Nein, hier soll kein trockener Stoff aus dem Gewi-Unterricht wiedergekäut werden. Doch die kleine Auffrischung über das politische System der Bundesrepublik Deutschland ist nötig, um klar zu machen, was ein Teil der öffentlich-rechtlichen Medien bezwecken will, wenn er kurz vor dem anstehenden Urnengang fragt „Muß der nächste Bundestag diverser werden?“ oder titelt „In Deutschland leben, aber nicht wählen dürfen“.
In Artikel 20 GG steht: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“ In der parlamentarischen Demokratie Deutschlands übt das Volk die Herrschaft nicht direkt aus, sondern gibt sie an Dritte weiter, die seine Interessen repräsentieren und vertreten sollen.
Konkret bedeutet das, daß die Staatsbürger in ihrer Gesamtheit nicht selbst politische Entscheidungen treffen und die Regierung kontrollieren, sondern sich ihre demokratischen Rechte auf Wahlen und die Mitwirkung in Parteien, Verbänden und Initiativen beschränken.
Wählen darf, wer deutscher Staatsangehöriger ist
Die wichtigste Form der Wahrnehmung seiner Hoheitsgewalt hat das Volk bei der Wahl des Parlaments. Wer darf den Bundestag wählen? Alle deutschen Staatsbürger, die mindestens 18 Jahre alt sind und ihren Wohnsitz mindestens drei Monate vor der Wahl in Deutschland haben.
Daß das Wahlrecht auf das Staatsvolk begrenzt ist und Ausländer nicht umfaßt, findet laut dem Staatsrechtler Paul Kirchhof darin seine Richtigkeit, daß das Volk von Menschen gebildet wird, „die sich ihrer Zusammengehörigkeit bewußt sind,
gemeinsame politische, kulturelle und wirtschaftliche Anliegen verfolgen, den Willen zur Setzung und Durchsetzung eines einheitlichen Rechts haben und sich gemeinsame
Staatsorgane geben“.
Zum deutschen Staatsvolk gehören alle Staatsangehörigen und Statusdeutschen, letztere können mit der Bescheinigung gemäß Paragraph 15 des Bundesvertriebenengesetzes die Staatsangehörigkeit erhalten und somit auch wählen. Für das ZDF ist das aber nicht genug. Vor kurzem monierte der öffentlich-rechtliche Sender: „Längst nicht alle, die in Deutschland wählen wollen, dürfen auch. 14 Prozent der volljährigen Bevölkerung in Deutschland und damit vier Prozent mehr als bei der letzten Bundestagswahl sind davon ausgeschlossen.“
Das ARD-Politmagazin „Monitor“ veröffentlichte am Montag auf Instagram eine Grafik, in der erklärt wird, daß 8,8 Millionen Erwachsene bei der Wahl in zwei Wochen nicht abstimmen dürfen. Im dazugehörigen Text schreiben die Autoren: „Eigentlich darf man in Deutschland bei der Bundestagswahl wählen, wenn man 18 ist und mindestens schon drei Monate einen festen Wohnsitz im Land hat. Aber man braucht auch einen deutschen Paß. Und den haben fast neun Millionen Erwachsene, die hier leben, nicht. Obwohl sie teilweise arbeiten und Steuern zahlen.“
Auf Schaubildern forderte das ZDF-„Heute“, der Bundestag solle „diverser“ werden. „Nicht alle Bevölkerungsgruppen sind ausreichend im Bundestag vertreten – manche sogar gar nicht.“ Als Beispiele werden Frauen, junge Menschen, besonders alte Menschen und Menschen ohne deutschen Paß genannt.
Ja seltsam, keine „Menschen ohne deutschen Pass“ sitzen im Bundestag…?
Solchen Schwachsinn präsentiert das ZDF. Mit Ihren Zwangsgebühren. pic.twitter.com/CfAsqscNJQ— Philip Plickert (@PhilipPlickert) September 13, 2021
Das @ZDF hat offenbar die repräsentative Demokratie nicht verstanden. Der #OERR will offenbar weg von der parlamentarischen Demokratie hin zu reinem Bevölkerungsproporz – was schlicht unmöglich ist. https://t.co/Hof6WFEFXu
— Hawkeye 🇩🇪🇮🇱 (@HHawkeye24) September 12, 2021
Es gilt das Recht auf Freiheit und Gleichheit der Wahl
In dem Artikel werden dann die Vorteile der deskriptiven Repräsentation erklärt, wonach der Bundestag im Idealfall spiegelbildlich die Gesellschaft zeigen soll. Laut der Politik- und Verwaltungswissenschaftlerin Pola Lehmann böte das „die Möglichkeit, mehr Themen auf die Tagesordnung zu setzen“, bei Regierungsparteien könnten „die neuen Perspektiven Einfluß auf die Realpolitik nehmen“ und Minderheitenangehörige könnten „in der Fraktion Lobbyarbeit betreiben und bislang unbesetzte Themen sichtbar machen“.
Die Direktorin am Institut für Diversitätsforschung an der Georg-August-Universität in Göttingen, Dorothea Bührmann, hofft im ZDF auf die angeblich dadurch neu entstehenden Rollen- und Vorbilder. „Den Betroffenen, den Wählenden zu verdeutlichen: Ihr müßt euch einmischen und ihr könnt euch einmischen – das ist am leichtesten, wenn ich sehe: Der oder die hat es doch auch geschafft.“
Doch wie ein „diverserer“ Bundestag erreicht werden soll, verrät das ZDF nicht. Das dürfte auch nicht so einfach sein, wenn man nicht an grundlegenden Säulen unseres politischen Systems sägen will. Schließlich gibt es in Deutschland ein verfassungsrechtlich geschütztes Recht auf Freiheit und Gleichheit der Wahl. Und die vom Grundgesetz besonders geschützten Parteien genießen eine relativ große Freiheit in der Aufstellung von Kandidaten.
Das würde das politische System Deutschlands grundlegend wandeln
Aus diesem Grund versenkten die Verfassungsrichter in Thüringen und Brandenburg im vergangenen Jahr auch die Paritätsgesetze. Mit den Regelungen wollten die linken Regierungen per Quote den Frauenanteil in den Parlamenten erhöhen. Die Richter sahen darin jedoch einen Eingriff in die eben erwähnten Rechte.
Auch eine weitere Möglichkeit, mehr „Diversität“ in die Politik zu bringen, wäre verfassungswidrig: die Rätedemokratie. Abgesehen davon, daß die Gewaltenteilung nicht mehr gegeben wäre, widerspräche eine solche Form dem freien Mandat, wonach die Abgeordneten „Vertreter des ganzen Volkes“ und „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ sind, wie es in Artikel 38 GG heißt.
Quoten, veränderte Wahl- oder Staatsangehörigkeitsgesetze und ähnlich radikale Änderungen zum Zwecke einer angeblich besseren Repräsentation würden das politische System Deutschlands grundlegend wandeln. Angesichts einer riesigen Gruppe junger Wähler, die gemäß einer aktuellen Umfrage beispielsweise nicht weiß, wieviel Kreuze sie bei der Bundestagswahl setzen dürfen, sollte sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk vielleicht lieber mit dem aktuell gültigen Wahlrecht befassen, statt utopische, demokratietheoretische Überlegungen anzustellen, die außerhalb des akademischen Elfenbeinturms niemanden interessieren.