Früher machten die beiden Volksparteien CDU und SPD ihren Namen noch alle Ehre. Jahrzehntelang hatte man es sich im Bundestag mit einem Drei-Parteien-System bequem gemacht, die kleine FDP spielte in aller Regel das Zünglein an der Waage. Auch als Grünen Anfang der achtziger Jahre das politische Parkett betraten, blieben die Mehrheitsverhältnisse überschaubar.
Die FDP war fortan der Lieblingspartner der Union, die SPD fand Gefallen an den ökobewegten Grünen, mit denen sie 1998 schließlich zum ersten Mal eine mehrheitsfähige Koalition auf Bundesebene einging. Mit dem Erstarken der Linkspartei und der damit verbundenen Erosion der SPD hat sich die Situation geändert. Seit dreieinhalb Jahren wird die Bundesrepublik von einer Großen Koalition regiert. Dies gefällt weder den Regierenden noch den Oppositionellen so richtig. Eigentlich folgerichtig erscheint deshalb der Vorstoß, den die Grünen-Spitze um Renate Künast und Jürgen Trittin vor einigen Wochen wagte. Es wird kolportiert, daß der Parteivorstand mit einer festen Koalitionsaussage zugunsten von SPD und FDP in den Bundestagswahlkampf ziehen wolle. Die Schnittmenge von SPD und Grünen sei gegeben und mit der FDP werde man sich schon arrangieren können, heißt es. Doch dieses Planspiel könnte vor allem die Grünen zerreißen.
Die Partei entstand vor rund 30 Jahren aus einer schwer überschaubaren Allianz von engagierten (teilweise konservativen) Ökologen, Friedensaktivisten und außerparlamentarischen Linksaußen. Im Lauf der Jahre hat die Partei ihr Bürgerschreck-Image abgelegt. Und so scheint eine Ampel-Koalition auf Bundesebene zumindest möglich, seit der grüne Landesverband in Hamburg mit der CDU koaliert. Wenn die Grünen mittlerweile auch mit der CDU regieren können, so sinnierte der ehemalige Umweltminister Jürgen Trittin, dann müsse es auch mit der FDP gehen. Doch diese wehrt die Avancen vehement ab.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung stellte unlängst die ketzerische Frage, ob Deutschland langfristig zwei liberale Parteien brauche. Aber trifft dieses Attribut überhaupt zu? Die Grünen galten seit jeher als linke Alternative zur SPD, die FDP als gemäßigtes Pendant zur Union. Doch mit dem Verlust der Bindungskraft der beiden „Großen“ hat sich auch die Ausrichtung der beiden kleinen Parteien geändert. So konnten die Grünen kaum vom Zerfall der SPD profitieren, deren frustrierte Aktivisten verschlug es zuhauf in die Linkspartei. Und die FDP?
Deren Frontmann Guido Westerwelle schaut amüsiert zu, wie die Union versucht, sich das Image einer modernen Großstadtpartei zu geben. Die Stimmungslage für die Liberalen ist so gut wie seit langem nicht, und das nicht nur, weil sich frustrierte Marktwirtschaftler von der Merkel-CDU im Stich gelassen fühlen. Es ist mittlerweile modern, die FDP zu wählen, so wie es in den neunziger Jahren für die Grünen galt. Doch reicht diese Parallele, um ein tragfähiges Bündnis zu schmieden?
Über die größten Schnittmengen – und hier trifft das Attribut „liberal“ für beide Parteien zu – verfügen FDP und Grüne in der Innenpolitik. Sie sind Bürgerrechtsparteien, legen Wert auf die Grundrechte und vor allem den Datenschutz. Auch in gesellschaftlichen Fragen standen sich beide traditionell nahe, waren neuen Familienmodellen gegenüber aufgeschlossen. Hier hat sich die FDP in den vergangenen Jahren allerdings eher Richtung Bürgertum bewegt, was wiederum zum Wildern in deren Revier einlädt. Größere Unterschiede bestehen in Fragen der Einwanderungspolitik. Hier hat sich die FDP schon seit geraumer Zeit von allzu offener Multikulti-Propaganda verabschiedet. Die Liberalen setzen sich für eine geregelte Zuwanderung von hochqualifizierten Arbeitskräften ein. Die Grünen – schon aus Traditionsgründen einer multikulterellen Vision verpflichtet – träumen von einer grenzenlosen Welt.
Die größten Unterschiede bestehen nach wie vor in der Umweltpolitik, hier vor allem im Streit um die Atomenergie. Ein Kompromiß scheint in dieser Frage ausgeschlossen. Auf Landesebene tun sich allerdings Gemeinsamkeiten auf. In den saarländischen Landtagswahlkampf ziehen beide Parteien mit der Forderung nach einem Ende des Bergbaus. Letztendlich wird ohnehin der Wähler darüber entscheiden, ob es denn Platz für zwei „liberale“ Parteien gibt. Und hier offenbart sich eine große Schnittmenge. Beide Parteien erzielen ihre Spitzenwerte seit Jahren in eher wohlhabenden Gegenden – in ihrer Anhängerschaft finden sich überproportional viele Akademiker.