Frau Kelle, ist ein unerfüllter Kinderwunsch nicht grausam?
Birgit Kelle: Ja, ich habe Freundinnen, die selbst darunter leiden. Das ist ein großer Schmerz.
Mittels Leihmutterschaft ließe er sich heilen.
Kelle: Sie wollen wieder Menschenhandel erlauben?
Nein, nur den Uterus einer Frau neun Monate mieten.
Kelle: Soweit ich weiß, nennt man die Nutzung eines Frauenkörpers gegen Geld Prostitution.
Hier geht es nicht um Sex, sondern darum, ein Kind ins Leben zu holen.
Kelle: Ach, Sie wollen die Frau als Gebärautomat für Ihren Kinderwunsch nutzen?
Sie oder ich haben leicht reden, aber es gibt Menschen, die können anders keine Kinder kriegen.
Kelle: Es stimmt, man kann sich glücklich schätzen, wenn man wie ich vier Kinder bekommen durfte: Es ist eine Gnade – die mir inzwischen aber auch vorgeworfen wird: „Du hast ja keine Ahnung wie das ist …!“
Da ist ja auch etwas dran.
Kelle: Das klingt, als hätte ich mir einen unfairen Vorteil verschafft. Tatsächlich hat unsere Gesellschaft verlernt, daß es so etwas wie Schicksal gibt. Wir glauben, einen Anspruch gegenüber dem Leben zu besitzen, ein Recht auf Kinder zu haben.
Doch dann treffen wir auf eine stur intolerante Biologie, die uns sagt: andere ja, du nicht! Es gibt viele körperliche Eigenschaften, über die wir unglücklich sein können, mit denen wir aber leben müssen – Aussehen, Geschlecht, Intelligenz oder der Tatsache, daß sich zwei Männer nicht gegenseitig befruchten können.
Kelle: „Organe zu verkaufen ist unethisch, ein ganzes Kind dagegen nicht?“
Allerdings tüftelt der Mensch seit der Steinzeit an Methoden, Defizite auszugleichen, und in Sachen Kinderwunsch sind wir jetzt soweit.
Kelle: Die Frage ist, welchen Preis wir bereit sind zu zahlen: Rechtfertigt der Schmerz der Kinderlosen die Wiedereinführung eines unmenschlichen und menschenunwürdigen Systems? Da sind wir doch hoffentlich einig: nein!
Warum ist Leihmutterschaft unmenschlich und menschenunwürdig?
Kelle: Ist das Ihr Ernst? Wollen wir Menschenrechte und körperliche Ausbeutung nochmal neu verhandeln? Ich nehme an, bei Organhandel wären wir uns einig über das No-Go! Also: Eine Niere zu verkaufen ist unethisch, ein ganzes Kind dagegen nicht?
Eine Niere abzugeben beeinträchtigt die Gesundheit dauerhaft, ein Kind zu gebären nicht.
Kelle: Einer Mutter direkt nach der Geburt das Kind wegzunehmen macht ihr also nichts aus? Das muß man erstmal sacken lassen. Man läßt die Leihmutter absichtlich fremde Eizellen austragen, sie soll keine tiefe Beziehung zu dem Kind im Bauch entwickeln, um es leichter herzugeben. Aber sie soll auch genetisch nicht mit dem Kind verwandt sein, um es später juristisch nicht einklagen zu können.
Auch wenn sie es doch behalten will, nimmt man es ihr weg, sie hat keine Rechte. In der Regel nutzt man also Eizellen einer jungen gesunden Frau, die für die Entnahme ihre Gesundheit riskiert. Dann setzt man die fremden Eier der Leihmutter ein, damit sie ein fremdes Ei brütet und damit ihre psychische und körperliche Gesundheit riskiert.
„Ein Kind könnte dann bis zu vier Mütter haben“
Das heißt, ein solches Kind kann drei Mütter haben?
Kelle: Vier, wenn der Auftraggeber ein lesbisches Paar ist: Wer die Mutter ist, ist schon lange nicht mehr sicher, wenn man Mutterschaft in genetische, biologische, soziale und rechtliche Mutterschaft aufspaltet und auf Verträge statt Abstammung baut.
Worin bestehen nun die gesundheitlichen Risiken?
