Die baden-württembergische Krankheit beseitigen“ will Mercedes-Chef Jürgen Hubbert. „Amoklauf“, „Erpressung“, „Geiselnahme“ kontert die IG Metall. Manche Unternehmer wollten die Arbeitnehmer „knebeln“, sekundiert SPD-Chef Müntefering. Es geht heiß her „beim Daimler“ in diesem Sommer. Die aggressive Klassenkampfrhetorik vernebelt dabei das wahre Problem: Wie müssen deutsche Unternehmen und Arbeitnehmer sich positionieren, um in einer globalen Wirtschaft nicht unterzugehen? Die Grundsatzdebatte um längere Arbeitszeiten in Deutschland ist mit diesem Arbeitskampf voll entbrannt. 500 Millionen Euro Kosteneinsparungen, sonst wird die neue C-Klasse ab 2007 in Bremen oder Südafrika produziert und in Sindelfingen werden 6.000 Stellen gestrichen, lautete Hubberts Forderung. Ein „Dammbruch“, klagen Gewerkschafter angesichts des absehbaren Aus für ihre „heilige“ 35-Stunden-Woche. Viele Argumente klingen wie vom anderen Stern. In manchen Arbeitgeberköpfen scheint die Vorstellung einer nunmehr globalen „industriellen Reservearmee“ zu spuken, deren Massen man gegeneinander ausspielen könne. Zwischen Bremen und Sindelfingen mögen Qualität und Produktivität ja vergleichbar sein; aber Südafrika? Verlorenes Kundenvertrauen gewinnt man so kaum zurück. Hört man dagegen manchen Gewerkschaftern zu, dreht sich alles nur um Verteilungskonflikte zwischen kapitalistischen Ausbeutern und braven Werktätigen – als gäbe es keinen Wettbewerb, schon gar keinen weltweiten. Die Realität ist komplizierter. Mercedes-Benz ist trotz – sinkender – Gewinne ein Sanierungsfall: Es produziert zu teuer. Darunter leiden die Investitionen in neue, bessere Modelle: Dafür muß der Konzern Kosten sparen, nicht um den Vorstand noch reicher zu machen. Der verdient freilich so gut, daß ihm selbst der angebotene zehnprozentige Gehaltsverzicht nicht wehtäte. Allen voran der Daimler-Boß selbst, der Milliarden bei Chrysler, Mitsubishi und „Toll Collect“ versenkt hat. Jürgen Schrempp erhielt dafür Anfang des Jahres vom US-Magazin Business Week den Titel „schlechtester Manager des Jahres“. In einem US-Unternehmen wäre er schon längst gefeuert worden. Verdienen wie in Amerika, Vollkasko wie in Deutschland – das geht nicht gut. Seit 1997 stiegen die Vorstandsbezüge um 192 Prozent, für Schrempp von 1,86 auf 5,4 Millionen Euro jährlich. Die Gewerkschaften schimpfen darüber, aber ihre Vertreter im Aufsichtsrat haben immer brav mitgestimmt. Ohne ihre Hilfe und speziell ohne Gesamtbetriebsrat Erich Klemm, mit dem er sich heute donnernde Wortgefechte liefert, hätte Daimlers größte „Niete in Nadelstreifen“ schon längst den Hut nehmen müssen. Mehr als die hohen Arbeitskosten in Sindelfingen hat der Traum von der „Welt AG“ Daimler in die Krise gebracht, argumentieren die Gewerkschaften nicht zu unrecht. Gleichwohl sind viele Privilegien, die Arbeitnehmer am Mutterstandort genießen, überholt: die vom damaligen IG-Metall-Chef vor dreißig Jahren erstrittene „Steinkühler-Pinkelpause“ von fünf Minuten pro Stunde für Schichtarbeiter, der schon ab 12 Uhr mittags gezahlte „Spätschichtzuschlag“ von 15 Prozent (in Bremen unbekannt) oder der Nachtschichtzuschlag von 30 Prozent ab 19 Uhr (in Bremen 15 Prozent ab 20 Uhr). Wenn der Mercedes-Chef das als „baden-württembergische Krankheit“ geißelt, hat das freilich ein „Gschmäckle“: Schließlich haben Daimler und die Großen der Autobranche sich in der Vergangenheit allzu bereitwillig mit großzügigen Tarifabschlüssen im Pilotbezirk Baden-Württemberg Ruhe erkauft, die den Betrieben Liquidität für Investitionen in die Wettbewerbsfähigkeit entzogen haben. Mit dem Festklammern an der 35-Stunden-Woche kämpfen die Gewerkschaften jedenfalls an der falschen Front. Arbeit ist keine statische Größe, die wie in einer sozialistischen Planwirtschaft nur richtig verteilt werden muß. Wenn in allen Industriestaaten mehr gearbeitet wird, kann Deutschland mit Arbeitszeitverkürzung nicht an der Spitze bleiben. Wie ein deutsches Unternehmen von der Globalisierung profitieren kann, macht BMW vor. Der Münchner Autobauer hat rechtzeitig fragwürdige Auslandsabenteuer beendet und statt dessen in neue, attraktive Modelle investiert. Früh wurden flexible Arbeitszeiten eingeführt. Ergebnis: Absatz und Rendite steigen mit Traumwerten. An diesem Erfolg werden alle beteiligt: Seit 1973 zahlt BMW seinen Mitarbeitern jährlich eine Erfolgsprämie. Dieses Jahr erreicht sie den Rekordwert von 153,4 Prozent eines Bruttomonatsgehaltes; 2003 waren es 140,7 Prozent. Ein Modell für ein neues Bündnis zwischen Kapital und Arbeit? Die rituellen Verteilungskämpfe – früher um den größeren Kuchen, jetzt um den Mangel – führen nicht weiter, meint der Würzburger Ökonom Norbert Berthold. Warum sollten nicht „Arbeitnehmer als Gegenleistung für Zugeständnisse bei Tariflohn und Arbeitszeit später in den Genuß einer Erfolgsprämie kommen“? Auch in einem Hochlohnland sind sie nämlich nicht automatisch zum Verlierer der Globalisierung verdammt. Das Problem ist nicht der weltweite Wettbewerb, sondern die Sturheit der Ideologen und Funktionäre. Das verbindet Mercedes mit unserem Wohlfahrtsstaat und macht es zu einem doch sehr deutschen Unternehmen.
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