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Vom Umgang mit den Umsiedlern

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Die Thüringer Kommunisten, von denen es noch Restbestände gibt, hatten am 24. Januar nach Jena eingeladen, ins „Haus auf der Mauer“, zu einer siebenstündigen Tagung über „Flucht, Vertreibung und Erinnern“. Es war schon die zweite Tagung dieser Art, die erste hatte am 1. April 2000 in Erfurt stattgefunden. Damals waren nur vier Referenten aufgetreten, unter ihnen Peter Becher/München und der Ostpreuße Bernhard Fisch/Stadtroda. Der aus Oberschlesien stammende Schriftsteller Harry Thürk, der 1978 einen dicken Kolportageroman gegen Alexander Solschenizyn veröffentlicht hatte, hatte einen Diskussionsbeitrag geschickt. Zu dieser ersten Tagung gibt es seit vier Jahren eine Dokumentation „Vertriebene im linken Diskurs“, die die schier unüberwindlichen Schwierigkeiten von SED-Historikern im Umgang mit dem Thema „Flucht und Vertreibung“ aufzeigt. Schon allein der Umstand, daß das einladende Thüringer Forum für Bildung und Wissenschaft, das von der PDS-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung gefördert wird, ein Jahrzehnt verstreichen ließ, ehe es sich mit einem Abschnitt deutscher Nachkriegsgeschichte befaßte, der ohne die Erwähnung der von der Roten Armee an der deutschen Zivilbevölkerung verübten Greueltaten nicht aufgearbeitet werden kann, macht deutlich, auf welch unsicherem Gelände man sich offensichtlich bewegt, wenn die ideologischen Vorgaben des 1989/90 untergegangenen SED-Staates fehlen. Vertiebenenpolitik soll von links entwickelt werden Deutlich wird das schon am Geleitwort des 1930 geborenen Slawisten Michael Wegner, eines Jenenser Emeritus und Vorsitzenden des Forums. Er betont einleitend, vom „Nachholbedarf in der Diskussion um Vertriebenenfragen unter linken politischen Kräften“ zu wissen, und fordert: „Es sollte nicht allein den Vertriebenenverbänden überlassen werden, darüber zu diskutieren.“ Er sieht „Defizite in der bisherigen Behandlung des Themas, die unsere Veranstaltung notwendig machten“ und er plädiert dafür, „ausgewogene Positionen einer Vertriebenenpolitik von links“ zu entwickeln. Reichlich spät, möchte man einwenden und erfährt dann, warum es dennoch fünf bis sechs Jahrzehnte nach 1945 geboten sei, sich mit dem Jahrhundertthema „Flucht und Vertreibung“ auseinanderzusetzen. Nicht die Einsicht, daß – auch um den Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen – dieses heikle Thema aufgearbeitet werden muß, sondern der europäische Einigungsprozeß, der 2004 auch die einstigen Vertreiberstaaten Polen, Slowakei, Tschechien, Ungarn erfaßt, zwingt offenbar auch die Thüringer Kommunisten zum Nachdenken. Die Motivation ist vorgeschoben, unter diesen Aspekten hätte das Thema auch schon zu Zeiten des Warschauer Paktes behandelt werden können! Die wahre Motivation, sich diesem Problem zuzuwenden, dürfte anderswo liegen: Man sucht, da man diesen Fragen so völlig ignorant gegenübersteht, nach Argumentationshilfen gegen den Bund der Vertriebenen in Erfurt und Berlin und gegen das von Erika Steinbach geplante Zentrum gegen Vertreibungen. Vier Jahre später scheint sich die politische Verkrampfung, dieses Thema unbedingt abarbeiten zu wollen, in verständnisvolle