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Der Köder in Churchills Falle

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Cato, Palmer, Exklusiv

Frühjahr 1915: Die siegessicheren Hoffnungen der Kriegsparteien mit der Aussicht, Weihnachten 1914 wieder „zu Hause zu sein“, haben sich nicht erfüllt, die Fronten sind erstarrt, der Krieg wird zunehmend zur Materialschlacht. Für Großbritannien sind Lieferungen aus den noch neutralen USA unentbehrlich, um den Krieg fortsetzen zu können. Die RMS Lusitania der Cunard Steamship Company, Trägerin des Blauen Bandes 1907, verläßt am 1. Mai 1915 New York mit dem Ziel Liverpool, sie hat knapp zweitausend Menschen an Bord, darunter auch amerikanische Staatsbürger. In den Frachträumen befinden sich ohne Wissen der Öffentlichkeit und vor allem der Passagiere neben zivilen Gütern große Mengen Gewehrmunition und Granaten, bestimmt für die britischen und französischen Truppen. Auch daß die Lusitania als bewaffneter Hilfskreuzer als Kriegsschiff eingetragen wurde, ist nur wenigen bekannt. Als am 7. Mai nachmittags die deutsche U-20 ohne Warnschuß einen Torpedo auf die Lusitania losläßt, die vor der südirischen Küste bei Fastnet auf Geleitschutz wartet, sinkt diese nach einer zweiten, mächtigen Detonation schnell. Etwa 1.200 Menschen, darunter 124 Amerikaner, kommen um. Der Kapitän der Lusitania, William Turner, überlebt. Wie konnte es zu einer solchen Katastrophe kommen, obwohl der britischen Marine der Standort der U-20 bekannt war, die in den Tagen zuvor bereits mehrere Schiffe versenkt hatte? So hatte die kaiserliche deutsche Botschaft in Zeitungsanzeigen am 1. Mai vor den Risiken von Schiffspassagen innerhalb der Kriegszone um England gewarnt. Den Kriegseintritt der USA 1917 entscheidend vorbereitet Die New York Times titelte: „Washington believes that a grave crisis is at hand“, also eine „ernste Krise“. Die Deutschen haben einen immensen politischen Schaden ihres Ansehens zu verzeichnen, werden nun auch in USA als „barbarische Hunnen“ gesehen, was den britischen Interessen sehr entgegenkommt. Für US-Präsident Woodrow Wilson, der sich auf seine Wiederwahl 1916 ausrichtet, genügt der Vorfall noch nicht für den Kriegseintritt der USA an der Seite Großbritanniens. Allerdings ist durch die Darstellung des Untergangs der Lusitania in der Presse der Alliierten der spätere Kriegseintritt der USA 1917 entscheidend vorbereitet und die antideutsche Stimmung gefördert. Die britische Admiralität schloß 1903 mit der Cunard Steamship Company ein Geheimabkommen zum Bau von zwei Passagierschiffen, die auch für Kriegszwecke tauglich waren. Die Regierung sorgte für eine überaus günstige Finanzierung, im Gegenzug verpflichtete sich die Cunard Co., im Kriegsfall diese Schiffe, die Lusitania und die Mauretania, der Marine zur Verfügung zu stellen. Der Erste Lord der Admiralität, Marineminister Winston Churchill, deutete der Cunard Co. im Februar 1913 die baldige Stunde der Bewährung an. Daraufhin wurden unter Geheimhaltung Bewaffnung und Armierung der Lusitania (Länge 238 Meter, Verdrängung 44.000 Tonnen, Jungfernfahrt 1907) verstärkt. Die USA betonen mit Rücksicht auf die öffentliche Meinung Anfang 1915 zwar ihre offizielle Linie, sich aus dem Krieg heraushalten zu wollen, aber Kapitalgeber und Großindustrielle sehen im Krieg die Chance auf große Profite – dabei ist die politische Neutralität und die Einstellung der Bevölkerung hinderlich. So hat die Munition an Bord der Lusitania das Bankhaus J. P. Morgan finanziert und sie soll an Großbritannien und Frankreich verkauft werden. Die Versorgung mit Kriegsmaterial aus den USA ist für Großbritannien kritisch, und Churchill weiß, daß sein Land auf lange Sicht den Krieg nur mit mächtigen Alliierten gewinnen kann. Im Frühjahr 1915 ist der Nachschub aus den USA durch den Einsatz der deutschen U-Bootwaffe ernsthaft bedroht. Churchill ist daher bestrebt, möglichst die neutralen USA in den Krieg an der Seite Großbritanniens hineinzuziehen, um so sowohl Materiallieferungen als auch eine militärische Verstärkung zu erwirken. Am Anfang ging es nahezu ritterlich zu: Entdeckte ein U-Boot in der Kriegszone ein verdächtiges Schiff, so feuerte es aufgetaucht einen Warnschuß „vor den Bug“, das Schiff stoppte und wurde nach Konterbande durchsucht. Fand sich welche, mußte die Besatzung in die Boote, und danach versenkte das U-Boot das Schiff. Das änderte sich nach einem Befehl Churchills an die Kapitäne. Fortan sollten die Schiffe auf gesichtete deutsche U-Boot direkt zuhalten, sie bekämpfen oder rammen. Dies führt zu spürbaren U-Boot -Verlusten in kurzer Zeit, und Churchills Taktik ging auf: Für die Kommandanten der deutschen U-Boote blieb jetzt nur die Wahl, entweder sich dem hohen Risiko eines Rammstoßes auszusetzen oder den Angriff ohne Warnung – bestenfalls getaucht – auszuführen. Dabei mußte man freilich in Kauf nehmen, eventuell ein Schiff neutraler Flagge mit Passagieren unrechtmäßig zu versenken. Bei