Kelle: Bereits die genetische Mutter, also die Eizellspenderin, setzt sich einem körperlich hochbelastenden und manchmal lebensgefährlichen Eingriff aus, damit durch eine hormonelle Überstimulation möglichst viele Eizellen auf einmal geerntet werden können. Es kann akute und auch lebenslange Folgeschäden auslösen, innere Verletzungen, Zerstörung der Eierstöcke, Unfruchtbarkeit und Bluthochdruck drohen.
Auch die Leihmutter muß hormonell massiv überstimuliert werden, um ihrem Körper vorzutäuschen, er sei schwanger, damit er den genetisch fremden Embryo nicht sofort abstößt. Das Risiko einer Schwangerschaftsvergiftung steigt um hundert Prozent, ihr Körper wehrt sich ähnlich wie bei Organ-Empfängern gegen das genetisch fremde Gewebe. Sie muß bis zur Geburt große Dosen an Medikamenten nehmen.
Da das Fehlgeburtsrisiko hoch ist, wird die Prozedur oft mehrfach wiederholt, ihr Körper ausgelaugt. Das Risiko einer Frühgeburt mit all ihren Komplikationen ist erhöht. Auch bleibt die Leihmutter mit dauerhaften Schäden zurück, wie Gefäß- oder Herzkrankheiten, Unfruchtbarkeit, und man beobachtet zunehmend sogar Krebserkrankungen, die auch Jahre später erst auftreten können. Der Schaden ist dann das alleinige Problem der Frauen, die Kunden sind aus der Haftung raus.
„Den Frauen werden wahre Hormonbomben verabreicht“
Das klingt schrecklich, aber auch in anderen Bereichen verdienen Menschen ihr Geld in lebensgefährlichen oder gesundheitsschädigenden Berufen. Selbst Büroarbeit verkürzt ja das Leben vieler Menschen drastisch.
Kelle: Ich glaube nicht, daß das mit einer vorsätzlichen, massiven gesundheitlichen Schädigung wie hier zu vergleichen ist. Zur Erinnerung, wir diskutieren etwa, ob nicht bereits die „Pille“ ein zu großes hormonelles Risiko für die Frau birgt – Eizellspenderinnen und Leihmüttern werden dagegen wahre Hormonbomben verabreicht!
Allerdings gehen die Frauen das Risiko freiwillig ein.
Kelle: In Georgien wirbt man sie direkt in den Frauenhäusern an. Freiwillig? Die meisten kommen aus armen Staaten in Osteuropa, Asien oder Lateinamerika, und wie bei der Prostitution stellen sie ihre Körper für diese Art Ausbeutung aus wirtschaftlicher Not zur Verfügung.
Ob sie überhaupt ehrlich über die Risiken aufgeklärt werden, ist fraglich. Bei Organhandel argumentieren wir, daß es unethisch sei, selbst bei Einwilligung der Spender, weil wir sie davor bewahren, sich aus wirtschaftlicher Not selbst zu schädigen. Das sehe ich hier analog.
„Einfallstor für Organisierte Kriminalität und Pädophile“
In Ihrem Buch „Ich kauf mir ein Kind. Das unwürdige Geschäft mit der Leihmutterschaft“ kritisieren Sie, wir diskutierten „die falschen Fragen“. Inwiefern?
Kelle: Es geht eben weder um Babyglück für alternde Filmdiven oder schwule Paare noch um Geschlechtergerechtigkeit und Reproduktionsrechte für Kinderlose. Alle diese vordergründig so harmlosen, scheinbar humanen Debatten sind Einfallstore für die Kommerzialisierung und Ausbeutung von Frauen und Kindern, für zahlreiche Grenzüberschreitungen auf Kosten ihrer Würde, Freiheit und Gesundheit und ein Freifahrtschein für miese Geschäfte bis hin zu Organisierter Kriminalität, zur Kombination von Prostitution, Kinderhandel und sogar Organhandel. Dem Kinderglück einiger weniger steht das Grauen vieler gegenüber.
Der letzte Satz stammt aus Ihrem Buch, das nun passend zur geplanten Teillegalisierung der Leihmutterschaft durch die Ampel erschienen ist. Würde diese der Organisierten Kriminalität nicht das Wasser abgraben?
Kelle: Sie meinen, Babyhandel wird ethisch gereinigt, wenn er in deutschen Hochglanzkliniken statt in ukrainischen Klinikruinen stattfindet? Die Erfahrung zeigt, daß Legalisierung dem Markt nur einen Schub gibt und Kriminellen noch mehr Optionen eröffnet, siehe Prostitution, siehe Drogen. Schon heute werden Eizellen, Embryonen und auch Schwangere quer durch die Welt geflogen, je nachdem wo man sie braucht und wo was legal ist. Vor allem aber: man kann ein Grundübel nicht heilen, indem man die Bedingungen hübsch gestaltet.
