Mit einem solchen Ergebnis hatte wohl niemand gerechnet. Auch nicht beim Fidesz. Kein Wunder, bis zuletzt galt eine mehr oder weniger komfortable absolute Fidesz-Mehrheit bei den Meinungsforschern als Konsens. Eine Zweidrittelmehrheit hatte kein einziges Institut prognostiziert. Dafür gab es aber bis zum Schluß einige, die ein Kopf-an-Kopf-Rennen für das wahrscheinlichste Szenario hielten.
Das war zugleich auch das Szenario, das sich im Herbst in der öffentlichen Wahrnehmung eingestellt hatte, nachdem sich das oppositionelle Sechsparteien-Bündnis nach langem Ringen auf Péter Márki-Zay als Spitzenkandidaten geeinigt hatte. Daß es das Bündnis angesichts interner Eifersüchteleien nicht vermochte, einen Spitzenkandidaten aus den eigenen Reihen hervorzubringen, sondern sich notgedrungen auf einen externen Parteilosen einigte, warf jedoch schon damals Fragen auf.
Der durchaus smarte Seiteneinsteiger Márki-Zay konnte diesen Geburtsfehler allerdings mit seinem selbstbewußten Auftreten schnell kaschieren. Nun entwickelte sich für das Bündnis jedoch ein völlig neues Problem: beinahe so oft wie Márki-Zay an ein Mikrophon trat, lieferte er der PR-Maschinerie des Fidesz durch fragwürdige Äußerungen neue Munition. Mal machte er gewisse Wählergruppen verächtlich, mal schwadronierte er allen Ernstes darüber, daß sein Bündnis auch „Kommunisten“ und „Faschisten“ vertreten würde.
Rußlands Angriff auf die Ukraine brachte neue Dynamik in den Wahlkampf
All diese verbalen Fehltritte änderten jedoch nicht wesentlich etwas an der öffentlichen Wahrnehmung, daß es am Wahltag sehr knapp werden würde. Noch im Januar und Februar war keines der beiden Lager klarer Favorit. Belastende Enthüllungsgeschichten übereinander waren wohl auch nicht mehr auf Lager. Selbst den westlichen Förderern des Oppositionsbündnisses fiel nichts Neues mehr ein, um einen Regierungswechsel zu begünstigen. Knapp zwei Monate vor den Wahlen schienen die Kräfteverhältnisse recht ausgeglichen zu sein.
Dann aber brachte Rußlands Angriff auf die Ukraine eine völlig neue Dynamik in den festgefahrenen Wahlkampf. Sofort begannen beide Seiten mit allen möglichen gegenseitigen Unterstellungen und Vorwürfen maximalen Nutzen aus den Vorgängen im Nachbarland zu schlagen.
Am Ende erwies sich das Fidesz-Lager mit seiner Inszenierung als „Partei des Friedens und der Sicherheit“ klar als erfolgreicher. Zusätzlicher Rückenwind für den Fidesz ergab sich aus der generellen Tatsache, daß unsichere Zeiten eher den Wunsch nach Stabilität als nach politischen Experimenten begünstigen
Der Autor ist Chefredakteur und Herausgeber der Budapester Zeitung. Der gebürtige Berliner lebt seit 1988 in der ungarischen Hauptstadt.