Als Saalschlachten galten während der Weimarer Republik allgemein die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der Kommunisten oder Sozialdemokraten auf der einen und der NSDAP auf der anderen Seite. Als im Dezember 1930 jedoch der Antikriegsfilm „Im Westen nichts Neues“ in deutschen Kinos anlief, wurden auch die Lichtspielhäuser zu Schlachtfeldern. Am wildesten tobte die Auseinandersetzung in Berlin.
Vor dem 4. Dezember, dem Tag der deutschen Uraufführung in der Hauptstadt, war der Film bereits von überschwenglichen Kritiken begleitet im englischsprachigen Raum angelaufen. Das mag nicht verwundern, handelte es sich doch um eine Produktion der Universal Studios, die der aus Deutschland stammende US-Amerikaner Carl Laemmle Sr. gegründet hatte. Dieser war 1929 während eines Besuchs in der alten Heimat auf das Buch „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque aufmerksam geworden.
Überzeugt von der Handlung über das Kriegserlebnis des jungen Protagonisten Paul Bäumler und seiner Kameraden im Ersten Weltkrieg, machte er sich in den USA an die Umsetzung. Der Film kostete für damalige Verhältnisse mit über 1,25 Millionen US-Dollar viel Geld. Doch mit später eingespielten drei Millionen US-Dollar und zwei Oscars hatte sich das Unternehmen kommerziell gelohnt.
Liberale Presse war begeistert
Die englischsprachige Presse zeigte sich begeistert von dem Film. Die drastischen Darstellungen vom Kampf, Leid und Tod der jungen Soldaten war in seiner Schonungslosigkeit bis dahin unbekannt und hinterließ beim Publikum tiefen Eindruck. Das Magazin Variety urteilte: „Der Völkerbund sollte den Film auf der ganzen Welt in jeder Sprache zeigen, bis das Wort ‘Krieg’ aus dem Wörterbuch gestrichen ist.“
Als der Film schließlich zur Vorweihnachtszeit nach Deutschland kam, war die Situation dort eine völlig andere. Zwar verlief die Uraufführung ähnlich wie im Ausland. Das mit vielen Prominenten aus Politik und Kultur besetzte Publikum war auch bewegt von den Bildern. Laut Vossischer Zeitung seien die Zuschauer tief erschüttert gewesen und hätten den Saal „still und im Innersten aufgewühlt“ verlassen.
Doch es gab auch andere Stimmen. Die Deutschnationale Volkspartei und die Nationalsozialisten tobten, ebenso wie die Veteranenvereine. Sie sahen in der Verfilmung einen Angriff auf die Ehre des deutschen Weltkriegssoldaten. Die pazifistische Ausrichtung der Handlung empörte auch die Reichswehr. Daß Amerikaner Deutsche spielten und sowohl Produzent Laemmle als auch Regisseur Lewis Milestone Juden waren, verstärkte die Wut der politischen Rechten in Deutschland zusätzlich.
Goebbels inszenierte einen Skandal
So wurden in der deutschen Version des Films, der in einer Stummfilmversion und einer mit Ton gedreht worden war, im Vorspann die Namen von Juden, die mitgewirkt hatten, ausgeblendet. Zudem wurde die Version für das deutsche Publikum stark zensiert. Sie wurde von 139 auf 86 Minuten verkürzt. So fehlten unter anderem die Szenen, in denen die Rekruten vom Ausbilder Himmelstoß schikaniert werden und diesen dafür später verprügeln. Der Schere fiel auch eine Sequenz zum Opfer, in der dem deutschen Kaiser die Schuld am Weltkrieg gegeben wird.
Joseph Goebbels, damals Gauleiter der NSDAP in Berlin, wählte die Kinovorführung am 5. Dezember im Neuen Schauspielhaus am Berliner Nollendorfplatz, um einen Skandal zu inszenieren. In größerer Zahl mischten sich SA-Leute und weitere Parteigenossen unter die Kinobesucher. Bereits kurz nach Beginn des Films begannen sie mit Buh-Rufen und lauten Reden gegen den Film. Damit nicht genug, zündeten sie Stink- und Rauchbomben und zettelten Schlägereien mit den Zuschauern an. Als Krönung ließen sie mitgebrachte weiße Mäuse frei – das Chaos war perfekt.
Die alarmierte Polizei war machtlos. Denn viele der Randalierer waren Reichstagsabgeordnete der NSDAP und zückten ihre Ausweise – das schützte sie vor den Ordnungshütern. Auch vor dem Kino kam es zu Ausschreitungen, als weitere Nationalsozialisten das Gebäude stürmen wollten. Erst eine Hundertschaft der Polizei konnte unter Einsatz von Schlagstöcken für Ordnung sorgen.
Die Polizei schützte das Kino
Dieser Krawall war genau das, was der spätere Reichspropagandaminister, bezweckt hatte. Im Ton vorgespielter Unschuld schrieb das Parteiblatt Der Angriff tags darauf: „Es sei betont, daß Dr. Goebbels nicht im mindesten daran gedacht hat, diesen Entrüstungssturm zu organisieren. Zufällig befanden sich auch einige Reichstagsabgeordnete der NSDAP im Parkett. Auch diese Herren sind ohne Verabredung erschienen.“
In den folgenden Tagen mußte ein Großaufgebot aus Polizei und Feuerwehr das Kino im Westen Berlins sichern. Doch es blieb keinesfalls ruhig, Tumulte und Unruhen griffen auch auf die angrenzenden Viertel über.
Als schließlich auch mehrere Landesregierungen, darunter auch einige mit NSDAP-Beteiligung, gegen „Im Westen nichts Neues“ protestierten, verbot die Oberste Filmprüfstelle am 11. Dezember weitere Aufführungen. Die Nationalsozialisten hatten bewiesen, daß sie mit ihren Anhängern Druck aufbauen und innerhalb weniger Tage Fakten schaffen konnten.
Neuverfilmung soll in Vorbereitung sein
Nach dem Protest von Künstlern und Intellektuellen wie Carl Zuckmayer, Heinrich Mann oder Käthe Kollwitz wurde eine nochmals geschnittene Version des Films im Sommer 1931 wieder zugelassen. Doch nach 1933 verboten die neuen Machthaber, zu denen Goebbels nun als Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda gehörte, den Film wieder.
„Im Westen nichts Neues“ gilt heute als Klassiker des Antikriegsfilmgenres. 1979 wurde der Stoff für eine TV-Produktion erneut adaptiert. Derzeit laufen die Vorbereitungen für eine Neuverfilmung, an der laut dem Portal filmstarts.de auch der deutsche Schauspieler Daniel Brühl als Mitproduzent und in einer Nebenrolle mitwirken soll.