Die Weltwirtschaftskrise und der Zweite Weltkrieg hatten den globalen Handel ruiniert. Deswegen wurde am 30. Oktober 1947 in Genf das Allgemeine Zoll- und Freihandelsabkommen (GATT) unterzeichnet, der Vorläufer der 1994 entstanden Welthandelsorganisation WTO. Die allgemeine Meistbegünstigung durch Niedrigzölle sollte den Freihandel ohne Zollschikanen beflügeln. Und fast alle profitierten vom Abbau des Protektionismus: Deutschland und die USA wechselten sich als Exportweltmeister ab, bis China nach der Jahrtausendwende an die Spitze marschierte. Auch Frankreich, Japan, Südkorea oder die Schweiz machten lange gute Geschäfte.
Nur wer an Wettbewerbsfähigkeit verlor hatte das Nachsehen: die amerikanische Stahlindustrie, britische Autobauer oder portugiesische Textilfabriken. Der internationale Handel, so die Theorie, schafft Wohlstand und gegenseitige Abhängigkeiten und macht damit den Frieden sicherer. So wie die Arbeitsteilung, die bis vor neun Monaten zwischen Rußland und der EU herrschte: Billige Rohstoffe und reichlich Energie für industrielle Fertigwaren, die die russische Industrie außerhalb des Rüstungssektors nicht qualitativ herstellen kann. Die Theorie hatte im Kreml leider keine Anhänger mehr.
Und nicht nur linksgrüne Globalisierungsgegner machen zum Schutz des Regenwaldes und gegen Palmöl- oder Sojaplantagen mobil, obwohl deren Produkte meist von China gekauft werden. Die USA sind mit Indien, China und Brasilien beim Zugang zu den Agrarmärkten so heillos zerstritten, die Doha-Freihandelsrunde kommt deshalb nicht von Fleck. Der WTO-Streitlösungsmechanismus scheitert wegen der US-Blockade bei den Richterernennungen. Auch die 2021 neu ernannte WTO-Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala, bis 2015 Finanzministerin von Nigeria, hat bislang nichts bewegen können.
Der Konflikt China-USA bedroht Lieferketten und Absatzmärkte
Deshalb sollen bilaterale Abkommen der EU den Freihandel retten: mit Kanada (Ceta), Australien, Japan, Südkorea oder Vietnam. Doch das Mercosur-Abkommen mit Argentinien, Uruguay, Paraguay und Brasilien, das deutschen Maschinen- und Autobauern großartige Möglichkeiten eröffnet, wird von Paris blockiert. Die Rindermäster der Normandie sind wichtiger. Zudem ist die EU ein schwieriger Partner geworden, seit sie Freihandel mit LGBTQ-Rechten verbindet und mit CO2-Grenzzöllen (CBAM) hantiert: Die sollen für Importe (Stahl, Zement, Düngemitteln) aus Ländern fällig werden, die ihre Industrie und Logistik nicht mit hohen CO2-Abgaben schädigen wollen.
Während sich die US-Industrie mit ihrem großen Binnenmarkt, dem Rohstoff- und Energiereichtum und ihrem chronischen Außenhandelsdefizit recht schmerzfrei vom chinesischen Markt verabschieden kann, tun sich Japan, Vietnam und die EU schwerer. Im Blick auf den Konflikt zwischen Washington und Peking dürfte der Huawei-Bann lächerlich erscheinen im Vergleich zu den dann zu erwartenden brutalen US-Sanktionen. Olaf Scholz will die Pilgerfahrten seiner Vorgängerin mit großem Industriegefolge zum KP-Führer Xi Jinping fortsetzen: man solle sich „nicht von einzelnen Ländern abkoppeln“. Aber sollten Lieferketten und Absatzmärkten nicht diversifiziert werden?
BASF hat eine zehn Milliarden teure Fertigung im südchinesischen Zhangjiang für die Herstellung von 60.000 Tonnen technischer Kunststoffverbindungen begonnen. Die Chefs von VW und Daimler frohlocken weiter über die Größe ihres chinesischen Marktes, wo sie jedes dritte Auto verkaufen. Doch wie lange noch? Im Lande des „China first“ sind Auslandsinvestitionen zunehmend riskant, Eigentumsrechte und getroffene WTO-Vereinbarungen „interpretierbar“: Bei Unbotmäßigkeit drohen Konfiskationen und Verstaatlichungen. Ohnehin folgt China nunmehr der Doktrin der „zwei Kreisläufe“: den eigenen Binnenmarkt und seine Versorgung mit Rohstoffen (jetzt billig aus Rußland zu haben) zu stärken – und das zur Not auch mit gestohlenen Technologien.
Neue WTO ohne USA?
Das heißt, in der Auseinandersetzung mit den USA und zur Durchsetzung des eigenen Weltmachtanspruches möglichst autark zu werden. Die frühere Abhängigkeit von fernen, nicht kontrollierbaren Exportmärkten wird verringert. Die deutschen und EU-Konzernzentralen werden im kommenden Sanktionskrieg wählen müssen: zwischen dem US- und dem chinesischen Markt. Im Falle der Iran Sanktionen ist ihnen das noch leicht gefallen. BASF-Chef Martin Brudermüller hält geopolitische Risiko für „managebar“, die besser informierten Amerikaner verlagern ihre chinesische Fertigung längst nach Südostasien und Indien.
So zerfällt die Welt nach 75 Jahren in drei Wirtschaftsblöcke: China (plus russisches Anhängsel), die USA und den Rest. Wie kann sich der Rest davor retten, zerrieben zu werden? Eine Idee äußerte Manfred Weber (CSU), Fraktionschef der EVP im EU-Parlament: „Wir müssen unsere China-Fixierung aufgeben. Wir brauchen eine Neugründung einer Art WTO für die freie Welt“. Ob mit oder ohne die USA wird man sehen müssen.
JF 44/22