FRANKFURT AM MAIN. Mit Sanktionen könne der Krieg gegen Rußland nicht gewonnen werden, meint die Chefvolkswirtin der Landesbank Hessen-Thüringen, Gertrud Traud. In ihrem aktuellen Newsletter „Vertrau(d)lich“ schreibt die Volkswirtin, die Strafmaßnahmen schadeten Deutschland und der ganzen Welt mehr als jenem Land, gegen das sie gerichtet seien.
Traud, die den Posten bei der Staatsbank bereits seit 17 Jahren inne hat, vertritt die Auffassung, die Auswirkungen des Krieges und der Sanktionen auf die russische Wirtschaft seien deutlich geringer als zunächst erwartet. Einerseits sei das von Wladimir Putin regierte Land gut auf den Krieg vorbereitet gewesen, andererseits sei es in der Welt weniger isoliert als erhofft.
Verletzlichkeit Rußlands überschätzt
Zwar sei die Industrieproduktion Rußlands im April eingebrochen, aber nicht so stark wie in der globalen Finanzkrise 2009. Die Verknappung von Importgütern habe Rußland nicht so destabilisiert wie erwartet, vielmehr habe sich die „Pro-Putin-Stimmung“ noch verstärkt. Der Handel mit anderen Staaten nehme zu. So halte China am Bau einer Gaspipeline fest. Ärmere Länder, die von russischen Lieferungen abhängig seien, verhielten sich in der Tendenz prorussisch, die Gefahr einer Krise in solchen Ländern wachse durch die Sanktionen.
Je stärker die Strafmaßnahmen des Westens ausfielen, desto mehr werde es außerdem in Rußland „alternative“ Wege der Versorgung geben. Als Beispiele nannte sie Schmuggel oder Zuteilungen durch den Staat. „Beides sollte tendentiell die Zusammenarbeit mit dem Regime erhöhen.“ Trauds zieht ein eindeutiges Fazit: „Der Westen hat die Verletzlichkeit Rußlands über- und die Bedeutung seiner Rohstoffe für die Welt unterschätzt.“ (fh)