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Marc Jongen, ESN Fraktion

Die JF vor 25 Jahren an der Mauer: „Auf nach Berlin!“

Die JF vor 25 Jahren an der Mauer: „Auf nach Berlin!“

Die JF vor 25 Jahren an der Mauer: „Auf nach Berlin!“

Postkarte
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JF-Redakteure am 10. November auf der Mauer, später ein Berliner Postkartenmotiv zur offiziellen Öffnung des Brandenburger Tors am 22.12.1989 als Grenzübergang: Dieter Stein, Martin Schmidt und Annette Hailer Foto: JF
Die JF vor 25 Jahren an der Mauer
 

„Auf nach Berlin!“

Wie schafft man es auf eine Postkarte? JF-Redakteuren der ersten Stunde gelang dies, weil sie in der Nacht vom 10. auf den 11. November 1989 mit Zehntausenden auf der Berliner Mauer am Brandenburger Tor feierten – und eine deutsche Fahne dabei hatten! Die Reportage von damals.
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Wie schafft man es auf eine Postkarte? JF-Redakteuren der ersten Stunde gelang dies, weil sie in der Nacht vom 10. auf den 11. November 1989 mit Zehntausenden auf der Berliner Mauer am Brandenburger Tor feierten – und eine deutsche Fahne dabeihatten! Im Gegensatz zum Festakt zur Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990, als der Platz vor dem Reichstag in ein schwarzrotgoldenes Fahnenmeer getaucht war, damals noch ein Unikum.

Also hielt der Fotograf die fröhliche Gruppe mit Fahne für so ansprechend, daß sie ihren Weg auf die Postkarte (siehe Abbildung) fand. Die dazugehörige Reportage wurde in der damals noch zweimonatlich erscheinenden JUNGEN FREIHEIT publiziert und gibt Zeugnis von der atemlosen Begeisterung, mit der wir den damaligen Ereignissen beiwohnten.

„Hast du schon gehört? In Berlin wird die Mauer abgerissen! Los, wir fahren hin!“

Freitag, 10. November

8.15 Uhr: Vor wenigen Stunden war die Nachricht um die Welt gegangen: Die DDR öffnet ihre Grenzen, die Berliner Mauer, die die alte Reichshauptstadt 1961 teilte, darf von Ost nach West an allen Grenzübergängen frei durchschritten werden. Eben hat mich ein Kommilitone aus dem Bett geklingelt und mir die Situation mit sich überschlagender Stimme geschildert.

11.00 Uhr: Kurz entschlossen starten wir zu fünft mit dem Auto. Vollkommen elektrisiert von den sich überstürzenden Ereignissen – stündlich kommen Meldungen über die begeisternden Szenen aus der bislang geteilten Stadt –, fahren wir über Karlsruhe, Frankfurt, Grenzübergang Herleshausen gen Berlin; immer wenn uns auf der Autobahn bereits „Trabis“ oder „Wartburgs“ begegnen, schwenken wir unsere mitgeführten Fahnen, ernten fröhliche Hupkonzerte. Hinten in der Heckscheibe haben wir ein Schild „Auf in die Hauptstadt“ befestigt.

„Ihr seid auch Deutsche!“

17.10 Uhr: Wir rollen ohne längere Wartezeit durch den Kontrollpunkt Herleshausen auf die Transitstrecke. Auf der gegenüberliegenden Fahrbahn eine endlose Schlange von Fahrzeugen aus der DDR, die nach Westdeutschland rollen. Presse, begeistert winkende Menschen säumen die Straße. Ein junges Mädchen läuft auf unser Auto zu und ruft lachend: „Ihr seid auch Deutsche!“ Es ertönen Rufe „Deutschland, Deutschland!“, als wir unsere Flagge schwenken.

17.30 Uhr: Live-Übertragung der Reden vom Schöneberger Rathaus in West-Berlin. Enttäuscht hören wir die peinlichen, bestürzenden Worte des Regierenden Bürgermeisters Momper: hartnäckiges Plädoyer der Zweistaatlichkeit, spricht von einem „Volk der DDR“. Danach Willy Brandt, frenetisch gefeiert von „seinen“ Berlinern. Brandt war Regierender Bürgermeister, als 1961 die Mauer gebaut wurde. Er findet die Worte, die zünden.

Eine geradezu patriotische Rede. „Berlin wird leben, und die Mauer wird fallen“, für diese Minuten vergißt man, was Brandt erst kürzlich Zynisches über die Forderung nach Wiedervereinigung gesagt hatte. Dann Genscher, auch betont national: „Es gibt keine kapitalistische, es gibt keine sozialistische, es gibt nur die eine auf der Freiheit begründete deutsche Nation.“ Danach wird Kanzler Kohl in beleidigender Weise ausgepfiffen, schon bevor er begonnen hat zu sprechen.

18.14 Uhr: Meldung: Die Mauer wird bereits an mehreren Stellen von Ost-Berliner Seite abgerissen. Spontan intonieren wir das Deutschlandlied.

