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Die konzeptlose Hilflosigkeit

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Die Themen „Linksextremismus“ und „Antifaschismus“ gelten bislang als Stiefkinder der Politikwissenschaft. Eindeutig dominiert seit 1968 die Fokussierung auf das Problem „Rechtsextremismus“. Daß der wissenschaftliche Diskurs über Rechtsextremismus einem sozialen Minenfeld für kritische Intellektuelle gleicht, liegt zum Großteil an seiner politischen Instrumentalisierung. Der Linken dient die einseitige Blickverengung auf die „Gefahr von Rechts“ dazu, egalitäre und multikulturelle Leitbilder durch Ausschaltung konservativer Gegenstimmen zu fördern. Einige wenige strukturkonservative „Anti-Extremisten“ wenden sich statt dessen gegen Extremisten von links und rechts, vor allem, um die von ihnen unterstützten Unionsparteien vor antifaschistischen Angriffen besser abzusichern. Vertreter der politischen Linken kritisieren Schwachpunkte des „Anti-Extremismus“ teils zu Recht. So bemängelte beispielsweise Gerd Wiegel von der Universität Marburg in der DKP-Zeitung unsere zeit vom 27. September, daß „Anti-Extremisten“ nicht die Realität, sondern nur das Ideal des liberalen Verfassungsstaates vor Augen hätten, dabei letztlich „die Frage nach Extrem und Mitte schlicht auf die Macht, diese Definition durchzusetzen“, reduzierten. Durchaus treffend konstatierte der Politologe Hans-Gerd Jaschke bereits 1994, daß die Doktrin der „streitbaren Demokratie“ gegen „Extremisten“ von links und rechts „eigentümlich antiquiert“ anmute, weil darin zum Beispiel gesellschaftliche Ursachenzusammenhänge keine Rolle spielten. Statt dessen ginge es nur um Rehabilitierung der Staatsräson gegen politische Normabweichungen von Bürgern, einhergehend mit der Glorifizierung der Arbeit des Verfassungsschutzes und der Innenbehörden. Nun ist aus diesem Spektrum im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung ein neuer, 446 Seiten starker Sammelband unter dem Titel „Der mißbrauchte Antifaschismus“ erschienen. Allgemein wird in dem Buch dafür plädiert, vom „Antifaschismus“ zugunsten des „Anti-Extremismus“ oder „Anti-Totalitarismus“ Abstand zu nehmen. Herausgeber Eckhard Jesse kritisiert: „Als linksextremistisch gilt vielfach nur noch eine gewalttätige Variante, als rechtsextremistisch hingegen bereits jede Form der ’neuen Rechten‘. Wer im Neuen Deutschland einen Artikel schreibt, kommt ‚ungeschoren‘ davon; wer der JUNGEN FREIHEIT ein Interview gibt, provoziert eine Kampagne. Das Verschwimmen der Abgrenzung zwischen demokratisch und extremistisch geschieht am linken, nicht am rechten Rand, wie vielfach behauptet.“ Leider bleibt es meist bei oberflächlichen Essays und rückwärtsgewandter Themenwahl. Von über 400 Seiten befassen sich allein die Hälfte nur mit dem antifaschistischen Selbstverständnis der untergegangenen DDR. Weitere Seiten drehen sich um die SED-Nachfolgepartei PDS. Die Anfangsseiten fungieren als begriffliche Einführung in die Thematik. Bleiben ganze 84 Seiten, in denen man einige Annäherungen an Phänomene des aktuell dominierenden Antifaschismus abseits der PDS-Schiene findet. Organisationen wie die „Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation“ werden wenigstens noch in einem Aufsatz Patrick Moreaus kurz behandelt. Gedanken zur antifaschistischen Metapolitik, zum Einfluß auf Kirchen, Gewerkschaften, Medien oder Popkultur sucht man vergeblich. Man liest nichts vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS), nichts über den Einfluß „antifaschistischer“ Leitbilder auf Zeitschrifen wie den blick nach rechts. Namen wie Alec Empire oder „Campino“ tauchen ebensowenig auf, wie die „Junge Gemeinde“ in Jena, wie „KuK“ oder das Netzwerk „Kanak Attak“. Es beschleicht einen die flaue Vermutung, daß derlei Unterlassungen nicht an Liederlichkeit, sondern an Unkenntnis lagen. Ideologische Leitbilder sind nicht per se extremistisch „Anti-Extremismus“ basiert auf der legitimen, erklärbaren Angst vor einer Wiederkehr der totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts. Diese Angst macht aber blind für neue, anders