„‘Altruistische Leihmutterschaft?’ Selbst das ist gelogen“
Na ja, in der Youtube-Talkshow „Stimmt!“ sind Sie mit dem Juristen Ralf Höcker aneinandergeraten, der mit seinem Mann drei Leihmütterkinder aus den USA und Kanada hat. Sie sagen selbst, daß der dortige Markt, der weltweit einzige ist, der ordentlich geregelt ist. Herr Höcker hat also mit all diesen kriminellen Methoden nichts zu tun. Haben Sie ihn folglich nicht zu Unrecht so scharf kritisiert?
Kelle: Das ist die Illusion, der sich auch die Bundesregierung hingibt. Nochmal: Ein Kind wechselt den Besitzer, egal ob es teuer oder günstig mit Vertrag oder Krankenversicherung oder ohne auf die Welt kommt. Ein vermeintlich regulierter, legaler Markt ist wie ein weißes Tischtuch, unter dem sich alles Illegale zudem prächtig entwickelt. Alle, die mitmachen, sind Steigbügelhalter.
Beispiel: In England ist es angeblich ebenfalls stark reguliert. Folge: In London haben sich Agenturen aus der Ukraine, Georgien und anderen Ländern angesiedelt, die zwar in Großbritannien angeblich nur das durchführen, was legal ist – hat der Klient aber weitergehende Wünsche, wird er direkt an eine Filiale im Ausland vermittelt. Genau das will die Ampel jetzt bei uns legalisieren.
Mittels eines Gesetzes zur sogenannten „altruistischen“, also uneigennützigen, Leihmutterschaft.
Kelle: Richtig, denn das Vermitteln und medizinische Umsetzen von Leihmutterschaften ist bisher verboten. Die altruistische Variante soll nun aber erlauben, daß eine Frau das Kind ohne finanzielles Interesse austrägt.
Doch selbst das ist gelogen, denn alle verdienen weiter, die Kliniken, Ärzte, Labore, Agenturen – und die Leihmutter bekommt in England dann eben kein Honorar, sondern eine „Aufwandsentschädigung“ von bis zu 25.000 Pfund. Das ist für manche ein Jahresgehalt.
Es wird also nur Stunden dauern, bis der erste „Diskriminierung!“ und nach einer Ausweitung der Regelung auf weitere Personenkreise ruft, wie wir es bei allen Debatten – auch der Adoption – erleben. Dazu kommt, daß die Leihmutterschaft ein Einfallstor selbst für Pädophile ist.
Warum? Man kann doch die Adoption vor diesen abschirmen, weshalb also nicht auch die Leihmutterschaft?
Kelle: Jeder kann ein Kind kaufen, egal aus welchem Motiv. Leihmutterschaft ist ein privates Geschäft, von dem niemand erfährt, bis das Kind auf der Welt ist und jemand Papiere für es will – wenn er Papiere will … Adoptionen unterliegen hohen Auflagen und einer staatlichen Aufsicht, es ist gar nicht so leicht ein Kind zu bekommen.
Alleinstehende, ältere oder homosexuelle Paare haben so gut wie keine Chance – aber eben sie sind das Kundenklientel bei der Leihmutterschaft. Diese einzuführen, aber für diese Menschen unzugänglich zu machen, würde das Problem also nicht lösen, wir bekämen eine Antidiskriminierungsdebatte.
„Selektiert, abgetrieben, weggeworfen oder der Forschung für Experimente ‘gespendet’“
Was also sollen diese Leute tun?
Kelle: Wieder lernen, mit ihrem Schicksal leben zu müssen. Weil das Unheil, das Einzug hält, wenn wir ihrem Wunsch nachgeben, nicht zu vertreten ist.
Sollte man nicht eine superstrenge Form erlauben? Wegen der hohen Auflagen könnte dann wohl nicht allen geholfen werden, wenigstens aber einem Teil.
