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Der Wert des Eigenen

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Der Beschluß stand fest: Eine Fremdsprache sollte als alleinige Amtssprache eingeführt werden. Doch Widerstand erhob sich. Sicherheitskräfte versuchten, ihn mit Gewalt zu unterdrücken. Am 21. Februar 1952 feuerte die Polizei in einen Aufmarsch und erschoß zwei „Sprachmärtyrer“. Doch es half nichts: Der unterdrückte Landesteil spaltete sich ab und erklärte sich schließlich als neuer Staat Bangladesch unabhängig. Diesem Land verdanken wir einen Gedenktag. Seit dem Jahr 2000 wird aufgrund eines Unesco-Beschlusses jedes Jahr am 21. Februar weltweit der „Internationale Tag der Muttersprache“ begangen, heuer zum fünften Mal. Allmählich dringt dieser Tag – neben dem Tag der deutschen Sprache im September – auch im deutschen Sprachraum in das Bewußtsein der Öffentlichkeit. Am moslem-indischen Beispiel wird der enge Zusammenhang zwischen Vaterland und Muttersprache deutlich. 1947 entließ die britische Kolonialmacht Britisch-Indien in die Unabhängigkeit. Dabei wurde es aufgeteilt in das hinduistisch geprägte Indien und das moslemisch beherrschte Pakistan. Religion allein hält keinen Staat zusammen. Das damalige Ost-Pakistan und heutige Bangladesch war von West-Pakistan nicht nur durch eine Entfernung von mehr als 1.500 Kilometern getrennt, denn dazwischen lag das große Indien, sondern auch durch die Sprache. Im Osten sprachen 98 Prozent Bengali, die im Westen gesprochenen Sprachen waren mit Urdu verwandt. Die Pakistan beherrschende Moslemliga wollte durchsetzen, daß im ganzen Land nur Urdu als Amtssprache gelte, da es dem Arabischen und Persischen nahestehe und somit „islamischer“ sei als andere in Frage kommende Sprachen. Die bengalische Schrift sollte erst durch arabische, später durch lateinische Zeichen verdrängt werden. Diesen Angriff auf ihre kulturelle Identität ließen sich die Bengalen nicht bieten. Ihre Sprachenbewegung organisierte zwischen 1948 und 1952 zahlreiche Massenkundgebungen und Demonstrationen, bis Bengali endlich als Amtssprache zugelassen wurde. Die beiden Studenten Abul Barkat und Rafiquddin Ahmed, die am 21. Februar 1952 den Tod fanden, stiegen als Blutzeugen zu Volkshelden und Vorkämpfern der nationalen Unabhängigkeit auf. Was gehen uns die damaligen Ereignisse am fernen Ort an? Sie sind eine Lehre, daß eine fremde Sprache niemals eine Muttersprache verdrängen darf. Obwohl die Geschichte der bengalischen Sprache ein eindrucksvolles Beispiel bietet, brauchen wir eigentlich gar nicht den Blick bis nach Bangladesch zu richten, um Beispiele für Sprachbedrohung zu finden, denn wir wissen: Der deutsche Sprachraum ist im vergangenen Jahrhundert infolge von Krieg, Völkermord und Vertreibung stark geschrumpft. Heute sieht sich unsere Muttersprache anderen Bedrohungen ausgesetzt. Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, verlangen deswegen ein klares Bekenntnis zu uns selbst und zu unserer Muttersprache, denn: Englisch verdrängt an den deutschen Hochschulen Deutsch als Lehr- und Wissenschaftssprache. Bulmahnsche „Brain-up“-Deutschland-sucht-die-Superuni-Wettbewerbe werden diese Entwicklung eher noch verstärken. In der Europäischen Union ist die deutsche Sprache nicht auf allen Ebenen als Arbeitssprache anerkannt, obwohl mit der unmittelbar bevorstehenden Osterweiterung der EU ihre Bedeutung weiter steigt. Eine derzeit laufende Unterschriftensammlung, unterstützt von der Zeitschrift Deutsche Sprachwelt, soll