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Die Nachkriegsrechte Teil 6: Die Union paßt sich an, die NPD betritt die Bühne

Die Nachkriegsrechte Teil 6: Die Union paßt sich an, die NPD betritt die Bühne

Die Nachkriegsrechte Teil 6: Die Union paßt sich an, die NPD betritt die Bühne

Plattenhülle und „Single“ mit einem Interview, das Erhard zum Thema „Formierte Gesellschaft“ gegeben hatte, 1965; daneben Werbeaufkleber für die Soziale Marktwirtschaft als Ergebnis nationaler Leistung Foto: Archiv des Autors
Plattenhülle und „Single“ mit einem Interview, das Erhard zum Thema „Formierte Gesellschaft“ gegeben hatte, 1965; daneben Werbeaufkleber für die Soziale Marktwirtschaft als Ergebnis nationaler Leistung Foto: Archiv des Autors
Plattenhülle und „Single“ mit einem Interview, das Erhard zum Thema „Formierte Gesellschaft“ gegeben hatte, 1965; daneben Werbeaufkleber für die Soziale Marktwirtschaft als Ergebnis nationaler Leistung Foto: Archiv des Autors
Die Nachkriegsrechte Teil 6
 

Die Union paßt sich an, die NPD betritt die Bühne

Die Bildung der Großen Koalition 1966 schaffte Platz auf der rechten Seite des bundesdeutschen Parteienspektrums. Den wollte die zwei Jahre zuvor gegründete NPD besetzen. Erste Erfolge an den Wahlurnen ließen die Nationaldemokraten auf den Einzug in den Bundestag hoffen.
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Bei der Bundestagswahl 1961 verlor die Union ihre absolute Mehrheit. Sie kam nur noch auf 45,3 Prozent der Stimmen. Die oppositionelle SPD konnte einen Zuwachs verzeichnen und erhielt 36,2 Prozent, und der FDP gelang mit 12,8 Prozent ein sensationelles Comeback. Für den Stimmenverlust der CDU/CSU gab es verschiedene Ursachen. Sicher spielte die Enttäuschung über die Tatenlosigkeit der Regierung angesichts des Mauerbaus eine Rolle, aber den Ausschlag gab der Überdruß am „Alten“. War die Bundestagswahl 1957 ein Plebiszit für Adenauer, so war die Bundestagswahl 1961 ein Plebiszit gegen Adenauer.

Trotzdem hielt der Kanzler zäh an der Macht fest. Erst als die FDP seinen Rückzug auf der Hälfte der Legislaturperiode zur Bedingung für eine Koalition machte, sah sich Adenauer zum Nachgeben gezwungen. Die „Führungskrise“ schwelte aber nach der Regierungsbildung weiter, was vor allem an der Aversion Adenauers gegenüber Ludwig Erhard als seinem designierten Nachfolger lag. Nicht einmal der Amtswechsel am 16. Oktober 1963 vermochte die Situation tatsächlich zu bereinigen. Denn Erhard fehlte politischer Durchsetzungswille ebenso wie Rückhalt in der eigenen Partei.

Die Union hatte sich in der „Ära Adenauer“ bequem als „Kanzlerwahlverein“ eingerichtet. Programmarbeit betrachtete man als sinnlos oder als Zumutung. Alle Versuche, das zu korrigieren, scheiterten. Während die einen glaubten, daß immer noch Traditionsbestände vorhanden seien, auf die man im Zweifel zurückgreifen könne, meinten andere, der Erfolg einer „Omnibus-Partei“ beruhe gerade darauf, daß sie sich nicht festlege. Nur eine Minderheit der Funktionäre sah das anders.

Die „Formierte Gesellschaft“ sollte Einfluß der Linken zurückdrängen

Dazu gehörte Eugen Gerstenmaier – langjähriger Bundestagspräsident und stellvertretender Vorsitzender der CDU -, der Ende der 1950er Jahre vorgeschlagen hatte, den Begriff des Konservatismus zu besetzen, damit aber nur Unverständnis auslöste. Bessere Chancen rechnete sich eine Gruppe junger Intellektueller aus, die zum Beraterkreis Erhards zählten. Sie entwarfen in eher technokratischem Stil die „Formierte Gesellschaft“. Gedacht war an die Basis einer demokratischen Volks- und Leistungseinheit, mit deren Hilfe den zentrifugalen Tendenzen der Moderne entgegengewirkt und der innere Zusammenhalt des sozialen Verbandes gestärkt werden sollte.

