Pietätlos – mit diesem Begriff könnte man ein am Montag veröffentlichtes Video einiger FDP-Bundestagsabgeordneter bezeichnen. Kristine Lütke, Ria Schröder, Anikó Merten und zwei andere Politiker laufen tanzend einen gelb beleuchteten Gang entlang. In weißen Lettern steht: „Wir, auf dem Weg zur Abstimmung, um endlich § 219a aus dem StGB kicken zu können“. Im Hintergrund läuft das Pop-Lied „Short Dick Man“. Die Liberalen zeigen aufgrund von Masken und Sonnenbrillen zwar nicht ihre Gesichter, dafür aber entsprechende Gesten, die wohl den Hashtag symbolisieren sollen, mit dem Lütke den neunsekündigen Clip in den sozialen Medien veröffentlichte: #219amußweg.
Was launig-locker rüberkommen und wohl die Social-Media-Kompetenz der jungen FDP-Abgeordneten beweisen sollte, sorgte jedoch für heftige Kritik – und das nicht nur von konservativer Seite. Die Bundesschatzmeisterin der CDU, Julia Klöckner, twitterte: „Nicht Ihr Ernst, Tanzeinlagen zu diesem Thema? Es geht auch um die Frage von Lebensschutz. Die Abschaffung des Paragraph 219a wie eine Party zu feiern, zu ignorieren, daß es auch um Zielkonflikte geht … Das Leben oder die Abtreibung eines Ungeborenen ist nichts Banales.“
Hier nochmal das inzwischen gelöschte Video, in dem sich FDPler partymäßig über die Abschaffung von Paragraph 219a freuen: pic.twitter.com/gILyKdeLkz
— Lukas Steinwandter (@LSteinwandter) February 8, 2022
„Mit einem Wort: geschmacklos“
Der CSU-Abgeordnete Volker Ullrich bezeichnete das Video als „würdelos“. Dies sei kein „akzeptabler Debattenbeitrag bei einer ethisch schwierigen Frage“. Seine Fraktionskollegin Katja Leikert (CDU) unterstrich: „Wir sprechen im Kontext von 219a immer noch über menschliches Leben, das beendet wird. FDP – die Partylaune ist erschreckend.“ Die CDU-Abgeordnete Serap Güler betonte: „Mit einem Wort: geschmacklos.“
Wir sprechen im Kontext von #219a immer noch über menschliches Leben, das beendet wird. @fdp – die Partylaune ist erschreckend. https://t.co/vKSRcYimGA
— Katja Leikert (@KLeikert) February 7, 2022
Mit einem Wort: Geschmacklos. https://t.co/Z61qt4DjES
— Serap Güler (@SerapGueler) February 7, 2022
Die stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Beatrix von Storch, kritisierte: „Das ist mit das Widerwärtigste, was ich lange gesehen habe: Diese FDP-Bundestagsabgeordneten tanzen und feiern mit Kopf-ab-Gesten Abtreibungen. Einfach nur noch ekelerregend.“
Der Paragraph 219a im Strafgesetzbuch behandelt Werbung für Abtreibungen und verbietet es, solche Eingriffe anzubieten, anzukündigen oder anzupreisen, um dadurch einen finanziellen Vorteil zu erlangen. Das gleiche gilt, wenn dies auf „grob anstößige Weise“ geschieht. Im Koalitionsvertrag hatten sich SPD, Grüne und FDP auf die Abschaffung des Verbots geeinigt. Eine der ersten Maßnahmen der neuen Regierung – federführend ist Justizminister Marco Buschmann (FDP) – war es, die Abschaffung von 219a in Angriff zu nehmen.
Das Video der jungen FDP-Abgeordneten stieß aber auch einigen Liberalen und FDP-Anhängern sauer auf. Spätestens beim Thema Abtreibung könne man mehr Ernsthaftigkeit erwarten, hieß es etwa. Es handle sich hierbei nicht um „Lifestyle-Politik“ und das Verhalten der Abgeordneten sei schlicht infantil.
FDP-Abgeordnete löscht Video – und relativiert sich
Aus der Schwangerschaftskonfliktberatung weiß man, daß es selbst Frauen, die abtreiben möchten, nie leichtfällt, das heranwachsende Leben zu beenden. Und sie auch vorher und oftmals auch danach noch mit der Entscheidung ringen. Diesen Umstand scheint auch FDP-Politikerin Lütke zwischenzeitlich erkannt zu haben. Sie löschte das Video und schrieb in einer Erklärung, daß die Entscheidung über eine Abtreibung für eine Frau „vielleicht die schwierigste ihres Lebens“ sei.
(1/x) Der Gedanke, dass Frauen, die sich mit so einer schwierigen Entscheidung wie einem Schwangerschaftsabbruch konfrontiert sehen – vielleicht der schwierigsten ihres Lebens – , nicht einfach, zB im Internet an faktenbasierte aufklärende Informationen kommen können
— Kristine Lütke MdB (@kristine_lutke) February 8, 2022
Diese Erkenntnis relativierte sie allerdings gleich wieder, indem sie suggerierte, es sei für Schwangere „nicht einfach, z.B. im Internet an faktenbasierte, aufklärende Informationen“ zu gelangen. Es sei „ein Grund zur Freude“, wenn „Informationen über Schwangerschaftsabbrüche und unterstützende Ärztinnen und Ärzte künftig nicht mehr strafbar sein wird“.
Doch Informationen, Organisationen sowie Ärzte, die sich der Schwangerschaftskonfliktberatung und explizit auch „Abbrüchen“ widmen, gibt es schon jetzt. Seit einer Reform des Paragraphen im Jahr 2019 dürfen Ärzte etwa auf ihrer Website explizit erwähnen, daß Abtreibungen zu ihren Dienstleistungen zählen. Und auch die jährliche Zahl der Abtreibungen in Höhe der Einwohnerzahl einer Großstadt belegen, daß genügend Frauen den entsprechenden Weg finden – ganz ohne Werbung.