Zuwendung auflösen zu wollen, wenn Manfred Weißbecker, Emeritus für Geschichte an der Universität Jena, in seinen einleitenden Worten meint: „Dem Thema vermag niemand sich zu entziehen. Es sollte sich ihm auch niemand verweigern wollen. Es lebt in allen Teilen der Gesellschaft, und dies nicht allein in Deutschland. Vor und während des Zweiten Weltkrieges sowie danach vollzogen sich tiefe Einschnitte in Biographien derer, die unmittelbar betroffen waren, aber auch bei jenen, die mit Flüchtlingen und Vertriebenen umzugehen erst lernen mußten.“ Unverständlich bleibt dennoch, warum man in Jena auch im Jahr 2004 noch nicht wußte, daß das Thema „Flucht und Vertreibung“ durchaus seinen Platz hatte in der DDR-Geschichtsforschung wie in der DDR-Literatur. Das führte so weit, daß man am 11. Januar 1988 in den „nationaldemokratischen“ Brandenburgischen Neuen Nachrichten lesen konnte, daß ein „zentraler Forschungsplan“ vorsah, bis 1990 in die Geschichtsforschung für die Zeit vor 1945 das gesamte damalige deutsche Staatsgebiet einzubeziehen“, mit dem Zusatz freilich, daß das „nichts mit Revanchismus zu tun“ habe, sondern der „geschichtlichen Realität“ entspreche. Der Magdeburger Emeritus Manfred Wille beispielsweise, der jetzt eine dreibändige Dokumentation „Die Vertriebenen in der SBZ/DDR“( Wiesbaden 1996, 1999, 2004) vorgelegt hat, vergab in DDR-Zeiten eine Reihe von Dissertationsthemen über Flüchtlinge und Vertriebene, genauer: über deren Eingliederung in Sachsen-Anhalt! Und die vielgeschmähte DDR-Literatur hält zwei Dutzend Erzählungen und Romane von 1948 bis 1994 bereit, die man nur zu lesen und auszuwerten hatte! Elke Mehnert von der Universität Chemnitz, die gründlichste Kennerin des Stoffs in den neuen Bundesländern, sprach über „Flucht und Vertreibung in der deutschen Literatur nach 1945“ überhaupt, die vom Kalten Krieg gesprägt gewesen sei – was vielleicht, wenn überhaupt, nur bis zum Jahr 1974 zutrifft, als Arno Surminskis Roman „Jokehnen oder Wie lange fährt man von Ostpreußen nach Deutschland?“ erschien, mit dem die zweite Phase dieser Literatur einsetzte. Sie interpretierte dann ausführlich die Vertreibungs- und Vertriebenenerfahrung bei Josef Mühlberger (1903-1985), die er vor allem in seiner Erzählung „Der Galgen im Weinberg“ (1960) niedergeschrieben hat. Rache und Vergeltungsgedanken fänden sich nicht bei diesem deutsch-böhmischen Schriftsteller aus Trautenau, der vergessen und verkannt in Eislingen/Fils gestorben ist. Abschließend sprach sie über den Roman „Niemandszeit“ (2002) des 1964 geborenen und bei Dresden lebenden Jörg Bemig, der als nachgeborener Sudetendeutscher das Schicksal eines von Deutschen verlassenen Dorfes in Böhmen beschreibt. Jörg Bernhard Bilke aus Bad Rodach in Oberfranken gab unter dem Titel „Unerwünschte Erinnerungen“ einen Überblick zu „Flucht und Vertreibung in der DDR-Literatur“ und verwies darauf, daß das Thema in der SBZ/DDR keineswegs tabuisiert, wohl aber stark ideologisiert war. Während es noch 1948/49 zwei Romane von Maria Langner („Die letzte Bastion“) und Annemarie Reinhard („Treibgut“) gegeben habe, worin völlig ideologiefrei über das Erlebte berichtet wordensei, habe die Ideologisierung mit dem „Görlitzer Abkommen“ von 1950 eingesetzt, die erst zwischen 1984 und 1986 durch