Für Rüdiger Altmann und Johannes Gross, die Vordenker der „Formierten Gesellschaft“, ging es außerdem darum, auf die Erledigung aller zentralen Probleme der Nachkriegszeit – Niederlage, Souveränitätsverlust, Entnazifizierung, Integration der Vertriebenen, Westbindung, Aufbau der Bundeswehr, Wiedervereinigung als Nahziel –, das „Zerfasern“ (Klaus Bölling) der weltanschaulichen und religiösen Milieus sowie den wachsenden Einfluß der „neuen“ Linken zu reagieren.

Verständnis fanden aber auch sie nicht. Adenauer warf noch einmal sein Gewicht in die Waagschale, um dem ungeliebten Nachfolger zu schaden, und das Projekt „Formierte Gesellschaft“ war noch schneller erledigt als die Kanzlerschaft Erhards. Bei der Bundestagswahl vom 19. September 1965 konnte die Union zwar zulegen und 47,6 Prozent der Stimmen erreichen, aber die FDP sah sich mit Verlusten abgestraft und begann auf Distanz zu gehen. Schon Ende 1966 stand die Regierung vor dem Aus. Kurt-Georg Kiesinger löste Erhard ab und bildete eine Große Koalition aus CDU / CSU und SPD.

Anknüpfung an die NS-Zeit hatte keine Erfolgsaussicht

Für jeden sichtbar, verfiel die beherrschende Stellung der Union im politischen Gefüge der Bundesrepublik. Das hatte mit Ermüdungserscheinungen zu tun, aber mehr noch damit, daß sie keine Antwort auf die neuen Fragen fand und nur auf das reagierte, was man jetzt „Trend“ nannte. Die Durchsetzung des „progressiven“ Zeitgeistes schien unaufhaltsam. Das Bild der Entwicklung wäre allerdings unvollständig, wenn man die Gegenbewegungen übersähe. Sie speiste sich aus dem Reservoir des „verdrängten Deutschland“ (Hermann Piwitt): jenem Teil des rechten Lagers, der sich nicht mit einer Sektenexistenz abfinden wollte, der wachsenden Zahl der Enttäuschten und Beunruhigten und jenen Jungen, die – anders als die Mehrzahl ihrer Altersgenossen, aber aus psychologisch ähnlichen Motiven – nach rechts, nicht nach links gingen.

Plakate der NPD für die Bundestagswahlen 1965 und 1969, daneben Privatfahrzeug mit Werbung für die NPD, 1969 Foto: Archiv des Autors
Plakate der NPD für die Bundestagswahlen 1965 und 1969, daneben Privatfahrzeug mit Werbung für die NPD, 1969 Foto: Archiv des Autors

Die am 28. November 1964 gegründete Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) bot sich als politische Heimat dieser Strömungen an. Ihre Initiatoren waren der DRP-Vorsitzende Thadden und der Unternehmer Friedrich Thielen, Vorsitzender des verbliebenen DP-Landesverbandes in Bremen. Thielens Motiv war in erster Linie die Enttäuschung über die Prinzipienlosigkeit der CDU (zu deren Gründungsmitgliedern er gehört hatte), Thaddens ein Ungenügen an jener Art „Nationaler Opposition“, die sich je länger je mehr als unfruchtbar erwies.

Der Erfolg des bundesrepublikanischen Modells – Westbindung plus Wohlstand für alle plus Demokratie plus Antikommunismus – ließ einer Partei wie der DRP immer weniger Spielraum, und die Polemik gegen „das System“ und seine „Bonzen“ genügte offenbar nicht, um eine hinreichend große Zahl von Anhängern zu gewinnen. Außerdem erkannte Thadden, daß seine Bemühungen, Neutralisten, „Nationalbolschewisten“ und jene Kräfte loszuwerden, die nicht nur Nostalgien pflegten, sondern tatsächlich die Wiederanknüpfung an die NS-Zeit wünschten, unter den gegebenen Umständen keine Aussichten hatten.

Die NPD begann als Dachorganisation

Abgesehen von seiner persönlichen Aversion gegenüber dem Nationalsozialismus spielte für Thadden auch eine Rolle, daß er die Mechanismen durchschaute, die die Stigmatisierung der politischen Rechten immer weiter verstärkten. Er arbeitete deshalb mit jenen Kräften in der DRP zusammen, die nicht nur die programmatische Ausrichtung der Partei, sondern auch ihre ganze Selbstdarstellung – den Namen und das Abzeichen mit Adler und schwarz-weiß-rotem Schild – ändern wollten. Nachdem sein Plan, die „Nationale Mitte“ durch Zusammengehen mit der FDP zu besetzen, gescheitert war, konzentrierte sich Thadden mit Thielen auf die Bildung einer „Nationaldemokratischen Union“.

