Als die Türken 1683 endgültig die zweite Belagerung Wiens aufgeben mußten, schickte der Sultan seinem kriegführenden Wesir Kara Mustafa in einem Schmuckkästchen eine seidene Halsschnur. Es war die Aufforderung zum Selbstmord wegen Versagens.
Wenn heute eine Regierung in Europa versagt, zum Beispiel die Griechen, braucht kein Politiker solche Präsente zu fürchten. Im Gegenteil, man schickt ihnen eher besänftigend Geld. In der Türkei aber hat man sich manche Tradition über die demokratische Erneuerung im letzten Jahrhundert bewahrt, wenn auch in anderer Form.
Erdoğans seidene Halsschnur
Der moderne Sultan Tayyip Erdoğan duldet kein Versagen, er zeigt dann sein leeres Schmuckkästchen und möchte es gefüllt bekommen. Andernfalls öffnet er die Tore der Flüchtlingslager und läßt Europa fluten. Das ist seine seidene Halsschnur – aber nicht nur für fehlerhafte Politiker, sondern für ganze Völker und Länder.
Natürlich ist das Erpressung. Aber der Islamist Erdoğan kennt nur die Sprache der Unterwerfung, zu beobachten ist das in seinem Umgang mit den Kurden, mit Journalisten und ganz allgemein mit politisch Andersdenkenden. So sind aus den ursprünglich drei Milliarden, die Europa einmalig den Türken für die Einhegung der Flüchtlinge bot, jetzt drei Milliarden pro Jahr geworden.
Ausfälle aus dem Ölgeschäft mit dem IS
Europa soll zahlen und somit der hinkenden Wirtschaft im Reich Erdoğans auf die Sprünge helfen. Schließlich kostet auch der Krieg gegen die Kurden Geld, und die Ausfälle aus dem Ölgeschäft mit dem „Islamischen Staat“ müssen ja auch irgendwie beglichen werden.
Vorher brachten die kilometerlangen Tanklastzüge seinem Clan Hunderte von Millionen Dollar. Putins Bomber und danach auch die Bomber der westlichen Alliierten ließen das Geschäft in Flammen aufgehen. Jetzt soll die Nato sogar die Grenzen in der Ägäis sichern, man fragt sich wie.
Mediales Druckmittel aus Aleppo
Dennoch hat die Bundeskanzlerin keine andere Wahl. Sie muß mit dem Sultan reden. Ein neues Drama staut sich vor den Toren der Türkei, die Flüchtlinge aus Aleppo. Sie werden von Ankara als mediales Druckmittel benutzt – gegen Europa und gegen Rußland.
Dabei wäre für 40.000 bis 60.000 Flüchtlinge in der Türkei allemal Platz. Aber das ist nur ein kleiner Teil der Flüchtlingsrechnung. In Jordanien und im Libanon harren noch Millionen Flüchtlinge unter menschenunwürdigen Bedingungen aus, weil Europa die Mittel für ihre Versorgung zusammengestrichen hat.
Libyen als weitere Flüchtlingsquelle
Wenn hier nicht bald eine Beteiligung an den Kosten erfolgt, werden sich die Massen in Bewegung setzen, Richtung Europa. Die Milliarden, die hier „investiert“ werden, sparen nicht nur ein Vielfaches im Vergleich zu den Kosten, wenn die Millionen erst mal im Schengenraum sind. Sie ersparen vor allem soziale und kulturell bedingte Konflikte, die sich heute kaum beziffern lassen. Zwar muß man genau hinschauen, wohin das Geld fließt. Aber dunkler als die Kanäle in Erdoğans Reich kann es kaum werden.
Und dann ist da noch eine dritte potentielle Flüchtlingsquelle: Libyen. Immer mehr versprengte Islamisten, auch Kämpfer des IS, sammeln sich an der Gegenküste zu Europa. Das Land versinkt im Chaos, und das treibt die Menschen in die Flucht. In Paris und London erwägt man bereits ein militärisches Eingreifen, auch Rom blickt sorgenvoll zur Syrte. Die Intervention scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, und für Berlin wird es dann wieder teuer.
Von Despoten abhängig
Türkei, Jordanien, Libanon, Libyen, nicht zu vergessen die Wirtschaftsflüchtlinge vom Balkan und aus dem Osten Europas (der unbefriedeten und insolventen Ukraine etwa) – es wird höchste Zeit, ein Gesamtkonzept für die Flüchtlingsproblematik zu entwickeln. Bisher wird nur an einzelnen Brandherden agiert beziehungsweise reagiert. So aber macht man sich von Despoten abhängig.
Zwar plädieren auch CDU-Politiker schon für ein weiteres, schärferes Asylpaket. Es wird auch dazu kommen, vermutlich wird es sogar vor den drei Landtagswahlen in knapp fünf Wochen schon einen Entwurf geben. Aber die SPD wird es zunächst wieder ausbremsen, und die Grünen und Linken werden erneut Fundamentalopposition betreiben. Und in der Zwischenzeit wird wieder viel geredet und durchgewinkt.
Viele Flüchtlinge wollen zurück
Das Gesamtkonzept müßte an erster Stelle eine Dringlichkeitsliste erstellen. Dazu gehört der realistische Blick auf die Flüchtlinge selbst. Viele von ihnen wollen zurück, vor allem jene, die im Libanon oder in Jordanien und in der Türkei gestrandet sind. Und sie tun es schon.
In den Geisterstädten Homs und Qusair sind wieder Menschen auf der Straße zu sehen. Auch der Mythos vom Deutschland mit den offenen Armen verblaßt in Nahost. So schnell die Selfies mit der Kanzlerin die orientalischen Phantasien erfüllten, so schnell wirkt auch die jetzige Debatte.
Regel für schnelle Abschiebung
Nur auf dem Balkan, in Nordafrika und in Osteuropa sieht man in Deutschland nach wie vor ein El Dorado. Was nottut sind Investitionen in Nahost – das sagt selbst die Kanzlerin – und Regeln für eine schnellere Abschiebepraxis. Soviel Pragmatismus müßte sein. Aber das reicht nicht.
Was die Diskussion über die Flüchtlingsproblematik vor allem bräuchte, wäre ein Schuß Ehrlichkeit. Dazu gehört auch ein unverhangener Blick auf den Islam und seine Schmuckkästchen. Denn für Leute wie Erdoğan soll 1683 nur eine Episode sein.
JF 07/16