die Arbeitssprache Deutsch stärken. Die Rechtschreibung ist aufgrund einer verkorksten „Reform“ nicht mehr einheitlich, weil sie nicht mehr der Entwicklung durch die Sprachgemeinschaft folgt. Bis zum Ende der Übergangszeit im nächsten Jahr muß die Rechtschreibreform endgültig gekippt sein, will man noch größere Schäden an der Schriftsprache vermeiden. Der vor wenigen Tagen veröffentlichte Aufruf von fünfzig Professoren der Rechtswissenschaft, zur klassischen Schreibung zurückzukehren (siehe Seite 12), geht in die richtige Richtung. Deutsche Musik- und Filmproduktionen kämpfen gegen die wirtschaftliche Übermacht aus Übersee, so daß zum Beispiel der Hörfunk fast nur englischsprachige Titel spielt, die eine Entfremdung von der eigenen Sprache und Kultur begünstigen und identitätsuchende Jugendliche ins kulturelle Niemandsland schicken. Daß Jugendliche angeblich keine deutschsprachige Musik hören wollen, ist nur ein Scheinargument. Die deutschen Muttersprachler haben außerdem im Umgang mit ihrer Sprache eine Verantwortung gegenüber kleineren Sprachgemeinschaften. Auch daran sollte am Internationalen Tag der Muttersprache erinnert werden. Wenn es nicht einmal unsere verhältnismäßig große Gemeinschaft von rund hundert Millionen Sprechern schafft, die eigene Sprache zu bewahren, welche Hoffnung sollte es dann für die zahlreichen kleineren Sprachen geben? Trotz teilweise großer Anstrengungen zur Rettung bedrohter Sprachen werden in einhundert Jahren von den heute rund 6.000 Sprachen nur noch etwa 600 am Leben sein. Wir müssen helfen, diesen kulturellen Schaden zu begrenzen. Denken wir am Internationalen Tag der Muttersprache auch an die Deutschen im Ausland, die ihre Sprache bewahren wollen und es um so schwerer haben, weil sie nicht im geschlossenen großen deutschen Sprachraum leben. Der Verein für deutsche Kulturbeziehungen im Ausland (VDA) nennt die Zahl von 14 Millionen Auslandsdeutschen, die sich heute noch zu ihrer Kultur und Muttersprache bekennen. Viele Deutsche im Ausland bekommen nicht die Gelegenheit, Deutschland zu besuchen, und pflegen oft ein idealisiertes Deutschlandbild, um in der Umgebung fremder Kulturen bestehen zu können. Wie peinlich ist es dann für die Gastgeber, wenn diese Deutschen doch einmal das Mutterland besuchen und von Post, Bahn und Telekom mit Amideutsch empfangen werden. Um den Internationalen Tag der Muttersprache bekannter zu machen, gibt die Deutsche Sprachwelt an diesem Tag in einer Auflage von 10.000 Stück die erste Sprachschutz-Briefmarke heraus. Sie hat einen Nennwert von 55 Cent, ist in Österreich voll frankaturgültig und trägt den Aufruf „Die deutsche Sprache gemeinsam erhalten und gestalten“. Gleichzeitig appelliert die Sprachzeitung an den Bundesfinanzminister Hans Eichel, der für die Ausgabe deutscher Briefmarken verantwortlich ist, die für Mai geplante Europamarke nicht unter das Motto „holidays“ zu stellen. Die Österreichische und die Schweizer Post verwenden vorbildlicherweise den Begriff „Ferien“. In einem Offenen Brief muß Eichel die Frage lesen: „Wenn die politisch Verantwortlichen in Europa sehen, wie ein deutscher Minister grundlos die eigene Sprache aufgibt, wie ernst werden dann die Bemühungen um die Stärkung der deutschen Sprache in den europäischen Institutionen genommen?“ Es gibt viel zu tun für unsere Muttersprache. Thomas Paulwitz ist Schriftleiter der vierteljährlich erscheinenden Zeitung „Deutsche Sprachwelt“, Postfach 1449, 91004 Erlangen.

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