Kelle: Die anderen gehen dann ins Ausland. Ihre Fragen zeigen unfreiwillig das eigentliche Problem auf: Immer geht es um das Leiden am Kinderwunsch, so gut wie nie aber um das geschaffene Leiden durch ihn. Die Leihmutter darf nicht leiden, das geschaffene Kind auch nicht, es soll aber gesund sein, seine Besteller und nur diese lieben und das richtige Geschlecht haben. Dafür werden mehr Embryonen gezeugt, als man Kinder will, dann wird in der Petrischale selektiert und weggeworfen, wir betreiben also Eugenik.
Man pflanzt der Leihmutter gleich mehrere Embryos ein, um die Chancen zu erhöhen, bei zu vielen Kindern im Bauch wird „reduziert“, sprich abgetrieben. Oder man versucht Zwillinge und Drillinge zu erzeugen, um Kosten zu sparen, riskiert dabei extreme Früh- und Fehlgeburtsraten ein. Und schließlich können die tiefgekühlten nicht genutzten Geschwister der Wissenschaft für Forschung und Experimente „gespendet“ werden, es ist heißbegehrtes Material.
„Die Einführung der Leihmutterschaft wäre ein Zivilisationsbruch“
Das hört sich allerdings an wie aus dem Labor des Dr. Frankenstein.
Kelle: Und das ist nur der Anfang, man arbeitet bereits am Versuch, die Mutter ganz durch einen künstlichen Uterus zu ersetzen. Aber all das soll die Öffentlichkeit nicht erfahren, sie soll nur das Bild einer menschenfreundlichen, blitzsauberen Wissenschaft sehen, die Menschen vom Leid des unerfüllten Kinderwunschs erlöst.
Dabei sind die Motive der Besteller sehr unterschiedlich: Berufstätige Frauen, die ihre Karriere oder auch nur die Figur nicht riskieren wollen. Oder jene, die dreißig Jahre kein Kind wollten, dann soll es aber erzwungen werden. Wir sehen es massiv in der Prominentenszene bei Frauen um die Fünfzig, die vorher andere Prioritäten hatten.
In all diesen Fällen geht es keineswegs um unverschuldete Schicksale, sondern um Geld, Karriere, Eitel-, Oberflächlich- oder Verantwortungslosigkeit. Legale Leihmutterschaft würde diesen Trend belohnen.
Selbst wenn sie bei uns verboten bleibt, wird das nichts nützen, da die Leute dann ins Ausland gehen.
Kelle: Kein Verbot verhindert jeglichen Mißbrauch, aber wenn künftig jene, die das im Ausland machen, in Deutschland Strafen erwarten, hätte das eine dämpfende Wirkung. Italien geht gerade genau diesen Weg und hat seine Gesetze verschärft. Das Ziel bleibt die weltweite Ächtung der Leihmutterschaft.
Schon deshalb, weil Kinder bereits im Mutterleib Menschen sind. Leihmutterschaft funktioniert nur, wenn man das negiert und ihnen das Menschsein abspricht. Das aber wäre nicht nur an sich schon ein Bruch mit unserer Ethik, es würde den Menschen zudem vor seiner Geburt der Wissenschaft als Experimentiermasse und Versuchskaninchen zur Verfügung stellen. Womit wir es also bei der Leihmutterschaft tatsächlich zu tun haben, ist nicht weniger als ein Zivilisationsbruch.
__________
Birgit Kelle. „Rhetorisch brillant“ nennt sie die FAZ, eine Frau, „die sich traut, gegen den Strom zu schwimmen“, der Spiegel. Bekannt wurde die 1975 im siebenbürgischen Heltau bei Hermannstadt geborene Journalistin, deren Familie 1984 nach Deutschland kam, durch pointierte Gastbeiträge in etlichen Medien wie Bild, Welt, Focus etc. und ihr Aufritte in fast allen deutschen TV-Talkshows sowie ihre Bucherfolge „Dann mach doch die Bluse zu. Ein Aufschrei gegen den Gleichheitswahn“ (2013), „Gender-Gaga. Wie eine absurde Ideologie unseren Alltag erobern will“ (2015) „Muttertier. Eine Ansage“ (2017), „Noch normal? Das läßt sich ändern! Gender-Politik ist das Problem, nicht die Lösung“ (2020), und ihr Bericht über ihre Jakobsweg-Pilgerfahrt „Camino. Mit dem Herzen gehen“ (2021). Am 4. März ist nun neu erschienen: „Ich kauf mir ein Kind. Das unwürdige Geschäft mit der Leihmutterschaft“. 2013 wurde sie mit dem Gerhard-Löwenthal-Preis für Publizistik ausgezeichnet.