„Dresden war keine unschuldige Stadt.“ Wer das sagt? Helma Orosz, CDU-Oberbürgermeisterin, anläßlich des 69. Jahrestages der großflächigen Zerstörung der Elbmetropole, Folge der vom 13. bis 15. Februar 1945 von britischen und US-Bombergeschwadern geflogenen Angriffe. Stellvertretend für alle deutschen Städte, die ihr Antlitz durch diese militärisch weitgehend sinnlosen Terrorangriffe einbüßten und bei denen eine halbe Million Deutsche ums Leben kamen, wurde Dresden zu dem Symbol des Bombenkrieges.
Deutschland fällt es unverändert schwer, der eigenen Toten zu gedenken. Jedes Erinnern an die Opfer von Vertreibung, Bombenkrieg oder die durch Massenvergewaltigungen Geschändeten wird mit dem Vorwurf belastet, es diene der „Relativierung“ deutscher Verbrechen. So erstickt die Trauer der Nachkommen und wenden sich viele von jeder Art öffentlichen Erinnerns ab. Aus Angst davor, daß Dresden zu einem Tummelplatz „revisionistischen“ Gedenkens werden könnte, bemühen sich die Verantwortlichen der Stadt seit Jahren ohne überzeugende eigene Form, den Vorwurf der „Instrumentalisierung“ der Dresdner Toten zu unterbinden.
Eine monströse Anklage der damaligen Dresdner
Schrill, hilflos und letztlich beschämend ist das, was die Stadt als Form des offiziellen Gedenkens anbietet. Im Zentrum stehen längst nicht mehr die Bombenopfer, sondern die Rechtfertigung, warum Dresden offenbar zu Recht ausgelöscht wurde. Ausdruck fand dies jetzt in der skandalösen Rede von Helma Orosz, die Dresden als „schuldige Stadt“ beschrieb. Die Galerien seien von „den Dresdnern“ nach entarteter Kunst „durchforstet“ worden. Juden und andere Minderheiten seien „vor den Augen der Öffentlichkeit schikaniert, mißhandelt und abtransportiert worden“. „Das alles geschah nicht versteckt und heimlich. Es war für jeden sichtbar.“ Eine an Monstrosität nicht überbietbare Behauptung, daß alle Dresdner Zeugen der Verbrechen des NS-Systems wurden. Wie eine gerechte Strafe des Himmels muten in diesem Lichte die Bomben an, die die Altstadt mit Zehntausenden Zivilisten einäscherten. „Thanks Bomber Harris“, schrieb sich eine linksextreme Femen-Aktivistin passend auf die blanken Brüste und posierte für die Kameras.
Frau Orosz hätte den jüdischen Zeitzeugen Victor Klemperer zitieren können, stattdessen schlägt sie den Bogen von einer Stadt, deren Bürger (angeblich) kollektiv NS-Schandtaten hinnahmen, zum heutigen Dresden, in dem „noch immer … Nazis … in unseren Straßen unterwegs“ seien: „Solange die braune Saat an irgendeinem Ort aufgeht und unsere Demokratie und die Würde aller Menschen in Gefahr ist“, so lange sei „unser Weg nicht zu Ende“. Wann sind wir endlich in der Lage, mit stillem Pathos der eigenen Toten zu gedenken? Wann hört diese lärmende, neurotische Selbstanklage, aber auch die politische Instrumentalisierung der Opfer auf?
JF 09/14