Schon ein erster Probelauf sprach für gute Chancen. Thielen erreichte in dem überschaubaren Stadtstaat Bremen, daß sich DP und DRP (sowie die noch kleinere Gesamtdeutsche Partei) für die Bürgerschaftswahl 1963 zu einer Liste zusammenschlossen, die prompt die Fünf-Prozent-Hürde überwand. Das schien im Hinblick auf die Bundestagswahl 1965 ein hoffnungsvolles Zeichen zu sein. Allerdings trug der Bremer Erfolg auch dazu bei, daß Thielen einen Führungsanspruch geltend machen und den Vorsitz der NPD fordern konnte.

Die NPD war anfangs eine Dachorganisation, die Mitgliedschaft in DP und DRP sollte fortbestehen können. Selbst in der Einschätzung eines kritischen Beobachters erschien sie zu diesem Zeitpunkt als „nichtrevolutionäre, moderate, grundsätzlich nationalistische Partei, ausgerichtet auf die Wiedervereinigung und die Schaffung eines starken, autoritären, aber nicht totalitären, Rechtsstaates“ (Kurt P. Tauber). Die Resonanz blieb trotzdem verhalten, und bei der Wahl im Bund erreichte die junge Partei lediglich zwei Prozent der Stimmen. Manchem schien es, als ob die NPD ihre Zukunft schon wieder hinter sich habe. Es folgten massive Auseinandersetzungen innerhalb der Partei, und schließlich kam es zum Zerwürfnis zwischen Thielen und Thadden, das am 9. Mai 1967 mit dem Rücktritt Thielens endete, der kurz darauf die Partei verließ.

Auftreten der APO  half der NPD

Thadden, ohne Zweifel der „fähigste Politiker des `nationalen Lagers´“ (Eckhard Jesse), übernahm das Amt des Vorsitzenden. Er erkannte rasch die Möglichkeiten, die sich durch die deutlich veränderte politische Lage ergaben. Die Große Koalition aus Union und SPD im Bund hatte nicht nur auf dem linken, sondern auch auf dem rechten Flügel Platz geschaffen. Es gab Anzeichen für ein Erlahmen der Konjunktur und die Endlichkeit des Wirtschaftswunders. Das Auftreten der APO verstörte nicht nur die traditionelle Anhängerschaft der Rechten, sondern auch das situierte Bürgertum und den „kleinen Mann auf der Straße“.

Eine gewisse Rolle spielte außerdem die Annäherung der Regierung Kiesinger an Moskau, die schon ahnen ließ, was mit der Neuen Ostpolitik folgen würde. Thadden griff deshalb sein Konzept zur Reform der DRP wieder auf und suchte die NPD als fast ideologiefreie „Partei für Recht und Ordnung“ zu präsentieren.

Tatsächlich zog die NPD in mehrere Landtage ein und erhielt am 28. April 1968 in Baden-Württemberg sensationelle 9,8 Prozent der Stimmen. Der Urnengang hatte ohne Zweifel unter dem Eindruck der gewalttätigen Osterunruhen gestanden, die von der studentischen Linken ausgegangen waren, und das Entstehen einer Gegenkraft auf der Rechten schien in der Logik der Entwicklung zu liegen. Die Zahl der NPD-Mitglieder wuchs in rasantem Tempo, von anfangs 3.000 auf etwa 28.000 und zuletzt – 1969 – auf 50.000 Männer und Frauen.

Medien schossen sich auf die NPD ein

Ein Schritt ins politische oder gesellschaftliche Abseits war der Beitritt normalerweise nicht, die Etablierung der Partei schien unaufhaltsam voranzuschreiten. Auch wer keine Sympathie für ihr Anliegen empfand, konnte zu der Einschätzung kommen, daß die NPD ein „natürliches Kind dieser Republik“ (Dietrich Strothmann) sei. Jedenfalls sahen viele Kommentatoren in der NPD bereits einen Faktor der westdeutschen Innenpolitik, mit dem zu rechnen war. Wegen der anstehenden Wahl des Bundespräsidenten gab es vorsichtige Kontaktaufnahmen von Vertretern der Union mit nationaldemokratischen Landtagsabgeordneten, und der Einzug in den Bundestag galt als wahrscheinlich, wenn nicht gewiß.

