Es war nur ein kleiner Anruf – aber mit ungeahnten Folgen: Seitdem steht gegen den frischgewählten Kieler Oberbürgermeister Samet Yilmaz der Vorwurf der Nähe zu Extremisten im Raum. Besonders pikant ist, daß er den Grünen angehört, die sich ja gerne als die Verkörperung der Demokratie schlechthin verstehen.
Vor seinem Wahlsieg war Yilmaz bereits Fraktionschef im Kieler Stadtrat sowie Referent des Landesamtes für Verfassungsschutz – letzteres zumindest bis zu jenem Anruf, den er Anfang Juni tätigte. Dann, so berichtete es der Spiegel, soll eine Sicherheitsüberprüfung Zweifel an der Zuverlässigkeit des 44jährigen ergeben haben, und er sei vom Verfassungsschutz weg auf eine andere Stelle im Innenministerium versetzt worden. (In Schleswig-Holstein ist der Verfassungsschutz, anders als in anderen Bundesländern, Teil des Innenministeriums.) Dabei klingt der Inhalt des inkriminierten Telefonats denkbar harmlos: Als Ratsherr der Hauptstadt bat er bei dessen Grünflächenamt darum, den Abbau eines öffentlichen Festes über Pfingsten wegen schlechten Wetters um einen Tag verschieben zu dürfen.
Ist der frisch gewählte grüne Oberbürgermeister von Kiel ein Grauer Wolf?
Doch brisant ist, daß es sich nicht um irgendein Stadtfest handelte, sondern um den „Türkischen Tag“, ein türkisch-nationalistisches Volksfest, das der Verein „Türkische Gemeinschaft Kiel“ ausrichtet. Der wird nämlich der Ülkücü-Bewegung zugeordnet, landläufig auch „Graue Wölfe“ genannt, die – mit knapp 13.000 Anhängern hierzulande – als größte rechtsextreme Bewegung Deutschlands gilt. Und nicht nur das, Hunderte Morde (die meisten in der Türkei) gehen auf ihr Konto sowie zwei Pogrome gegen Aleviten 1978 und 1980 mit knapp 130 Toten. Ihr bekanntestes Opfer hierzulande ist die Rechtsanwältin Seyran Ateş, die 1984 lebensgefährlich verletzt den Anschlag auf einen Berliner Frauenladen überlebte, der die Klientin, die sie dorthin begleitete, das Leben kostete.
Ist der neue OB also ein Grauer Wolf? Dafür gibt es allerdings keine belastbaren Hinweise. Geboren 1981 in Kiel, absolvierte Yilmaz nach dem Hauptschulabschluß eine Ausbildung zum Chemielaboranten, bevor er per zweitem Bildungsweg Politologie, Islamwissenschaft und Öffentliches Recht studierte und 2020 promoviert wurde. Politisch zählt der Islamwissenschaftler, der sich auf seiner Internetseite als „echter Kieler Jung“ vorstellt, zum Realoflügel der Grünen. Als solcher vermochte er nun 54 Prozent der Wähler zu überzeugen – womit erstmals ein Vertreter der Grünen den Kampf ums Rathaus gewonnen hat, die dort freilich bereits seit 2023 (mit 27 Prozent) stärkste Kraft sind.
Was, hätte statt eines Grünen ein CDUler einem Verein eines Neonazi-Netzwerks einen Gefallen getan?
Zwar räumt Yilmaz ein, sein Anruf sei falsch gewesen, den Spiegel-Vorwurf, Extremisten-Unterstützer zu sein, weist er aber als „ehrverletzend“ von sich. Warum er das Telefonat tätigte, darüber jedoch schweigt er sich auf JF-Nachfrage bis Redaktionsschluß aus.
Dennoch kann es viele Gründe geben, weshalb er dem Verein den Gefallen getan hat, ein Teilen des Gedankenguts ist keineswegs zwangsläufig. Andererseits dürfte klar sein, was los wäre, hätte etwa ein CDU- oder gar AfD-Politiker einem Kulturverein zum Beispiel aus dem Netzwerk der Mördertruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) einen Gefallen getan. Ein Verbleib im Innenministerium, in der Partei und als OB-Kandidat wäre unvorstellbar und der betroffenen Partei gegenüber würde es als Nachweis ihrer Verfassungsfeindlichkeit gelten. Insofern ist die Frage, ob Samet Yilmaz sein Amt im kommenden Frühjahr auch wirklich antreten kann. Falls ja, wäre das ein weiteres Beispiel für die himmelschreiende Doppelmoral im Land.






