BERLIN. Nach der Infragestellung der Unschuldsvermutung durch die Sprecherin der Grünen Jugend, Jette Nietzard, hat sich Widerstand in der Mutterpartei formiert. „Wir haben sehr deutlich gemacht, daß wir das als Bundesvorstand anders sehen, und entsprechend gehandelt“, sagte die Vorsitzende der Grünen, Franziska Brantner, verschiedenen Medien.
Nietzard hatte am Mittwoch im Zuge der Debatte um die teils erfundenen Belästigungsvorwürfe gegen Stefan Gelbhaar gesagt: „Wo Macht existiert, wird Macht mißbraucht“ – auch in einer feministischen Partei. „Was es aber bedeutet, in einer feministischen Partei zu sein, ist, daß Betroffenen geglaubt wird.“ Mit Blick auf die Unschuldsvermutung sagte Nietzard: „Wir sind kein Gericht.“
Grünen-Urgestein gibt Contra: „Jetzt reicht es!“
Kritik erntete die GJ-Sprecherin auch von Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne). „Die Unschuldsvermutung ist eine zentrale rechtsstaatliche Errungenschaft, sie sollte auch dann gelten, wenn die Grenze zwischen juristischen und moralischen Aspekten nicht ganz klar ist“, sagte er dem Berliner Tagesspiegel. Davon dürfe man nicht abrücken.
Kontra kam ebenfalls vom Grünen-Urgestein Volker Beck: „Jetzt reicht es! Grüne Jugend“, schrieb der langjährige Bundestagsabgeordnete auf X. Die Grünen seien eine Rechtsstaatspartei: „Man kann Betroffenen nur glauben, wissend, daß sie tatsächlich betroffen sind.“
Jetzt reicht es! @gruene_jugend.
Wir sind eine Rechtsstaatspartei.Gerade habe ich noch eine Presseanfrage zur causa abgesagt, weil Schaden nicht noch vergrößert werden muss.
Man kann Betroffenen nur glauben, wissend dass sie tatsächlich betroffen sind.https://t.co/bSc6PB3S59— Volker Beck 🐋 🇺🇦🇮🇱🎗️ (@Volker_Beck) January 22, 2025
Hauptzeugin der Anschuldigungen existiert nicht
Damit dreht die Affäre um Falschverdächtigung im Fall Gelbhaar nun eine weitere Runde. Kurz vor Jahresende wurden schwere Vorwürfe gegen den Berliner Politiker erhoben: K.o.-Tropfen, ein Übergriff auf dem Weg zur S-Bahn und ein erzwungener Kuß. Die Glaubwürdigkeit der Hauptzeugin, die sich „Anne K.“ nannte, fiel jedoch in sich zusammen. Sie existiert nicht.

Bevor die Intrige publik wurde, hatte Gelbhaar, der die Anschuldigungen von Anfang an bestritt, dennoch unter dem öffentlichen Druck auf eine erneute Kandidatur für einen aussichtsreichen Listenplatz verzichtet.
Gegen die mutmaßliche Strippenzieherin Shirin Kreße plante der -Vorstand ein Parteiausschlußverfahren anzustrengen. Dem kam die Berliner Bezirksfraktionschefin der Grünen jedoch zuvor. Sie wolle dadurch möglichen Schaden von der Partei und den Opfern sexualisierter Gewalt abwenden.

Indes wurde bekannt, daß weitere Belästigungsvorwürfe gegen Gelbhaar „nicht mit strafrechtlich relevantem Verhalten gleichzusetzen“ seien, wie Business Insider aus einem parteiinternen Anwaltsschreiben zitiert. Demnach handle es sich um „Grenzverletzungen“, also „durch die betreffenden Personen selbst als solche empfundene Überschreitung des persönlichen Wohlbefindens“. (sv)