gelagerte Risiken, die dem Staatswesen im 21. Jahrhundert drohen können, als einige nostalgisch veranlagte „extremistische“ Splittergruppen. Das Ziel, unsere Gesellschaft vor allen totalitär ausgerichteten Bestrebungen zu beschützen, ist ehrenwert, verkennt aber analytisch, daß der einseitige „Neo-Antifaschismus“ bestens funktioniert, gerade in Zeiten, in denen ein Großteil der politischen und medialen Herrschaftskaste aus dem ehemaligen SDS- und K-Gruppen-Milieu stammt. Ein Lösungsansatz jenseits des anti-extremistischen Vorgehens gegen Normabweichungen wird zudem nicht gegeben. Anti-Extremisten wünschen den Raum der geistigen Freiheit schließlich nicht erweitert, sondern zusätzlich noch nach links verengt. Eine Welt „streitbarer“ Bespitzelung und Unterstellung (nun auch noch gegen Links) scheint aber kein attraktiver Baustein zu einer neuen Kultur des offenen Dialogs zwischen toleranten und demokratischen Menschen aller politischen Strömungen. Um kein falsches Bild zu erzeugen: „Der mißbrauchte Antifaschismus“ ist ein stellenweise durchaus interessantes, begrüßenswertes und wichtiges Buch. Es verfügt über einige hervorragende Aufsätze, unter anderem von Cora Stephan, Peter Schütt und Manfred Funke. Es eignet sich zum Beispiel als gelungener Einstieg in das Verständnis des DDR-Systems, das via Antifaschismus ein Mittel der Selbstlegitimation und der denunziatorischen Ausschaltung oppositioneller Kräfte gefunden hatte. Leider wird jedoch nicht die Problematik erkannt, daß die Einteilungen von Menschen in „gemäßigt“, „radikal“ oder „extremistisch“ nicht automatisch anhand ihrer ideologischen Leitbilder vorzunehmen ist. Es gibt schließlich „gemäßigte“ wie extremistische Kommunisten, Anarchisten oder Nationalisten, und es sind durchaus auch extremistische Liberaldemokraten vorstellbar, so sie einmal vom falschen Elan für eine allzu „streitbare Demokratie“ ergriffen wurden. Die Scheidung zwischen „gemäßigt“ und „extremistisch“ erfolgt quer, also auf der menschlichen Ebene des Umgangs mit den eigenen Wertvorstellungen, mit der Bedeutung von Toleranz und Humanität in der persönlichen Umsetzung eigener Ziele, wenngleich – und hier besitzt das antiextremistische Anliegen in der alten Form unzweifelhaft seine Berechtigung – die historische Erfahrung lehrt, das bestimmte Ideologien aus strukturellen Gesetzmäßigkeiten heraus die Bildung extremistischer Charaktertypen begünstigt haben, man denke an den nationalsozialistischen Ausgrenzungsterror oder die Idee der „finalen Gewalt“ im Sowjetkommunismus. Der starre, schematische „Antiextremismus“ verkennt, daß es in jeder politischen Strömung, auch in der an die Ränder gedrängten, neben allen negativen Energien, Verhärtungen und Radikalisierungen auch einen großen Idealismus, einen Platz für Träume, Visionen und Engagement gibt. Der Drang des „autonomen“ Jugendlichen nach Freiheit und Selbstbestimmung ist prinzipiell genausowenig verwerflich wie die Suche von Anhängern rechtsgerichteter Parteien nach Heimat und Gemeinschaft oder das Engagement von PDS-Mitgliedern für soziale Gerechtigkeit. Was wäre, wenn man bei Akzeptanz verfassungsrechtlicher Spielregeln statt auszugrenzen, auch das Angebot zu einer Integration machen würde, zu einer demokratischen Teilhabe an unserem Staat, der eine Demokratie für alle Bürger sein soll? „Anti-Extremist“ Jesse bleibt leider in einer konzeptionell veralteten, parteiisch wirkenden „Rechtsaußen“-Position stehen, die den Erfordernissen einer weiterentwickelten freiheitlich-demokratischen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts nur Ansätze von Verständnis entgegenbringt. „Der mißbrauchte Antifaschismus“ ist sicher ein notwendiges Buch zu einem selten bearbeiteten Thema, das zahlreiche Einblicke gewährt, analytisch aber in den meisten Essays enttäuschend. Manfred Agethen, Eckhard Jesse, Ehrhart Neubert (Hrsg.): Der mißbrauchte Antifaschismus. DDR-Staatsdoktrin und Lebenslüge der deutschen Linken. Herausgegeben im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung, Herder-Verlag, Freiburg 2002, Paperback, 446 Seiten

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