Beginn des Krieges erkannte die britische Marineführung schnell, daß eine Dechiffriergruppe nötig war, um die Funksprüche der deutschen Befehlsstellen entschlüsseln zu können. Nach ihrem zweiten Büro, in dem die Gruppe arbeitete, hieß sie „Room 40“, und behielt diesen Namen bis zur Verlegung nach Bletchley Park Anfang des Zweiten Weltkrieges bei. Room 40 hatte die entzifferten deutschen Funksprüche auf dessen Wunsch hin zuerst Churchill persönlich vorzulegen, und so kannten er und Vizeadmiral Henry Oliver die Routen, Befehle und Standorte der deutschen U-Boote genau. Zum Personal des Marinenach-richten­dienstes gehörte auch Commander Joseph Kenworthy, der in den Wochen vor der Versenkung von Churchill gebeten wurde, einen Bericht zu erarbeiten: Was sind die politischen Folgen, wenn ein Ozeanriese mit US-Passagieren an Bord versenkt wird? Am 5. Mai 1915, einem Mittwochvormittag, fand eine hochrangig besetzte Besprechung der Admiralität statt. Unter anderem nahmen teil: Marineminister Churchill, der Erste Seelord Admiral John Fisher, Vizeadmiral Oliver als Chef des Stabes; Captain Reginald „Blinker“ Hall als Leiter des Marinenachrichten­dienstes und dessen Mitarbeiter Commander Kenworthy. Zwischen Churchill (damals 41) und dem 74jährigen Fisher bestanden zu diesem Zeitpunkt sowohl persönliche als auch sachliche Differenzen. Das Thema der Besprechung war, wie im Falle Lusitania zu verfahren sei. Schließlich werden an diesem 5. Mai die Befehle für eine Falle ausgearbeitet. Der Kreuzer Juno, ein altes, langsames Schiff, sollte ursprünglich die Lusitania in Empfang nehmen und zum Hafen geleiten. Da die Juno sich offenkundig als Schutz nicht eignet, soll sie zurückgerufen werden und die Lusitania nun allein auf die dem Room 40 bekannte Position der U-20 zusteuern, nicht zuletzt, weil diese am 7. Mai den Befehl erhält, statt Liverpool nun Queenstown anzulaufen. Vizeadmiral Coke in Queenstown erhält Befehl, die Lusitania zu gut wie möglich zu schützen, hat aber hierzu keine Ressourcen, was der Admiralität wohlbekannt war. Coke verzichtet trotz dieser Lage auf eine Warnung an die Lusitania, ebensowenig erhält sie von der Admiralität eine Information zur Position der U-20. Kapitän Turner wird in völliger Unkenntnis gehalten. Wer letztendlich in dieser Besprechung die Entscheidungen traf, Fisher oder Churchill, ist nicht eindeutig festzustellen. Kenworthy schreibt 1927 in seinem Buch „Freedom of the Seas“, daß die Lusitania mit Absicht alleingelassen wurde. Er verläßt jene Besprechung am 5. Mai vorzeitig, angewidert von solcherlei Machenschaften, wie er schreibt. Churchill indes begibt sich nach der Besprechung zum gemeinsamen Mittagessen mit seiner Frau und bricht danach zu einer privatdienstlichen Reise nach Frankreich auf. „He went off on a jolly“, kritisiert Fisher später. Unter den damaligen Kommunikationsbe­dingungen war Churchill daraufhin in den Tagen des Verhängnisses nicht erreichbar. Während der Untersuchung des Falles Lusitania im Juni wird anfangs Kapitän Turner ein maßgeblicher Teil der Schuld zugesprochen. Doch schließlich weicht man von dieser Haltung wieder ab, da man einen unangenehmen Rechtsstreit mit der Reederei Cunard Co. fürchtet, der pikante Details bezüglich der Fracht aufdecken könnte. Daß die Admiralität sich selbst belastet, ist undenkbar, daher lautet die gemeinsame Linie: „Let’s blame the Hun“, die Deutschen sind schuld. Wie die Lage politisch auszunutzen ist, hatte Churchill mit anderen zuvor geplant, wobei ihm seine Berufserfahrung als Kriegsreporter auf britischer Seite im Burenkrieg von 1899 bis 1902 sicherlich zugute kam. Der U-Boot-Krieg wurde darauf bis 1917 eingeschränkt Churchill schreibt später selbst: „Der Schachzug, der einen Alliierten an die eigene Seite bringt, ist genauso nützlich und wertvoll wie derjenige, der zum Sieg in einer großen Schlacht verhilft.“ Er gestaltete im Mai 1915 eine Situation, in der sein Land nur gewinnen konnte: Wäre die Lusitania als Köder in Churchills Falle für U-20 durchgekommen, hätte wenigstens die dringend benötigte Munition und anderes Kriegsmaterial – etwa 180 Tonnen – England erreicht. Statt der Lusitania hätte dann eben später ein anderes Schiff als Köder dienen müssen. Tatsächlich konnte nun die Katastrophe propagandistisch zu Lasten Deutschlands ausgebeutet werden. Obendrein mußte das Deutsche Reich den Einsatz der U-Bootwaffe in den aufgeregten Monaten danach stark einschränken, denn einen weiteren Fall Lusitania wollte man sich politisch nicht leisten. Damit kam der Nachschub aus den USA wieder nahezu ungehindert in England an. Als das Deutsche Reich im Februar 1917 den uneingeschränkten U-Boot-Krieg wieder aufnahm, traten die USA nur kurze Zeit später, am 6. April, in den Ersten Weltkrieg ein. Foto: Passagierschiff Lusitania: In den Frachträumen befanden sich große Mengen an Munition und Granaten, Churchill 1912 als Marineminister

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