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Vorwurf Nötigung: Die Blockaden von „Extinction Rebellion“ aus juristischer Sicht

Vorwurf Nötigung: Die Blockaden von „Extinction Rebellion“ aus juristischer Sicht

Vorwurf Nötigung: Die Blockaden von „Extinction Rebellion“ aus juristischer Sicht

Blockade
Blockade
Polizisten räumen in Berlin eine Blockade von Extinction Rebellion Foto: picture alliance/Paul Zinken/dpa
Vorwurf Nötigung
 

Die Blockaden von „Extinction Rebellion“ aus juristischer Sicht

Die Bundesrepublik ist eine freiheitliche Demokratie, in der sich jedermann „wirr“ gebärden kann, solange er nicht die verfassungsmäßige Ordnung oder die Rechte anderer verletzt. Genau daran bestehen bei den „Extinction-Rebellen“, die mit Straßenblockaden Auto fahrende „Klimakiller“ stoppen wollen, allerdings große Zweifel. <i<EIne Bewertung von Björn Schumacher.
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„Extinction Rebellion“ (Aufstand gegen das Aussterben) nennt sich eine britische „Klimaschutz“-Bewegung mit zahlreichen Anhängern im weltrettungsverliebten Deutschland. Die verblassende Attraktivität der großen Kirchen schafft spirituelle Leerstellen, die nicht nur von Astrologen und Esoterikern, sondern zunehmend auch von Weltuntergangspropheten besetzt werden. Da unser Juste Milieu, aufgeweicht im vernunftzersetzenden Säurebad der Political Correctness, linke Apokalyptiker liebevoll umarmt, blieb es dem AfD-Politiker Georg Pazderski vorbehalten, „Extinction Rebellion“ ungeschminkt zu bewerten: „wirre Endzeitsekte“.

Nun ist die Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 20 Grundgesetz (GG) eine freiheitliche Demokratie, in der sich jedermann „wirr“ gebärden kann, solange er nicht die verfassungsmäßige Ordnung oder die Rechte anderer verletzt. Eben daran aber bestehen bei den „Extinction-Rebellen“, die mit Straßenblockaden Auto fahrende „Klimakiller“ stoppen wollen, große Zweifel.

Dennoch behaupten die Aktivisten und ihre politischen Erfüllungsgehilfen des grün-roten Spektrums, die Blockaden seien friedlich und gewaltfrei und verstießen insbesondere nicht gegen Paragraph 240 Absatz 1 Strafgesetzbuch (Nötigung): „Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

In der Tat ist der Gewaltbegriff dieses Paragraphen umstritten. Ein enger („liberaler“) und ein weiter (konservativer“) Gewaltbegriff wetteifern um die Vorherrschaft. Während der enge Gewaltbegriff auf die physische Kraftentfaltung des Täters abstellt, fragt der weite nach der psychischen Zwangswirkung beim Opfer. Rasch wird klar, daß Sitzstreiks auf Autostraßen, Bahngleisen, Flugzeug-Startbahnen und so weiter keine Kraftanstrengung erfordern und deshalb eher mit dem weiten Gewaltbegriff in den Nötigungstatbestand münden können.

Der schillernde Gewaltbegriff des Nötigungsparagraphen

Im „Laepple-Urteil“ von 1969 stützte sich der Bundesgerichtshof (BGH) auf den weiten, damals „vergeistigt“ genannten Gewaltbegriff. Er schuf damit das Fundament für die strafrechtliche Bewertung der Blockaden von Friedens- und Anti-AKW-Bewegung in den achtziger Jahren. Sie kreisen um die Ortsnamen Brokdorf, Mutlangen und Wackersdorf.

Zwar wurde der BGH Anfang 1995 vom Bundesverfassungsgericht mit 5:3 Richterstimmen „zurückgepfiffen“ − mit der Begründung, der weite psychische Gewaltbegriff verstoße gegen das strafrechtliche Analogieverbot und sei daher nicht mit Artikel 103 Absatz 2 GG vereinbar („Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde“). Der BGH blieb aber widerspenstig und reagierte sehr kreativ mit der sogenannten Zweite-Reihe-Rechtsprechung, einer „Rechtsfigur von dämonischer Schläue“ (Süddeutsche Zeitung).

