„Grundlast wird es im klassischen Sinne nicht mehr geben. Wir werden ein System von Erneuerbaren, Speichern, intelligenten Netzen und Lastmanagement haben.“ Kein Aprilscherz. Der Twitter-Account des Bundesumweltministeriums (BMU) schafft vor den Augen tausender Nutzer die Grundlast ab. Damit nicht genug: bei der Nachfrage eines Kritikers, wie denn das zu bewerkstelligen sei, kontert das BMU: „Weil wir moderner und smarter werden, als sie das für möglich halten.“
Grundlast wird es im klassischen Sinne nicht mehr geben. Wir werden ein System von Erneuerbaren, Speichern, intelligenten Netzen und Lastmanagement haben.
— Bundesumweltministerium (@bmu) April 1, 2019
Soziale Netzwerke sind die Heimat von Spöttern und Trollen – weswegen der Tweet innerhalb weniger Stunden Verbreitung findet und sich zum Symbol der Verblendung ökologischer Träumereien steigert. Hatte etwa ein Praktikant des Social-Media-Teams des BMU den Account betreut und sich hier lächerlich gemacht? Der Gedanke liegt nahe, könnte aber falscher nicht sein. Hinter der Aussage steckt niemand Geringeres als Staatssekretär Jochen Flasbarth, der an diesem Tag dem Bürger Rede und Antwort in einer Fragerunde steht.
Weit verzweigte Posten und Ämter
Wer aber ist dieser zweite Mann hinter der amtierenden Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD), der im Jargon eines Meetings Probleme mit markigen Sprüchen außer Kraft zu setzen glaubt? Wer Flasbarths Vita näher kennt, weiß, daß das Jonglieren mit „Wir schaffen das!“-Sprüchen in ökologischen Politikfeldern nicht auf Unwissenheit fußt, sondern knallharten Zielen und eiskaltem Geschäftssinn folgt.
Flasbarths eigentliche Karriere beginnt als Umweltaktivist. Der 1962 in Duisburg-Rheinhausen geborene Flasbarth tritt bereits 1979 in den Deutschen Bund für Vogelschutz (DBV) ein, aus dem später der Naturschutzbund Deutschland (NABU) hervorgeht. Dort steigt er innerhalb eines Jahrzehnts in der Ämterhierarchie bis zum Vizepräsidenten auf, ab 1992 steht er als Präsident an der Spitze der Organisation.
Flasbarth ist zugleich Mitglied im Präsidium des Deutschen Naturschutzrings (DNR) und Mitglied im ZDF-Fernsehrat. 1986 gehört er dem Gründungsvorstand des Verkehrsclub Deutschland (VCD) an, der sich in den Folgejahren vehement gegen den Individualverkehr und für Tempolimits einsetzt; er gilt bis heute als wichtiger Verbündeter der Deutschen Umwelthilfe (DUH) rund um Jürgen Resch. Daneben ist er Vorstandsmitglied der „Allianz pro Schiene“, Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung und Mitglied im Aufsichtsrat des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie GmbH.
Der studierte Volkswirtschaftler gibt seine weit verzweigten Posten und Mitgliedschaften in der deutschen Umweltszene 2003 auf. Jürgen Trittin beruft ihn zum Abteilungsleiter ins Bundesumweltministerium. Es ist der Beginn einiger nicht ganz unwichtiger Bekanntschaften. Rainer Baake, der „Manager der Energiewende“, ist damals Staatssekretär – später beruft ihn die DUH zum Geschäftsführer, bevor er später erneut als Staatssekretär ins Bundeswirtschaftsministerium zurückkehrt.
Fördergelder von ehemaligen Verein verdoppeln sich
Axel Friedrich, der heute für die DUH als Sachverständiger arbeitet, ist damals Chef des Umweltbundesamtes (UBA). Es sind Kontakte, die bis heute bestehen. Mittagessen mit alten Freunden, wie im Falle Flasbarth und Resch im Jahr 2016. Flasbarths Geschick beim Knüpfen von gewichtigen Kontakten dokumentiert der NABU bei seinem Wechsel ins Ministerium, bereits 2013 so: „In den gut zehn Jahren seiner Präsidentschaft stand Jochen Flasbarth vor allem für die Politisierung und Professionalisierung des Verbandes.“
Umweltminister kommen und gehen, aber Flasbarth bleibt. 2009 steigt er zum Chef des UBA auf. Die erste Forderung: ein Tempolimit auf Autobahnen – ganz im Sinne der VCD-Verkehrspolitik, die auch ein Limit von 30 Stundenkilometern innerorts vorsieht. Bei den neuen europäischen CO2-Grenzwerten gehört er zu den Strippenziehern im Hintergrund.
Daß sich die Fördergelder an Flasbarths ehemaligen Verein seit seiner Amtsübernahme 2009 mehr als verdoppeln (2009: 80.000 Euro, 2010: 211.000 Euro), und ähnliches bei seiner Beförderung zum Staatssekretär 2013 geschieht (2013: 471.000 Euro, 2014: 834.000 Euro) sind wohl allein dem Zufall geschuldet. Dennoch machen diese Zufälle stutzig, die eine Anfrage des fraktionslosen Bundesabgeordneten Mario Mieruch im Dezember 2018 zutage förderten.
Mit alten Bekanntschaften gegen den Verbrennungsmotor
Die alte Bekanntschaft mit Rainer Baake führt zu einem Sitz in den ökologischen Thinktanks der Agora. Bei der Gründungsveranstaltung der „Agora Verkehrswende“ im Jahr 2016 macht der Staatssekretär bereits deutlich, daß er laut Klimaschutzplan eigentlich ab 2030 keine PKW mit Verbrennungsmotor mehr zulassen dürfte. Hinter verschlossenen Türen wird in diesen Organisationen die deutsche Verkehrszukunft vorausgedacht. Mit dabei: Größen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft.
Da sehe ich den Dissens jetzt nicht. Die Zukunft der Autoindustrie ist elektrisch – oder sie hat keine. Das verstehen immer mehr Verantwortliche auch bei den Unternehmen. Jetzt müssen wir den Veränderungsprozess so steuern, dass wir auch die Wertschöpfung und die Jobs halten.
— Bundesumweltministerium (@bmu) April 1, 2019
Wobei es dazu nicht allzu viel Phantasie braucht: schließlich schreibt Flasbarth am 1. April: „Die Zukunft der Autoindustrie ist elektrisch – oder sie hat keine.“ Nur Optimisten denken in solchen Fällen an einen Aprilscherz. Als eines der wichtigsten Gesichter der deutschen Energie- und Verkehrswende weiß Flasbarth genau was er tut – und das Netzwerk aus Umweltaktueren, Klimaaktivisten und Profiteuren ebenso.