abklopfen, ob das Gegenüber ein Gutmensch ist

Bevor sich die Stammtischler aus der Deckung wagen, wird jeder Diskussionsteilnehmer erstmal abgeklopft: ist es ein Gutmensch? Oder kann man hier die Wahrheit sagen? Wenn man dann selbst mal Klartext spricht, dann nicken sie ganz intensiv, und auch ihr Blick scheint mir sagen zu wollen: „Junge, rede ruhig weiter, ich werde dich nicht als Nazi beschimpfen, und werde dir nicht das Bier ins Gesicht schütten!“

Allein schon wegen dieses mäßigen Zustands des deutschen Stammtischs ist das Buch „Deutschland schafft sich ab“ ein großer Segen für Deutschland. Immerhin sehe ich aber schon jetzt meistens die These von Henryk M. Broder bestätigt, daß es Stammtische mit mehr Sachverstand als das FAZ-Feuilleton gebe. So gleicht sich der Nachteil der mangelnden Realitätsnähe und Abgehobenheit des Stammtisches wenigstens durch hohes geistiges Niveau und Kompetenz wieder aus. Na wenn das so ist: Prost, auf den angeblich so schlimmen Populismus!

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