Es gibt neue Unruhe in der AfD. An der Spitze der Partei gab es zunächst auffallend wenig Neigung, den „Flügel“ demonstrativ in Schutz zu nehmen, nachdem ihn der Verfassungsschutz zum Beobachtungsobjekt erklärt hatte. Und obwohl strömungsübergreifend die offensichtlich politisch motivierte Argumentation von Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang harsch kritisiert wird, haben viele in der AfD erkennbar keine Lust (mehr), eine Suppe auszulöffeln, die andere ihnen eingebrockt haben.
Vor allem seit ein Video-Ausschnitt eines Flügeltreffens die Runde machte. Darin sagte Flügel-Anführer Björn Höcke über innerparteiliche Gegner der Gruppierung: „Die, die nicht in der Lage sind, das Wichtigste zu leben, was wir zu leisten haben, nämlich die Einheit, daß die allmählich auch mal ausgeschwitzt werden.“
Danach riß bei einigen in der AfD der Geduldsfaden: „Björn Höcke ist der König der Eigentore“, empörte sich etwa Bundesvorstandsmitglied Alexander Wolf. „Allzu viele Äußerungen von ihm haben der Partei in den vergangenen Jahren geschadet – und machen die Partei für viele im Westen unwählbar“, sagte der Hamburger Fraktionschef der JUNGEN FREIHEIT. „Es ist perfide, daß ausgerechnet er einmal mehr Solidarität und Einheit einfordert, der laufend innerparteiliche Kontrahenten diffamiert als ‘Feindzeugen’, als ‘Bettnässer’, als ‘Halbe’ und sie ‘ausschwitzen’ will.“
Zweifel am „Showdown“
Andere in der AfD bestätigen gegenüber der JF, daß die Stimmung unter Kritikern der Parteirechten schlechter geworden sei; daß das Bedürfnis zugenommen habe, endlich „Tacheles zu reden“. Man habe das Gefühl, in Sippenhaftung genommen zu werden. Die, die meinen, man müsse den Flügel einbinden, gerieten zusehends in die Defensive gegenüber denen, die den Zusammenschluß „loswerden“ wollen.
Spitzt sich in der AfD nun ein Konflikt zu, der schon längere Zeit schwelt, aber eben unter der Oberfläche, überlagert von einer Art Burgfrieden? Daß es nun zu einem innerparteilichen „Showdown“ kommt wie anno 2015, daran hat mancher seine Zweifel. Viele würden mit ihrer kritischen Haltung zum Flügel oder seinen Protagonisten doch lieber hinter dem Berg halten, um sich ja nicht die Chancen bei innerparteilichen Wahlen zu verbauen. „Aber man kann nicht immer nur taktisch vorgehen“, mahnt ein anderer im Gespräch.
Und daß die Kritik diesmal nicht allein von den „üblichen Verdächtigen“ – also denen, die schon immer gegen den Flügel Position beziehen wie Berlins Fraktionschef Georg Pazderski oder sein rheinland-pfälzischer Kollege Uwe Junge – kommt, sondern vom Vorstand des mitgliederstärksten Landesverbands Nordrhein-Westfalen, das habe „eine neue Dynamik“ in die Auseinandersetzung gebracht, ist ein AfD-Politiker überzeugt.
Kalbitz erneut im Fokus
Der Brief des NRW-Vorsitzenden Rüdiger Luscassen habe „großes Gewicht“, nun trauten sich auch andere, den Mund auf zu machen. Aus Parteikreisen ist zu hören, daß sich auch schon viele Mitglieder besorgt an die Führung gewandt hätten, daß es so nicht weiter gehen dürfe.
Insbesondere nachdem sich der neben Björn Höcke wichtigste Flügel-Repräsentant, Andreas Kalbitz, erneut dem Vorwurf ausgesetzt sieht, er sei einst Mitglied der 2009 verbotenen und auf der AfD-Unvereinbarkeitsliste stehenden „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) gewesen. Laut Spiegel liegt dem Verfassungsschutz eine entsprechende Liste vor; unter der Mitgliedsnummer 01330 eine „Familie Andreas Kalbitz“.
Das sei „schlicht falsch“, entgegnete Brandenburgs Landesvorsitzender und kündigt gegenüber der JF an, „mit allen juristischen Mitteln“ dagegen vorzugehen. Doch in der AfD reicht diese Ankündigung einigen nicht. Kalbitz müsse in dieser Sache „klar Schiff machen“, fordert ein Politiker. Sollte er doch eine HDJ-Mitgliedschaft verschwiegen haben, „müßte das Konsequenzen haben“.
Die Parteiführung wird sich auf ihrer Sitzung am morgigen Freitag intensiv mit den Themen Verfassungsschutz und Flügel befassen. Auch führende Flügel-Vertreter wollen sich offenbar am Wochenende beraten. „Die Unruhe in der Partei ist enorm und der Bundesvorstand nimmt das sehr ernst“, sagte Vorstandsmitglied Wolf der JF. Der Flügel müsse jetzt seine Strukturen offenlegen. „Das wird zeigen, daß er eine deutlich geringere Größe hat als von vielen angenommen. Er ist nicht prägend für die Partei.“ Wenn die Gruppierung dazu nicht bereit sei, müsse sich der Flügel „zum Wohle der Partei auflösen“.
Überheblichkeit mancher „Flügel“-Leute
Daß diese Forderung so deutlich auch aus Nordrhein-Westfalen kommt, hat manche in der AfD durchaus überrascht. Dadurch sei viel in Bewegung gekommen. Die Sorge vor einer Austrittswelle geht um. Schon jetzt sei es im größten Bundesland, in dem dieses Jahr noch Kommunalwahlen stattfinden, schwierig, fähige und vorzeigbare Leute aus der Mitte des bürgerlichen Lebens als Kandidaten zu finden, räumt ein Funktionär offen ein.
Man müsse es leider so hart sagen, aber der Name des Thüringer Vorsitzenden wirke an vielen Info- oder Wahlkampfständen in Westdeutschland „toxisch“, resümiert er. „Was glauben Sie, wie oft ich Sätze höre wie ‘wenn nur der Höcke nicht wäre’?“ Und den Eindruck bestätigen weitere Mandatsträger. Gerade die Groß- und Universitätsstädte im Westen seien für die Partei schlicht „Kriegsgebiet“.
Deswegen wirken auf engagierte Bürgerlich-Konservative dort die Überheblichkeit mancher „Flügel“-Leute aus östlichen Verbänden wie Hohn. „Da wäre vielleicht mal etwas mehr Solidarität angebracht“, beklagt sich ein West-AfDler. „Dort, wo eh jeder dritte oder vierte AfD wählt, ist es einfach, starke Sprüche zu machen.“ Man sei allerdings als gesamte Partei in einer „Haftungsgemeinschaft“.
Eindringliche Warnung
Es brauche deswegen mehr Verständnis, daß im Westen die Leute „Schnappatmung bekommen“ für Dinge, auf die man im Osten gelassener reagiere. „Die Angst vor dem sozialen Tod ist in den alten Ländern ausgeprägter.“ Werde dies nicht entsprechend beherzigt, sehe er für die Zukunft der Partei „schwarz“, meint der Politiker.
Auch Bundesvorstandsmitglied Wolf läßt keinen Zweifel: „Das Projekt AfD ist ernsthaft in Gefahr.“
Noch gebe es die Chance, das Ruder herumzureißen, aber sie schwinde schnell, meint einer seiner Parteifreunde. Der Ausgang sei ungewiß.