die Bücher Elisabeth Schulz-Semraus über Ostpreußen und Ursula Höntsch-Harendts wie Armin Müllers über Schlesien aufgebrochen worden sei. Kirsti Dubeck/Leipzig wiederum, die über die Auseinandersetzungen mit dem Thema in der polnischen und tschechischen Nachkriegsliteratur sprach, konnte sich bei ihren Ausführungen auf ihre umfangreiche (566 Seiten), im Sommer 2002 in Leipzig verteidigte Dissertation „Heimat Schlesien nach 1945″( Hamburg 2003) beziehen. Wertvoll war dieser Beitrag deshalb, weil kaum ein Zuhörer aus Mangel an Sprachkenntnissen die Fülle dieser literarischen Texte kannte, die bis auf wenige Ausnahmen auch nicht übersetzt sind. Die vier anderen Referate waren einzelnen Texten gewidmet wie Franz Fühmanns (1922-1984) Erzählung von 1962 „Böhmen am Meer“ (Lutz Kirschner/Berlin), die völlig von Ideologie durchtränkt ist, weshalb der aus dem böhmischen Riesengebirge stammende Autor auch ein sudetendeutsches „Heimattreffen“ in West-Berlin besucht hat, um mit angemessener Tendenz gegen den „Revanchismus“ anschreiben zu können; Heiner Müllers Theaterstück „Die Umsiedlerin oder Das Leben auf dem Lande“ (1961) nach der Erzählung (1950) von Anna Seghers „Die Umsiedlerin“ (Jens Fietje Dwars/Jena); oder Alfred Wellms (1927-2001) 1976 erschienener Roman „Pugowitza oder Die silberne Schlüsseluhr“ (Christel Berger/Hohen Neuendorf), während der einstige Russischlehrer Bernhard Fisch/Stadtroda über die Schwierigkeiten sprach, in der DDR über Ostpreußen zu schreiben. Historische Aufarbeitung über literarische Erschließung Besonders der letzte Referent, der als heimatverbundener Ostpreuße zu DDR-Zeiten heimlich vom litauischen Kaunas nach Königsberg/Kaliningrad geflogen und prompt von der russischen Miliz festgenommen worden war, konnte eine Fülle von DDR-Büchern mit ostpreußischen Themen aufzählen, wobei ein Buch, das in einer kleinen Ausstellung einzusehen war, große Aufmerksamkeit erregte. Unter dem Titel „Heimatbilder“ (1945) zeigt es ostpreußische Landschaften, aber ohne jeglichen Text, denn die geographische Einordnung der Bilder hatte der sowjetrussische Kulturoffizier nicht zugelassen. Eine literarische Entdeckung war auch der geborene Westpreuße Alfred Wellm aus Neukrug bei Elbing, der, was bisher kaum bekannt war, das Kriegsende in Masuren schildert. Er hatte schon in Mehlsack von 1942 an die Lehrerfortbildungsanstalt besucht und dann 1946 einen Neulehrerkurs in Stralsund, worauf er in Fürstenberg/Havel unterrichtete, 1959 „Verdienter Lehrer des Volkes“ wurde und 1963 aus dem Schuldienst ausschied, um Schriftsteller zu werden. Sein Lehrerroman „Pause für Wanzka oder Die Reise nach Descansar“ (1968) machte ihn berühmt. Daß auch der 1924 in Reichenberg/Böhmen geborene Günther Rücker, der heute in Meiningen lebt, sich mit der Erzählung „Hilde, das Dienstmädchen“ (1988) dieser Thematik gewidmet hat und schließlich auch der Parteischriftsteller Erik Neutsch (1931) aus Schönebeck an der Elbe mit dem Text „Der Hirt“ (1998), erstaunte sogar manchen Tagungsteilnehmer! Foto: Otto Grotewohl und Jozef Cyrankiewicz unterzeichnen am 6. Juli 1950 den Görlitzer Vertrag, der die Oder-Neiße-Grenze als „Friedensgrenze“ festlegte: Defizite in der bisherigen Behandlung des Themas

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