Von Berlin nach Premissel im Karpatenvorland, ganz im Südosten Polens sind es rund 850 Kilometer. Die Strecke über die gut ausgebaute A4 dauert neun Stunden und führt über Breslau und Krakau. Gestern morgen um sechs fuhr Ralph Knuth, Kraftfahrer aus Berlin, gemeinsam mit seinen Kollegen in zwei Reisebussen aus Berlin Mitte los. Ihre Mission: Geflüchtete Frauen und Kinder aus der Ukraine retten. Am Telefon schilderte er der JUNGE FREIHEIT am Mittwoch seine Eindrücke.
„Die Idee, Flüchtlinge nach Deutschland zu bringen, stammt von unserem Geldgeber, einem Architekten aus Berlin. Er hat dann zwei Busse gechartert. Wir haben Nahrungsmittel, Kleidung, Kinderspielzeug und Hygieneartikel in die Busse gepackt – und los ging es.“ Was sich so einfach anhört, bedarf im Grunde allerdings einen genauen Überblick über die Lage, Kenntnisse vor Ort, Organisationstalent und diverse Telefonate.
„Die Angst ist völlig unbegründet“
„Es müssen zwei Fahrer für jeden Bus bereitstehen“, schildert Knuth. „Wir haben natürlich Dolmetscher dabei und zwei Scouts, die im Bahnhof Mütter und ihre Kinder ansprechen und zu unseren Bussen bringen. Und auch Security, sollten die Busse vielleicht vor lauter Angst überrannt werden. Aber das kann ich gleich sagen – die Angst ist völlig unbegründet.“
Seit sieben Uhr steht Knuth mit seinen Kollegen jetzt auf dem Vorplatz des Bahnhofes. Hier stauen sich Fahrzeuge aus Deutschland, Tschechien, Polen. Das hat einen Grund: „Die Züge fahren hier nur in unregelmäßigen Abständen aus der Ukraine ein“, sagt Knuth. „Die Flüchtlinge, die es über die Grenze geschafft haben, erzählen, daß sich auf ukrainischer Seite die Flüchtlingsmassen stauen. Die Grenze sei wie ein Flaschenhals.“ Knuth vermutet, daß die ukrainischen sowie die polnischen Behörden versuchen, Massenpaniken zu verhindern in dem sie den Flüchtlingsstrom langsam nach Polen ableiten, um ihn so besser lenken zu können.
Frauen und Kinder zuerst
„Wenn die Flüchtlinge endlich in Polen aus dem Zug ausgestiegen sind, suchen unsere beiden Scouts gezielt Frauen und Kinder, die weiter nach Berlin fahren wollen.“ Im ersten Augenblick schlage den Helfern dann erst einmal der völlige Unglaube der Frauen entgegen: „Die können nicht fassen, daß sie für die Busreise nichts zahlen müssen.“ Drinnen in den Fahrzeugen gibt es dann erst einmal Tee, Brote und Spielzeug für die Kinder.
„Aber wissen Sie, wenn man dann sieht, wie unendlich dankbar diese Menschen für unsere Hilfe sind – das ist schon ein besonderes Geschenk“, sagt Ralph Knuth. Und dieses besondere Geschenk hat er sich heute, zu seinem 65. Geburtstag, den er auf einem Bahnhof irgendwo im Karpatenvorland verbringt auch verdient.
Irgendwann am Mittag, wenn die rund 110 Plätze beider Busse besetzt sind, werden Knuth und seine Kollegen die Heimfahrt antreten. Neun Stunden Fahrt liegen dann vor ihnen. „Alle drei Stunden ist Fahrerwechsel“, sagt Knuth. Nachts wollen sie in Berlin in der ehemaligen Karl–Bonhoeffer-Nervenklinik, einer Flüchtlingsunterkunft in Berlin eintreffen. „Allerdings,“, schränkt Knuth ein, „wenn die schon belegt ist, werden wir weiter nach Eisenhüttenstadt fahren müssen.“ Der Geldgeber stimme sich in der Sache schon mit den deutschen Behörden ab.
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Wer Flüchtlinge aus der Ukraine mit Sachspenden oder einem Dach über dem Kopf unterstützen möchte, kann sich an das Deutsche Rote Kreuz sowie die Initiative #unterkunft wenden.