„Wenn ihr wüßtet, was uns diese Fahne bedeutet!“

23.00 Uhr: Wir haben Berlin erreicht. Mit drei schwarzrotgoldenen Flaggen ziehen wir über den total überfüllten Kurfürstendamm. Ganz Berlin ist auf den Beinen. Eine Millionenstadt feiert Wiedersehen. Menschen, wohin man sieht, Musik, Lachen, Menschen, die sich um den Hals fallen. Sobald Ost-Berliner, die heute eindeutig die Mehrheit bilden, die deutsche Fahne ohne Hammer und Zirkel sehen, kommt Beifall auf, ertönen „Deutschland“-Rufe. Eine West-Berlinerin jedoch: „Ihr seid ja so daneben; wenn ihr wüßtet, wie daneben ihr seid!“ Oder ein junger Mann: „Natürlich, ohne Fahne geht’s wohl nicht, ohne Fahne wird’s wohl nie gehen!“ Aber auch: Ein Ost-Berliner will uns unbedingt eine Fahne abkaufen. „Wenn ihr wüßtet, was sie uns bedeutet!“

23.45 Uhr: Am Reichstag vorbei ziehen wir auf das Brandenburger Tor zu. Rund 7.000 Menschen stehen vor und auf der Mauer. Von einer improvisierten Diskothek ertönt Musik. Ich laufe auf die Mauer zu, von der sich mir Hände entgegenstrecken. Ich ergreife sie und werde hochgehoben. Ich kann es nicht fassen: Auf der Mauer, auf diesem verhaßten Stück, das uns Jahre schmerzlich zerriß, nun vereint mit Jugendlichen aus beiden Teilen der heute vor Glück trunkenen Stadt! Ich hatte gehofft, daß wir noch durch das Brandenburger Tor laufen könnten, jedoch war dieses durch Vopos abgesperrt.

Während dieser Nacht sprangen immer wieder einzelne auf Ost-Berliner Seite, um die Kette der „Volkspolizisten“ zu durchbrechen, mußten jedoch immer wieder hinaufsteigen. Es bot sich Gelegenheit zur Selbstdarstellung: Es sprangen Yuppies in ihrem dunklen Zweireiher hinunter, wie auch ein Splitternackter, bei dem die beherzten Polizisten zunächst zögerten, ob sie ihn anfassen sollten, um ihn jedoch dann auch wieder hinaufzuheben. Die ganze Nacht durch erscholl der Ruf „Die Mauer muß weg!“, „Wir wollen rein!“, auch wurden die Vopos mit „Schweine“, „Nazis“, „Faschisten“ beschimpft.

Samstag, 11. November

Vopos haben die Mauer vor dem Brandenburger Tor inzwischen besetzt, als wir wieder unterwegs sind. Wie wir später erfahren, haben in den Morgenstunden Mitglieder des „Bundes Heimattreuer Jugend“ (BHJ) ein Loch in die Mauer beim Brandenburger Tor gebrochen, dessen Bild um die Welt ging.

11.00 Uhr: Zu dieser Stunde platzt die Stadt aus allen Nähten, überall drängen sich die Besucher aus der DDR und Ost-Berlin vor den Geschäften, entlädt sich die Stimmung des Vortages in einem unsäglichen Konsumrausch.

19.00 Uhr: Wir sind inzwischen nach Ost-Berlin hinübergefahren und essen im „Palast der Republik“ (in dem sich auch die Volkskammer befindet) zu Abend. Dort erstehen wir vom Kellner zwei Besenstiele, die wir später dann verwenden werden, um auf West-Berliner Seite ein Transparent zu befestigen.

22.30 Uhr: Bei der Gedächtniskirche starten wir mit dem an den Palast-Besenstielen befestigten Transparent mit der Aufschrift „Deutschland KRENZenlos – Einheit jetzt“ und unseren Flaggen, erhoffen uns eine größere Gruppe, mit der wir zum Brandenburger Tor ziehen. Bis zum Siegesdenkmal sind wir gerade nur zwanzig, zwischendurch von einem Kamerateam gefilmt, von West-Berliner Alternativen angepöbelt „Nazis raus!“, „Ihr wißt ja gar nicht, wie gefährlich ihr seid, haut ab!“, werden wir von einem Lesben-Pärchen angeschrien.

Kurz vor dem Brandenburger Tor stoßen wir freudig überrascht auf eine Gruppe von 30 BHJ-lern, die mit einem Transparent „Neue Wege durch Glasnost – Deutschland los von West und Ost“ losgezogen waren. Mit ihnen ziehen wir noch einmal zum Tor, singen gemeinsam „Die Gedanken sind frei“, „Schwarze Fahne empor“ und das Lied, das uns Jugendliche aus der DDR beibrachten, die unseren Demonstrations-Zug begleiteten (nach der Melodie von „Lady in Black“ von Uriah Heep):

Tausend Meilen im Quadrat, nur Minenfelder, Stacheldraht, dann weißt du, wo ich wohne: ich wohne in der Zone. Doch einmal wird es anders sein, dann knasten wir die Bonzen ein, dann schmeißen wir Russen und Amis raus und bau’n ein ein’ges Deutschland auf!

JF 46/14

JF-Redakteure am 10. November auf der Mauer, später ein Berliner Postkartenmotiv zur offiziellen Öffnung des Brandenburger Tors am 22.12.1989 als Grenzübergang: Dieter Stein, Martin Schmidt und Annette Hailer Foto: JF
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