Er akzeptierte prima vista den engen Gewaltbegriff und kam zum folgerichtigen Ergebnis, daß Autofahrer in der ersten blockierten Reihe keiner Gewalt im Sinne des Paragraphen 240 StGB ausgesetzt seien. Anders verhalte es sich indes mit den Fahrern in der zweiten oder dritten Reihe. Diese würden durch die jeweils vor ihnen stehenden Fahrzeuge „gewaltsam“ an der Weiterfahrt gehindert, was sich die Blockierer im Wege der „mittelbaren Täterschaft“ zurechnen lassen müßten.

Wer mag bestreiten, daß dieser leicht sophistische Lösungsweg einem dringenden rechtspolitischen Bedürfnis entspringt? Das dachte sich wohl auch das Bundesverfassungsgericht, als es mit Beschluß vom 24. Oktober 2001 den neuen Ansatz des BGH billigte und damit Rechtssicherheit schuf. Zwischenergebnis: Die „Extinction-Rebellion“-Straßenblockierer handeln keineswegs friedlich und gewaltfrei.

Handelt „Extinction Rebellion“ verwerflich?

Allerdings erfordert der Tatbestand des Nötigungsparagraphen auch die „Rechtswidrigkeit“ der Handlung, was nach Paragraph 240 Absatz 2 StGB auf eine Prüfung der „Verwerflichkeit“ hinausläuft. Sind die Straßenblockaden von „Extinction Rebellion“ trotz des vermeintlich überragenden Anliegens also „verwerflich“? Ins Spiel kommt die Versammlungsfreiheit, Artikel 8 des Grundgesetzes, die hier mit der Figur des „zivilen Ungehorsams“ verknüpft sein könnte.

Allerdings bezieht sich dieser nur auf „friedliche“ Versammlungen. Zudem unterliegen Versammlungen unter freiem Himmel (Demonstrationen) gewissen Beschränkungen, insbesondere zum Beispiel den Versammlungsgesetzen von Bund und Ländern. Da das Land Berlin, in dem „Extinction Rebellion“ besonders aktiv ist, kein Versammlungsgesetz erlassen hat, gilt hier das Versammlungsgesetz des Bundes. Danach kann die zuständige Behörde bei Anhaltspunkten für eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung die Versammlung verbieten, auflösen oder von Auflagen abhängig machen, wenn durch ihren Verlauf gegen bestimmte Strafgesetze (zu denen auch die Nötigung gehört) verstoßen wird.

„Extinction-Rebellion“-Aktionen zeichnen sich dadurch aus, daß Nötigungen von Autofahrern keine Zufallsprodukte, sondern das ungeniert proklamierte Demonstrationsziel sind. Die Kann- bzw. Ermessensvorschriften des Versammlungsgesetzes führen bei pflichtgemäßer Ermessensausübung daher zwangsläufig zu Verbot beziehungsweise Auflösung der Blockaden durch Ordnungsamt und Polizei. Daß dies im rot-rot-grünen Berlin keine Option zu sein scheint, ist nicht hinnehmbar (und wird von den betroffenen Autofahrern wohl auch nicht lange hingenommen).

Was ist und wozu ziviler Ungehorsam?

Daran ändert auch die Berufung auf einen − angeblich gerechtfertigten − zivilen Ungehorsam im Rechtsstaat nichts. Diese im linken Spektrum gepriesene Konstruktion,  häufig beschrieben als kalkulierter, in Art, Dauer und Ausmaß überschaubarer Rechtsverstoß zur Durchsetzung überragender Belange des Gemeinwohls, ist eine rechtsphilosophische Totgeburt. Anders als das naturrechtlich grundierte Widerstandsrecht im „Unrechtsstaat“ (zu dessen positivrechtlichen Ausformungen das vorbeugende Widerstandsrecht des Artikel 20 Absatz 4 des Grundgesetzes gehört) fehlt dem zivilen Ungehorsam eine legitimierende Grundlage. Der demokratische Rechtsstaat bietet genügend legale, systemimmanente Verfahren und Institutionen zum politischen Kampf gegen tatsächliche oder vermeintliche Mißstände. Daß die Anerkennung zivilen Ungehorsams seine Autorität untergraben würde, sei nicht nur am Rande erwähnt.

