BERLIN. Von 16 Bundesländern werden lediglich in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern die Nationalitäten von Tatverdächtigen generell in Polizeimeldungen angegeben. Das sächsische Innenministerium begründete dies gegenüber BR und NDR damit, daß man die Staatszugehörigkeiten „im Sinne einer transparenten Kommunikationsarbeit“ grundsätzlich angebe. Nordrhein-Westfalen plane derzeit einen Erlaß, der ähnlich wie in Mecklenburg-Vorpommern Polizeipräsidien vorgibt, die Nationalitäten von Tatverdächtigen immer zu nennen.
Baden-Württemberg und Bremen teilten mit, es werde jeweils geprüft, ob es ein begründetes öffentliches Interesse an der Tat gebe. Rheinland-Pfalz und mehrere andere Bundesländer gaben an, sie orientierten sich vor allem am Pressekodex. Dort heißt es im Zusammenhang mit der Nennung von Nationalitäten: „Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse.“ Dies sei etwa bei einer besonders schweren oder außergewöhnlichen Straftat der Fall.
Polizeiinspektion ändert Vorgehensweise
Der Pressekodex war 2017 geändert worden, zuvor war dort empfohlen worden, die Herkunft nur dann zu nennen, wenn ein „begründeter Sachbezug“ zur Tat vorliege. Daran hält sich Bayern. Ausschlaggebend für die Nennung sei der Sachbezug zwischen Nationalität und der Tat.
Obwohl in Niedersachsen eine Verordnung gilt, wonach die Nationalitäten nur im Ausnahmefall genannt werden sollen, ergab die Untersuchung von BR und NDR, daß die Polizeiinspektion Lüneburg diese bei Herkunftsländern von Migranten besonders häufig nenne. Dies werde sich nun aber ändern. „Das Innenministerium hat dargestellt, daß grundsätzlich keine Nationalitäten zu nennen sind“, teilte ein Polizeisprecher den Sendern mit.
Über die Nennung der Täterherkunft in Polizeimeldungen war vor allem seit den Übergriffen in der Kölner Silvesternacht 2015/2016 immer wieder diskutiert worden. Im Herbst 2019 war dies auch Thema bei der Innenministerkonferenz, wo sich die Länder jedoch nicht auf eine gemeinsame Linie einigen konnten.
Kriminologe warnt vor Verzerrung und Vorurteilen
Einige Kriminologen warnen davor, daß die Nennung der Nationalität zu Vorurteilen und einer verzerrten Darstellung führen könne. Der Bochumer Kriminologe Tobias Singelnstein kritisierte gegenüber BR und NDR, die Angabe der Herkunft sei in Wirklichkeit eine „Pseudo-Transparenz“. In der Regel gebe es keinen Zusammenhang zwischen der Nationalität eines Verdächtigen und seiner Tat. Ausschlaggebender seien die individuellen Lebensumstände. „In Wirklichkeit verschleiert es mehr, weil es den Eindruck erweckt, das wäre von Bedeutung für die Entstehung von Kriminalität.“
Die beiden öffentlich-rechtlichen Sender hatten für ihre Erhebung rund 1,5 Millionen Polizeimeldungen von rund 200 Dienststellen zwischen 2014 und 2020 ausgewertet. In circa 700.000 Meldungen sei ein Vergehen oder ein Verbrechen erkannt, in fünf Prozent davon die Nennung von Personen mit ihrer Nationalität festgestellt worden. Für den Bericht berücksichtigt worden seien dann die 20 am häufigsten genannten Herkunftsstaaten von Nicht-EU-Ländern. Pressemitteilungen der Bundespolizei seien nicht berücksichtigt worden, da dort die Herkunft aufgrund der Zuständigkeit deutlich häufiger genannt werde, was das Ergebnis verzerrt hätte. Auch unkonkrete Bezeichnungen wie „Afrikaner“ oder „Südländer“ seien außen vor gelassen worden. (ls)