Allerdings verstärkten sich nach den ersten Erfolgen die Angriffe auf die Partei. Der von der CDU gestellte Bundesinnenminister Ernst Benda dachte bald laut über ein Verbot der NPD nach und fand viel Zustimmung in linken und linksliberalen Kreisen. Aus den öffentlichen Kassen flossen erhebliche Geldmittel für die etablierten Parteien und ihre Vorfeldorganisationen zwecks Bekämpfung des unvermutet aufgetauchten Konkurrenten.

Karikatur mit einer Darstellung Thaddens aus der sowjetischen Parteizeitung Prawda, Ausgabe des französischen Magazins Nouvel Observateur und Button linker NPD-Gegner, alle 1968 Foto: Archiv des Autors
Karikatur mit einer Darstellung Thaddens aus der sowjetischen Parteizeitung Prawda, Ausgabe des französischen Magazins Nouvel Observateur und Button linker NPD-Gegner, alle 1968 Foto: Archiv des Autors

Hinzu kam die Agitation des kommunistischen Propagandaapparats wie der ausländischen Presse gegen die „neuen Nazis“ und den „neuen Adolf“, die ein „neues `33“ vorbereiteten. Eine Deutung, der sich in der Bundesrepublik die Leitmedien, der Rundfunk und das zunehmend Einfluß gewinnende Fernsehen anschlossen. Doch selbst das war nur ein Vorgeschmack jener „antifaschistische“ Militanz, mit der die Auftritte Thaddens und anderer NPD-Kandidaten im Bundestagswahlkampf 1969 systematisch attackiert, gestört und teilweise undurchführbar gemacht wurden.

Der Revolutionswahn griff um sich

Die Wirkung auf die Öffentlichkeit war für die NPD fatal, ganz gleich, ob die Polizei einschritt oder es zu massiven Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und dem wegen der Angriffe gebildeten „Ordnerdienst“ der Nationaldemokraten kam. Denn in einem merkwürdigen, aber typischen Reflex wiesen diejenigen, die eigentlich sehr ansprechbar für law and order-Parolen waren, der NPD eine Mitschuld an den Gewaltakten zu, und vielleicht muß ein einzelner Vorgang – die Schüsse, die ein Leibwächter Thaddens in unübersichtlicher Lage abfeuerte –, als jener Faktor betrachtet werden, der beim Urnengang wenige Tage später den Ausschlag gab.

Die Nationaldemokraten scheiterten jedenfalls mit 4,3 Prozent der Stimmen am Einzug in den Bundestag. Eine Niederlage, von der sich die Partei nie wieder erholte. In kurzer Zeit verlor sie vier Fünftel ihrer Mitglieder und drei Viertel ihrer Landtagsmandate, bei der vorgezogenen Bundestagswahl von 1972 reichte es nur noch für 0,6 Prozent der Stimmen. Ein Versuch, den harten Kern in der „Aktion Widerstand“ gegen die Ostverträge der neuen sozialliberalen Bundesregierung zu mobilisieren, scheiterte ebenso wie das Bemühen Thaddens, die Partei von weiterer Radikalisierung abzuhalten.

Unter einigen Aktivisten verbreitete sich ein ähnlicher Revolutionswahn wie auf der Linken. Nur wollten sie nicht Lenin oder Stalin auferstehen lassen, sondern Hitler. Auch wenn offener Neonazismus keinen Platz in der Partei haben sollte, wirkte das Auftreten dieser Grüppchen wie eine Bestätigung für alle, die in der NPD nie etwas anderes, als eine „braune“ Truppe gesehen hatten. Thadden selbst resignierte bereits 1971 als Vorsitzender, vier Jahre später trat er aus „seiner“ Partei aus.

> Der Beitrag ist Teil einer Serie des Autors über die deutsche Nachkriegsrechte. Der nächste Teil erscheint am Samstag. 

Bisher erschienen:

Teil 1: Vor 75 Jahren wurde die Deutsche Konservative Partei – Deutsche Reichspartei gegründet
Teil 2: „Gegen die rote Flut“ – Der Bürgerblock
Teil 3: Kein Viertes Reich – Die Sozialistische Reichspartei
Teil 4: Wiedervereinigung durch Blockfreiheit – Die Nationalneutralisten
Teil 5: Der Kern der Nationalen Opposition – Die Deutsche Reichspartei

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