Entsprechend schal, teils widersprüchlich klingen die Begründungsversuche. Für den Philosophen Jürgen Habermas ist der bürgerliche Ungehorsam „Element einer reifen politischen Kultur“. Der Rechtsstaat stehe „vor einer paradoxen Aufgabe: Er muß das Mißtrauen gegen ein in legalen Formen auftretendes Unrecht schützen und wachhalten, obwohl es eine institutionell gesicherte Form nicht annehmen kann.“

Ergebnis: Die Straßenblockaden sind auch verwerflich und damit rechtswidrig. Die „Extinction Rebellion“-Aktivisten müssen mit einer Bestrafung wegen Nötigung rechnen. Im Raum stehen obendrein Freiheitsberaubung nach Paragraph 239 StGB, gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr nach Paragraph 315b StGB und Gefährdung des Straßenverkehrs nach Paragraph 315c StGB.

Klarer als Habermas argumentierte 1983 ein anderer − zeitweiliger − Befürworter des zivilen Ungehorsams, der Rechtsphilosoph Ralf Dreier. Mit ihm führte der Verfasser dieses Textes Ende 2017 ein erhellendes Gespräch. Dreier betonte, mit seinen früheren Thesen zum Ungehorsam, gestützt auf die Werte-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, „nicht glücklich“ zu sein. Leicht ironisch fügte er hinzu, die konservative Göttinger Juristenfakultät habe ihn auf seinen Lehrstuhl berufen, weil man ein „linksliberales Feigenblatt“ gesucht habe.

Die Konsensdemokratie verkommt zur „Gegen-Rechts“-Postdemokratie           

Bemerkenswerte Einsichten finden sich in einem nach Dreiers Tod veröffentlichten Büchlein: „Politisch bin ich in den letzten Jahren wieder mehr nach rechts gerückt. […] Gern würde ich mit Thomas Mann sagen: ‘Ich lehne mich instinktiv nach links, wenn der Kahn rechts zu kentern droht − und umgekehrt’. […] Aber was heißt das heute? Lassen sich politisch-moralische Fragen überhaupt rational entscheiden oder wenigstens rational diskutieren? Rational heißt klar, informiert, vorurteilsfrei und rollentauschbereit. Diese Bedingungen sind stets nur annähernd erfüllbar. Also bleibt ein irrationaler Rest, in dem Interessengegensätze und tiefsitzende, herkunfts- und erfahrungsbedingte Werteinstellungen den Ausschlag geben. ‘Rest’ ist die falsche Metapher. In Wahrheit ist die Vernunft eine Nußschale auf dem Meer von Irrationalität.“

Und weiter: „In Gesprächen mit linken Protestgruppen […] lernte ich, daß man die Menschen heute in zwei Klassen unterteilen muß, je nachdem, ob sie ein ‘Apokalypse-Bewußtsein’ haben oder nicht (der Ausdruck stammt von Günther Anders).“ Warum aber ist das Apokalypse-Bewußtsein so unterschiedlich ausgeprägt? Wieso bewegt die reale Existenz vernichtender Atombomben, die US-Präsident Donald Trump zum Dauerdialog mit Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un drängt, die „Extinction-Rebellen“ weitaus weniger als ein in diskussionswürdigen Modellrechnungen beschriebener Wärmekollaps?

Weshalb ängstigen sich diese „Rebellen“ ungleich stärker vor Dieselmotoren als vor unabsehbaren Gefahren für die ökologische Balance, die von der „demographischen Bombe“ ausgehen? Ganz zu schweigen davon, daß die Überbevölkerung Migrationsströme produziert, die ihrerseits den Weltfrieden und die kulturelle Identität vieler Völker bedrohen.

Ist die Vernunft wirklich nur „eine Nußschale auf dem Meer von Irrationalität“? Dreiers Weltsicht klingt reichlich pessimistisch. Klar dürfte aber sein, daß mit einer bundesdeutschen Konsensdemokratie, die schleichend zur „Gegen-Rechts“-Postdemokratie verkommt, kein Staat mehr zu machen ist. Dringend brauchen wir eine streitbare, antagonistische Demokratie, die den Kulturkampf zwischen bodenständigen Bewahrern von Familie und Nation sowie notorischen, meist utopistischen Weltverbesserern nicht scheut.

Polizisten räumen in Berlin eine Blockade von Extinction Rebellion Foto: picture alliance/Paul Zinken/dpa
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