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Reeducation

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Mein Vater, Rudolf Panzer (1911-1994), wurde nach seiner Verwundung an der Ostfront zur Polizei-Offiziersschule Weimar versetzt und dort ab Herbst 1944 als Taktiklehrer verwendet. Als die Amerikaner den Thüringer Wald erreichten, wurden aus den Lehrgangsteilnehmern Kampfgruppen gebildet, in denen mein Vater eine Kompanie führte. Seine Gefangennahme erfolgte am 8. April 1945. Nach Aufenthalt in den Rheinwiesen wurde er in das SS-(Hunger-)Lager Aix-en-Provence überführt. Der Verschub nach Deutschland brachte ihn in verschiedene Gefangenlager – danach (März 1947) wurde er im Lager Darmstadt interniert. Die Entnazifizierung (Einstufung „Mitläufer“) erfolgte 1948 in Bremen nach vorheriger Haft im Internierungslager „Riespott“ in Bremen. Anläßlich seiner Beförderung zum Leutnant der Schutzpolizei erhielt er den Angleichungsdienstgrad zur Waffen-SS (Untersturmführer). Seinen geliebten Beruf durfte er im „befreiten“ Deutschland dann nicht mehr ausüben. Eine Anwerbung der Bundeswehr bei ihrer Aufstellung als Truppenoffizier lehnte mein Vater mit der Bemerkung ab, in den Lagern sei ihm permanent einge-bleut worden, daß Deutsche nach den begangenen Verbrechen des Weltkrieges nie wieder eine Waffe in die Hand nehmen dürften – daran hat er sich gehalten. Zur Gefangennahme und Kapitulation äußerte er sich in vielen Gesprächen mit mir wie folgt – ich habe mir derzeit Notizen gemacht und kann daher den Inhalt wortgetreu wiedergeben: „Während der letzten Gefechte im Thüringer Wald kam es zu dramatischen Vorfällen. Zum einen desertierten viele aus diesen Kampfgruppen (meistens österreichische Verwaltungsbeamte, die man in den letzten Kriegswochen noch zu Leutnants befördern wollte), zum anderen zeigten die Bewohner der Ortschaften, die kurz vor der Einnahme der Amerikaner standen, die weißen Fahnen. Gegen wieder eingefangene Deserteure und weiße Tücherhisser sollte ‚kurzer Prozeß‘ gemacht werden. Ich weiß, daß das Zeigen der weißen Tücher keineswegs ein Zeichen einer Freundschaftsbekundung gegenüber den anrückenden Amerikanern war – man hatte schlicht die Nase voll vom Krieg und wollte sich nicht in letzter Minute das Haus zerschießen lassen. Die Gefangennahme am Inselberg im Thüringer Wald vollzog sich unter menschenunwürdigen Umständen und nicht nach den internationalen Regeln. Die Amerikaner fesselten mich an Händen und Füßen kopfüber auf den Kühler eines Jeeps und rasten mit mir unter lautem Gejohle durch die Berge zum nächsten Sammelplatz. Meine Erleichterung, daß für mich der Krieg beendet war, wurde sehr schnell von der Siegermentalität der US-Soldaten überschattet, die sich wie Wildwesthelden aufführten. Die Nachricht von der Kapitulation wurde im Lager mit lethargischem Achselzucken wahrgenommen – man hatte andere Sorgen. Eine Befreiungseuphorie kam zu keiner Zeit auf – eher die bedrückende Frage nach dem Sinn dieses verlorenen Krieges. Die Reeducation hatte ihre besonderen Noten: Im Lager Aix-en-Provence mußten wir zweimal am Tag die amerikanische Nationalhymne singen und anschließend – auf den Knien über Kies rutschend – das Lied ‚Es ist so schön, Soldat zu sein …‘ intonieren. Es gab kaum Verpflegung, dafür aber täglich Mickymaus-Filme und Bildberichte von der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald. Auch sieben Scheinhinrichtungen – der amerikanische Geheimdienst CIA wollte mich vergeblich als Agent in der damaligen CSSR anwerben, da meine Dienststelle in Aussig war – standen einer persönlichen Freundschaft zu den Siegern entgegen. Die Verpflegung wurde zwischenzeitlich offenbar besser und reichhaltiger. Die Westmächte suchten schon in dieser Zeit neue Verbündete gegen die Gefahr des Kommunismus. Wenn von Befreiung die Rede war, so war dies immer nur ironisch gemeint. Meine eigenen Erfahrungen aus den Lagern begleiteten mich noch Jahrzehnte negativ.“ Soweit die Erlebnisse meines Vaters. Ullrich Panzer, Bremen

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