Die neue Bundesregierung pflastert sich derzeit den Weg zur Erfüllung des Koalitionsvertrags. Mit einem der ersten Steine wendet sie sich zugleich gegen einen in den Neunziger-Jahren errungenen Kompromiß. Wie Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) am Montag ankündigte, soll Paragraph 219a des Strafgesetzbuches ersatzlos gestrichen werden.
Dabei handelt es sich um das sogenannte Werbeverbot für Abtreibungen. Die Norm verbietet es, solche Eingriffe anzubieten, anzukündigen oder anzupreisen, um dadurch einen finanziellen Vorteil zu erlangen. Das gleiche gilt, wenn dies auf „grob anstößige Weise“ geschieht. „Sachliche Informationen von Ärzten über einen Schwangerschaftsabbruch sollen nicht länger strafbar sein. Frauen, die einen Abbruch ihrer Schwangerschaft erwägen, befinden sich in einer schmerzhaften Lebenssituation wir dürfen sie nicht noch erschweren“, begründete der FDP-Politiker den Vorstoß.
Wir werden Paragraf #219a StGB streichen. Sachliche Informationen von Ärztinnen und Ärzten über einen Schwangerschaftsabbruch sollen nicht länger strafbar sein. Frauen, die einen Abbruch ihrer Schwangerschaft erwägen, befinden sich in einer schmerzhaften Lebenssituation –
— Marco Buschmann (@MarcoBuschmann) January 17, 2022
Lebensschützer befürchten erhöhten Druck auf Schwangere
Zwischen der Werbung für XXL-Burger amerikanischer Fastfood-Ketten und streifenfreiem Glasreiniger könnten sich künftig also auch Anzeigen von Ärzten tummeln, die anbieten, ein ungeborenes Leben vorzeitig zu beenden. Einen entsprechenden Gesetzentwurf legte Buschmann am Montag vor. Derzeit dürfen Ärzte auf ihren Internetseiten darauf hinweisen, daß sie Abtreibungen vornehmen und weitergehende Informationen verlinken, wie sie etwa bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zu finden sind. Überdies ist eine Liste der Bundesärztekammer mit Praxen, die solche Eingriffe vornehmen, frei einsehbar.
Lebensschützer befürchten mit der Streichung des Paragraphen 219a einen erhöhten Druck auf Schwangere. So auch die Initiatoren des Projekts „1000plus“ des Vereins ProFemina, das Frauen unterstützt, die aufgrund ihrer Schwangerschaft Konflikten ausgesetzt sind. „Wenn Abtreibungen leichter verfügbar werden und Werbung möglich wird, wird das die Stimmen jener stärken, die Schwangere in Not zu diesem Schritt drängen möchten“, mahnen sie. Beratung und Hilfe würden erschwert, wenn solche Eingriffe immer mehr zur „Lösung“ einer ungeplanten Schwangerschaft würden.
Das Aktionsbündnis „Demo für alle“ appelliert indes an die Oppositionsparteien, gegen das Vorhaben zu protestieren. Die „Kultur des Todes“ schreite weiter voran und werde das Leben vieler unschuldiger Kinder fordern.
Die Kultur des Todes schreitet weiter voran. 👎 Ein fataler + gefährlicher Plan, dem viele unschuldige ungeborene #Kinder zum Opfer fallen werden.😢 Der Protest der #Opposition ist dringend nötig! @cducsubt @AfDimBundestag @BreherSilvia @KLeikert @M_Reichardt_AfD @M_HarderKuehnel https://t.co/vjDSzBXGA2
— DemoFürAlle (@demofueralle) January 17, 2022
Keine gesellschaftliche Mehrheit aber verkürzte Argumente
Die CDU-Bundestagsabgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker sieht derzeit keine gesellschaftliche Mehrheit für den Erhalt des Werbeverbots. Wichtige Argumente kämen aber oft zu kurz, mahnte sie am Montag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Neben dem Selbstbestimmungsrecht der Mutter dürfe auch das Leben des ungeborenen Kindes nicht aus dem Blick geraten.
Das häufig genannte Argument, Paragraphen 219a unterdrücke Information, sei überdies schlicht falsch. „Es gibt kein Informationsdefizit.“ Mit zwei drei Klicks erhalte man über alles frei zugänglich Auskunft im Internet. Werbung gehe aber darüber hinaus. So könnten Abtreibungen ohne die rechtliche Regelung verharmlost werden, etwa indem von einem Embryo oder Fötus die Rede sei, der entfernt werde. Auch bei Aussagen wie „Der Eingriff ist auch garantiert schmerzfrei“, könne nicht mehr klar zwischen Information und Werbung unterschieden werden.
Funktion des Paragraphen 219a sei also nicht, den Zugang zu Informationen zu erschweren, sondern Schwangere vor einer Beeinflußung, insbesondere solchen mit einem kommerziellen Hintergrund zu schützen. Im Mittelpunkt dieses Konzepts stehe die unabhängige und ergebnisoffene Beratung.
Kühnert: Thema ist keine ideologische Angelegenheit
Die Grünen-Jugendorganisation lobte den Vorstoß indes. Beim Paragraph 219a handle es sich nicht um eine Werbeverbot, sondern um ein Informationsverbot, das Ärzte und Frauen kriminalisiere. Die ersatzlose Streichung sei schon lange überfällig, schrieb die Grüne Jugend auf Twitter.
„Ausgerechnet Ärzte, die fachlich am besten qualifiziert sind, dürfen im Netz nicht über Schwangerschaftsabbrüche aufklären“, kritisierte Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne). Ihrer Ansicht nach handelt es sich bei der Bestimmung um eine Hürde, die schnellstens auf dem Weg geräumt werden sollte.
„Ausgerechnet ÄrztInnen, die fachlich am besten qualifiziert sind, dürfen im Netz nicht über Schwangerschaftsabbrüche aufklären. Diese Hürde müssen wir im Sinne der Betroffenen schnellstens aus dem Weg räumen.“ BMin Anne #Spiegel zum Referentenentwurf zur Aufhebung des #219a pic.twitter.com/vvwRdzBfQf
— Familien-, Senioren-, Frauen- & Jugendministerium (@BMFSFJ) January 17, 2022
Auch für SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert ist eine Streichung des Paragraphen 219a „folgerichtig und überfällig“. Das Selbstbestimmungsrecht von Frauen sei keine „ideologische Angelegenheit“, sondern diene dem Schutz ihrer Gesundheit. Mit einem Seitenhieb verwies der Sozialdemokrat auf die Unionsparteien: „Mit CDU und CSU ging das nicht. In der Ampel schon. Gut so!“
Das Selbstbestimmungs- und Informationsrecht von Frauen ist keine ideologische Angelegenheit, sondern dient dem bestmöglichen Schutz ihrer Gesundheit. Die Streichung des Paragraphen #219a ist folgerichtig und überfällig. Mit #CDU/#CSU ging das nicht. In der Ampel schon. Gut so! https://t.co/kXoykJ8THL
— Kevin Kühnert (@KuehniKev) January 17, 2022