Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit. Doch nun ist sie da: Die erste Partei, die sich aus Anlaß der Corona-Krise gründet. In Zeiten von Angst und Ungewißheit in Bezug auf das neuartige Virus haben Verschwörungstheoretiker und Heilsbringer Konjunktur. Und nun eben ein weiteres Sammelbecken. Der neue Hype heißt „Widerstand 2020“. Angeblich habe die frisch gegründete Partei bereits über 100.000 Mitglieder aufgenommen. Sollte dies zutreffen, so wäre es der wohl schnellste Mitgliederzuwachs, den eine Partei jemals unmittelbar nach ihrer Gründung erzielen konnte.
Nachdem die Gruppe „Anonymous Deutschland“ aufzeigte, daß es technisch möglich ist, mit einer Software automatisiert tausende unechte Mitglieder pro Stunde zu registrieren, teilte die Gründerin Victoria Hamm dem Nachrichtenportal t-online.de mit, es werde geprüft, wie viele Fake-Anmeldungen es gebe. Sie schätze die Zahl allerdings nicht wie „Anonymous“ auf 95 Prozent, sondern auf zehn Prozent.
Ein solcher Zuwachs dürfte jedem geübten Parteipolitiker wenig glaubhaft erscheinen. Und das aus gutem Grund: Denn Mitglied werden kann bei Widerstand 2020 offenbar jeder. Selbst Personen, die gar nicht existieren. Der Mitgliedsbeitrag ist freiwillig, kann auch mit 0,00 Euro ausgefüllt werden. Wodurch die Hemmschwelle zu Fake-Mitgliedschaften äußerst gering ist. So hat etwa ein AfD-Mitglied seinen Hahn „Blacky“ mit Erfolg in der neuen Partei Einschreiben lassen. Selbst eine gleichzeitige Mitgliedschaft in anderen Parteien stellt für einen Beitritt kein Problem dar.
Impfkritiker im Vorstand
Mitte April richtet die aus Weimar stammende und in Lehrte bei Hannover wohnhafte Hamm eine Homepage ein. Der Startschuss für die neue Partei. Die 36jährige ist zuvor noch nie politisch in Erscheinung getreten, betreibt ein Online-Projekt zur „Liebeskummerbewältigung“ und gründete eine Backwaren-Filiale von „BackPosten.“ Ein Projekt, bei dem nicht abgesetzte Ware der Bäckereien am nächsten Tag zum Spottpreis verkauft wird.
Doch nun will Hamm als neues Projekt die Politik für sich entdeckt haben. Statt wie ursprünglich offenbar geplant Psychologin zu werden, sei es ihr nun wichtiger, das Land zu retten, verkündet sie auf ihrer Facebook-Seite, auf der auch eine Nähe zu Verschwörungsmedien wie KenFM und Klagemauer TV, aber auch zum FPÖ-Politiker Herbert Kickl sichtbar wird.
„Kann ich den bitte haben? Ich habe noch nie einen Politiker gesehen, der mal so richtig gerade heraus alles auf den Tisch legt, was gerade schief läuft“, bejubelt sie eine Rede Kickls, in der dieser die Corona-Krisenpolitik von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) kritisiert und zu einem „Strategiewechsel“ aufruft.
Auf ihre Homepage wird der Leipziger Rechtsanwalt Ralf Ludwig aufmerksam. Gemeinsam mit dem Sinsheimer HNO-Arzt Bodo Schiffmann bildet das Trio den Parteivorstand. Hamm als Vorsitzende, Schiffmann als Stellvertreter und Ludwig als politischer Geschäftsführer. Ludwig sticht mit der Forderung hervor, ein Notstandsparlament aus „mündigen Bürgern“ einzusetzen und den demokratisch legitimierten Bundestag und seine Abgeordneten abzulösen. Am vorigen Wochenende trat er als Redner auf der sogenannten Querdenker-Demonstration des IT-Unternehmers Michael Ballweg in Stuttgart auf, bei der über 5.000 Teilnehmer gegen die jüngsten Corona-Maßnahmen der Bundesregierung protestierten. Unter ihnen zahlreiche Vertreter aus der Impfgegner-Szene.
Ludwig zählt wie sein Vorstandskollege Schiffmann zu den Kritikern des Impfens. Schiffmann ist das Aushängeschild der Partei. Der Facharzt, der zudem eine Schwindelambulanz leitet, verbreitet auf Youtube Videos, in denen beispielsweise behauptet wird, der Microsoft-Gründer Bill Gates habe die amerikanische Regierung gekauft, um mit Hilfe des Coronavirus Impfprogramme auf den Weg zu bringen, von denen der Geschäftsmann profitieren würde.
Gleiche Anschrift wie die AfD Niedersachsen
In selbstgedrehten Video-Beiträgen behauptet Mediziner Schiffmann zudem etwa, daß es in Italien überhaupt keine richtige Corona-Krise gebe. Ebensowenig gebe es sie in Deutschland. Stattdessen würden die Medien gemeinsam mit dem Virologen Christian Drosten von der Berliner Charité lediglich „Massenpanik“ über die Pandemie verbreiten. Bemerkenswert sind auch die Einlassungen des Arztes zur Migrationspolitik: „Wenn wir alle Einwohner von Afrika in ein Bundesland von uns setzen würden, hätten wir anschließend noch Platz“, meinte er.
Etwas undurchsichtig verhält es sich mit der Geschäftsstelle von Widerstand 2020. Das Impressum der Internetseite weist eine Adresse in der Nähe des Messegeländes von Hannover im Stadtteil Laatzen aus. Unter derselben Anschrift firmiert auch die Landesgeschäftsstelle der AfD Niedersachsen. Tatsächlich verbirgt sich hinter der Adresse ein Diensleistungsunternehmen, das den Briefverkehr für seine Kunden übernimmt.
Kann sich die neue Partei trotz ihrer angeblich über 100.000 Mitglieder etwa keine eigene Geschäftsstelle leisten? Die Vorsitzende Victoria Hamm begründet das so: „Ich wollte keine Kosten für ein völlig unnötiges Büro verursachen, habe deswegen einen Büroservice für 59 Euro gemietet, denn ich habe keine Lust darauf, Geld von Mitgliedern zu verschwenden.“ Seit Samstag bemüht sich die neue Partei, Landesverbände aufzubauen. Doch mit dem Durchstarten hapert es noch: Die Internetseite von Widerstand 2020 war zwischenzeitlich nicht abrufbar.